Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine Ende Februar haben es einige Menschen zu Berühmtheiten und zweifelhaftem Ruhm geschafft oder haben noch größere Bekanntschaft erlangt, als das ohnehin schon der Fall war. Wolodymyr Selenskyj hat die Welt mit seiner Rolle als mutiger und feuriger Kriegspräsident überrascht, der Kommandeur des Asow-Stahlwerks wurde zum Symbol des Widerstandes und über Wladimir Putin spricht ohnehin die ganze Welt. Und dann ist da noch Ramsan Kadyrow, der oftmals etwas untergeht, dessen Name aber auch immer wieder fällt. So auch aktuell, denn er soll nun die Kontrolle über die von Russland eingenommene Hafenstadt Mariupol übernehmen. Doch wer ist der Mann, dem Putin bei allem Misstrauen weiter zu vertrauen scheint?
Ramsan Kadyrow tritt in Tschetschenien in die Fußstapfen seines Vaters
In der deutschen Boulevardpresse hat sich Kadyrow längst den Spitznamen als "Putins Bluthund" eingehandelt. Auch "Folterknecht" und "Kriegsherr" wird er in westlichen Medien genannt. Der 45-Jährige ist seit ziemlich genau 15 Jahren Präsident von Tschetschenien, einer Teilrepublik von Russland. Im Mai 2007 hatte er dieses Amt angetreten und war damit in die Fußstapfen seines Vaters getreten.
Vater Achmat Kadyrow war von Putin zum Oberhaupt Tschetscheniens ernannt worden. Das Amt war eine Belohnung für dessen Einsatz im Zweiten Tschetschenienkrieg 1999. Er hatte seiner Armee den Rücken gekehrt und stattdessen auf der Seite Russland gekämpft. Noch 1994 hatte er als Mufti von Tschetschenien zum Dschihad gegen die Russen aufgerufen. Seine Sinneswandlung brachte ihm die Gunst Putins ein, machte ihm aber auch Feinde. Im Jahr 2004 wurde Achmat Kadyrow bei einem Bombenanschlag in einem Stadion der tschetschenischen Hauptstadt Grosny getötet. Die Attentäter waren islamistische Rebellen.
Nach dem Ableben von Kadyrow übernahm zunächst Alu Alchanow das Amt des Präsidenten, schon damals galt allerdings der Sohn des ermordeten Staatsoberhauptes als Strippenzieher. Als Ramsan Kadyrow dann 30 Jahre alt wurde, folgte er im Jahr 2007 offiziell dem Karriereweg seines Vaters. Seitdem leitet er die Geschicke in Tschetschenien. Im Jahr 2021 wurde Kadyrow per Wahl im Amt bestätigt. Angeblich hatten 99,6 Prozent der Tschetschenen für ihn abgestimmt. Menschenrechtsorganisationen protestieren aber, dass es in Tschetschenien schon lange keine freien und legitimen Wahlen mehr gab.
Personenkult um Kadyrow in Tschetschenien
Kadyrow ist für eine diktatorische Amtsführung bekannt. Er ist dabei direkt Putin unterstellt, der wiederum an seinem Statthalter schätzen dürfte, dass es um das aufmüpfige Tschetschenien ruhig geworden ist. Die islamistischen Unruhen sind Geschichte. In Tschetschenien ist, zumindest auf den ersten Blick, Stabilität eingekehrt.
Spannend ist, dass beide Machthaber einen ausufernden Personenkult um sich herum aufgebaut haben. Bei Kadyrow ist dieser zweifellos in einem kleineren Stil vorhanden, aber teils nicht weniger skurril. Während Putin sich mit freiem Oberkörper beim Angeln und mit einem Bären ablichten lässt, wurde in Tschetschenien beispielsweise ein Wettbewerb ausgerichtet, der das schönste Porträt Kadyrows ausmachen sollte. Der tschetschenische Machthaber ist außerdem auf Social-Media-Plattformen unterwegs. Bei Telegram hat er 1,5 Millionen Follower, die er auch im Krieg in der Ukraine auf dem Laufenden hält.
Kadyrow: Gewaltherrschaft und Korruption
Seine Macht erhält Kadyrow auch durch den Einsatz von Gewalt. Kritische Meinungen sind ebenso unerwünscht, wie es derzeit in Russland der Fall ist. Womöglich seine einzige Chance, wie Politikwissenschaftlerin Miriam Katharina Heß glaubt. "Seine einzige 'Machtlegitimation' ist die Unterstützung aus Moskau. Das erklärt auch seine Loyalität Putin persönlich gegenüber, denn letztendlich verdankt er seine politische Position nur ihm", erklärte die Angestellte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Interview mit t-online.
