Was genau passierte in der Nacht zum 4. April 2023 im Kinderheim im oberfränkischen Wunsiedel? Diese Frage zum Tod einer Zehnjährigen schwebte über dem Prozess gegen einen 26-Jährigen am Landgericht Hof. Nun endete das Verfahren mit einer Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren wegen Vergewaltigung. Doch die für Angehörige und Heimbeschäftigte entscheidende Frage blieb auch mit dem Urteilsspruch unbeantwortet.
Die Zehnjährige war an jenem Morgen tot in einem Bett des Heims gefunden worden. Die Ermittlungen kamen zu dem Schluss, dass ein elfjähriger Junge aus dem Heim das Mädchen bei einem Streit in der Nacht erdrosselt haben soll. Zuvor soll der Angeklagte auf der Suche nach Wertgegenständen in das Heim eingestiegen und auf den Jungen getroffen sein. Der Junge habe dann ein Gespräch mit sexuellem Inhalt begonnen und der 26-Jährige vor ihm onaniert.
Im weiteren Verlauf soll der Angeklagte das Mädchen im Beisein des Jungen vergewaltigt haben. Als der Elfjährige das Mädchen vermutlich tötete, war der 26-Jährige nach Überzeugung der Ermittler schon nicht mehr im Heim. Eine Beteiligung des Mannes am Tod des Mädchens war deshalb nicht Teil der Anklage.
Schwierige Beweislage
Was für Außenstehende schwer nachvollziehbar klingt, hat sich nach Überzeugung der Kammer genau so zugetragen. Diese Version der Geschehnisse habe der Angeklagte schon kurz nach der Tat bei der Polizei geschildert, sagte der Vorsitzende Richter Christopher Feulner bei der Urteilsbegründung am Mittwoch. Damit habe sich der 26-Jährige erheblich selbst belastet, sein Verteidiger habe zu diesem Zeitpunkt zudem noch keine Akteneinsicht gehabt. Das Gericht halte die Aussage des Angeklagten deshalb für glaubwürdig.
Zu Prozessbeginn hatte der Deutsche sein Geständnis wiederholt und zugleich eine Beteiligung am Tod des Mädchens von sich gewiesen. Er widersprach damit Aussagen des mittlerweile Zwölfjährigen. Der Junge hatte angegeben, der Angeklagte habe ihn dazu gedrängt, das Mädchen zu töten, weil das Mädchen sie beide erkannt habe.
Das Gericht kam nun aber zum Schluss, dass die Aussage des Jungen "in keinem Punkt" heranzuziehen gewesen sei. Der Junge habe von Beginn an widersprüchliche Angaben gemacht, sagte Richter Feulner. Von einer Beteiligung des Angeklagten am Tod des Mädchens habe der Junge erst dann gesprochen, als die Polizei ihm dies vorgehalten habe. Ein Gutachter war im Prozess zudem zu dem Schluss gekommen, dass keine abschließende Bewertung der Glaubwürdigkeit des Jungen möglich sei.
Da es nur sehr wenige objektive Beweise dazu gebe, was sich in der Tatnacht zugetragen habe, komme dem Geständnis des Angeklagten eine große Bedeutung zuteil, sagte Feulner. Zugleich betonte er, das Gericht habe die genauen Umstände des Todes des Mädchens nicht feststellen können. "Auch wenn das schwerfällt."
Krisensituation für das Heim
Neben Vergewaltigung und schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern wurde der Mann auch wegen mehrerer Diebstähle und Wohnungseinbrüche verurteilt. Auch diese Taten hatte der Angeklagte eingeräumt. Sein Verteidiger hatte für eine Haftstrafe von sechs Jahren plädiert.
Die Anwälte der Eltern des Mädchens, die als Nebenkläger an dem Verfahren teilnahmen, bezeichneten das Urteil im Anschluss als "bitter und unbefriedigend". Sie habe sich gewünscht, dass der Prozess mehr Klarheit zur Beteiligung des Angeklagten am Tod des Mädchens bringen würde, sagte die Anwältin des Vaters. Doch die Staatsanwältin habe Fragen an Beschäftigte des Heims zum Großteil unterbunden.
Der Träger des Heims, die Katholische Jugendfürsorge der Diözese Regensburg, teilte am Mittwoch mit, die Kinder und Beschäftigten des Heims lebten seit einem Jahr in einer Krisen- und Ausnahmesituation. Sie ringten um Normalität. Die Heimaufsicht habe zudem die Personalsituation und die Qualifikation der Beschäftigten überprüft. "Das Ergebnis der Prüfung war einwandfrei."
Bei der Staatsanwaltschaft Hof laufen weiterhin Ermittlungen zu möglichen Verfehlungen etwa von Beschäftigten des Heims. Das nun verkündete Urteil ist nicht rechtskräftig.
(dpa)