Neben Gewalt und einer wohl offensichtlichen Wahlmanipulation greift Kadyrow wohl auch zu weiteren Verbrechen und Straftaten. Immer wieder gibt es Berichte von Korruption. Das ukrainische Blatt Ukrainska Pravda berichtet beispielsweise, dass Kadyrow regelmäßig in die Vereinigten Arabischen Emirate jettet, wenn es ihm in Grosny zu langweilig wird. Er soll eine Villa in Dubai besitzen, die auf der Inselgruppe Palm Island liegt. 2011 fragte ihn eine Journalistin, woher er dieses Geld habe. Kadyrow antwortete: "Allah gibt. Ich weiß es nicht."
Die Wahrheit könnte aber eher in der Achmat-Kadyrow-Stiftung liegen. Laut dem Investigativteam Projek müssen die Bürger Tschetscheniens Zwangsabgaben an die genannte Stiftung zahlen. Im Jahr 2019 sollen so 70 Millionen Euro zusammengekommen sein. Es handelt sich um die reichste Stiftung Russlands.
Menschenrechtsverletzungen und Umgang mit Kritikern
Seinen Reichtum, woher er auch kommen mag, stellt Kadyrow immer wieder gerne zur Schau. Seinen beiden Frauen hat er jeweils einen Palast in Grosny bauen lassen, ein weiterer dient ihm als Regierungssitz. Mit seinen Frauen soll der Präsident insgesamt 12 Kinder haben.
Seinen Gegnern bringt Kadyrow unterdessen das Gegenteil von Großzügigkeit entgegen. Wenn ihm politische Kritiker oder kritische Journalisten in die Quere kommen, müssen diese um ihr Leben fürchten. Dafür gibt es mehrere Beispiele. Das jüngste: Im Januar 2022 wurde Sarema Musajewa aus ihrer Wohnung in Nishni Nowgorod entführt und nach Grosny gebracht. Das berichtete BBC. Sie soll in der tschetschenischen Hauptstadt gefangen gehalten worden sein. Mittlerweile befindet sich sich laut dem regimekritischen Telegram-Kanal in einem Krankenhaus. Während der Gefangenschaft soll sich ihre Gesundheit massiv verschlechtert haben. Genaueres ist über den Fall aber nicht bekannt –wie so oft.
Auch für eine Verfolgungswelle von Mitgliedern der Community LGBTQ+ soll Kadyrow verantwortlich sein. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) berichtete, dass er Betroffene sogar persönlich gefoltert haben soll. Mindestens zwei Menschen wurden 2019 im Zuge der Verfolgungen laut Amnesty International in Tschetschenien zu Tode gefoltert. Wegen der zahlreichen Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die Kadyrow befohlen haben soll, landete der Machthaber Tschetscheniens im Jahr 2020 auf der Sanktionsliste der USA.
Die Rolle von Kadyrow in der Ukraine
Im Verlauf des Krieges in der Ukraine wurde Kadyrow nicht müde, seine Loyalität zu seinem "Oberbefehlshaber" Wladimir Putin zu betonen. "Damit inszeniert er sich erfolgreich als 'Bluthund' Putins, der, sobald sein 'Herrchen' den Befehl gibt, zum Angriff bereit ist", analysierte Politikwissenschaftlerin Heß. Der einzige Kritikpunkt, den er während des Angriffskrieges Russlands bislang fand: Die Russen würden nicht brutal genug vorgehen.
Wichtig ist in diesem Zuge Kadyrows Privatarmee, die "Kadyrowzy". Mit dieser kann der Präsident Tschetscheniens nicht nur die Macht in seinem eigenen Reich aufrechterhalten, sondern auch Putin zur Seite stehen. Das tut er seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Die Kadyrowzy gelten als gefürchtete Kämpfer, die durch ihre besondere Grausamkeit auffallen. Eine gute militärische Ausbildung haben sie hingegen nicht genossen, weswegen sie wohl weniger bei den Gefechten eingesetzt werden.
Stattdessen soll Kadyrow mit seiner Armee nun wohl in Mariupol für Ordnung sorgen. Die ukrainische Hafenstadt ist zu einem Synonym der Grausamkeit des Krieges geworden. Am Freitag gab die Ukraine nun bekannt, dass die Stadt in russischer Hand sei. Putin soll bereits einen Plan für die Stadt haben, die sich über Wochen und Monate hinweg als äußerst widerstandsfähig erwies und die er dem Erdboden gleichmachte.
Laut Berichten der Zeitung Ukrajinska Pravda wurden die Tschetschenen um Kadyrow als Aufseher der Stadt eingesetzt. Dem Bericht zufolge sollen sie nun überwachen, wie die Stadt wiederaufgebaut wird und wie aus der Industriestadt ein Erholungsgebiet wird. Auf Telegram wird Kadyrow seine Follower wohl schon bald daran teilhaben lassen.