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Prozess gegen EX-RAF-Terroristin Klette hat begonnen

Justiz

So startet der Prozess gegen die Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette

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    Daniela Klette (links) steht im Oberlandesgericht Celle im Gerichtssaal neben ihrer Rechtsanwältin Undine Weyers.
    Daniela Klette (links) steht im Oberlandesgericht Celle im Gerichtssaal neben ihrer Rechtsanwältin Undine Weyers. Foto: Wolfgang Rattay, Reuters/Pool/dpa

    Ein Hauch von Stammheim liegt in der Luft. Polizisten mit Sturmhauben und Maschinenpistolen an den Eingängen des Gerichtes, Einsatzfahrzeuge an jeder Straßenecke und gleich daneben, direkt vor dem mächtigen Celler Schloss, die üblichen Transparente. Eines zitiert Bert Brecht: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Ein anderes fordert „Freiheit für alle politischen Gefangenen.“ Dabei soll der Prozess, der hier gleich beginnt, alles sein, nur nicht politisch.

    Angeklagt ist „nur“ eine Serienräuberin, die in einem früheren Leben allerdings Mitglied der linksextremistischen Roten Armee Fraktion (RAF) gewesen sein soll: Daniela Klette, 66 Jahre alt, schwarzer Pulli, Jeans, das graue Haar zu einem Dutt geknotet, keine Handschellen.

    Großer Andrang und hohe Sicherheitsvorkehrungen bei Prozess gegen Daniela Klette

    Viel Panzerglas, nur künstliches Licht und quälend lange Einlasskontrollen: Für einige Wochen genießt das Landgericht aus dem 70 Kilometer entfernten Verden, das den Fall Klette verhandelt, im Oberlandesgericht Celle Justiz-Asyl. Für den großen Andrang und die hohen Sicherheitsvorkehrungen ist das Gerichtsgebäude in Verden zu klein – und in der alten Reithalle, die dort gerade in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt wird, laufen die Umbauarbeiten noch.

    Es wird, wenn der Eindruck nicht täuscht, ein niedersächsisches Stammheim werden – jener berühmt gewordene Gerichtssaal mit dem Charme einer Schulturnhalle, der neben dem gleichnamigen Gefängnis in Stuttgart in den siebziger Jahren eigens für die Prozesse gegen die RAF gebaut wurde und in dem anschließend ein Stück deutsche Nachkriegsgeschichte verhandelt wurde.

    Angeklagt ist Daniela Klette nicht wegen mehrerer Terroranschläge

    Angeklagt aber ist Daniela Klette an diesem Dienstag nicht wegen mehrerer Terroranschläge, an denen sie beteiligt gewesen sein soll, sondern wegen illegalen Waffenbesitzes und 13 bewaffneten Raubüberfällen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, mit denen sie selbst und ihre beiden Komplizen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub ihr Leben im Untergrund finanziert haben.

    Der Nachweis ihrer Beteiligung an den Terroranschlägen ist schwerer zu führen und soll später in einem zweiten Verfahren angegangen werden. Stand heute war Daniela Klette an einem fehlgeschlagenen Angriff auf ein Rechenzentrum der Deutschen Bank, einer Feuersalve mit mindestens 250 Schüssen auf die US-Botschaft in Bonn und dem letzten Attentat der RAF überhaupt beteiligt. Mit 200 Kilo Sprengstoff zerstörte sie 1993 das neue, aber noch nicht bezogene Gefängnis im hessischen Weiterstadt. Schaden: Umgerechnet gut 60 Millionen Euro. Staub und Garweg, beide noch auf der Flucht, sollen mit dabei gewesen sein.  

    Bewaffnete Einsatzkräfte sicherten die Ankunft der Angeklagten.
    Bewaffnete Einsatzkräfte sicherten die Ankunft der Angeklagten. Foto: Sina Schuldt, dpa

    In Celle sitzt Daniela Klette mit ihren Anwälten hinter schusssicherem Glas und verfolgt den ersten Gerichtstag ohne größere Gefühlsregung. Lächelnd winkt sie einer Bekannten im Publikum zu, bespricht sich dann kurz mit ihren Verteidigern und verfolgt aufmerksam, was zwei Staatsanwältinnen in monotoner Professionalität vortragen.  „Arbeitsteilig und äußerst konspirativ“ seien ihre Komplizen und sie vorgegangen, heißt es in der mehr als 600 Seiten dicken Anklageschrift. Der juristisch schwerwiegendste Überfall, bei dem einer der Räuber auf die Fahrer eines Geldtransportes geschossen haben soll, fällt in den Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Verden, das deshalb auch die anderen Fälle mit verhandelt.

    Den Vorwurf, sie habe keine Skrupel gehabt, auch Schusswaffen einzusetzen, und so den Tod von Unschuldigen in Kauf genommen, bestreitet Daniela Klette allerdings. Auch als Raubüberfälle will sie ihre Taten nicht deklariert wissen. Für sie waren das, wie sie aus dem Gefängnis in einem Grußwort für eine marxistische Veranstaltung in Berlin schreibt, „bewaffnete Enteignungsaktionen.“ So oder so ähnlich klangen auch die Bekennerschreiben, mit denen die Terrorkommandos der RAF ihre Verbrechen rechtfertigten. 

    Über dem Verfahren liegt der lange Schatten der RAF

    Dass über einem „gänzlich unpolitischen Verfahren“ wegen Raubes und versuchten Mordes der lange Schatten der RAF liegt, hat Ulrich von Klinggräff, einer von Klettes Verteidigern, als wunden Punkt der Anklage ausgemacht. Ein faires Verfahren, beschwert er sich, sei durch die öffentliche Vorverurteilung seiner Mandantin faktisch gar nicht mehr möglich. Schon die überzogenen Sicherheitsmaßnahmen zeigten alle Anzeichen eines Terrorprozesses, argumentiert er, nicht zu vergessen der Ort des Geschehens, der besonders gut gesicherte Staatsschutzsaal. Gericht und Staatsanwaltschaft, legt von Klinggräff dann noch nach, leite „allein der Wille zum Spektakel.“ 

    Auf die Spur kommen die Fahnder des Landeskriminalamtes Niedersachsen Daniela Klette Anfang vergangenen Jahres über einen Informanten, dessen Identität geheim bleiben soll und der für seinen Tipp 25.000 Euro Belohnung erhält. Wie leicht sie zu finden gewesen wäre, hat kurz zuvor bereits der kanadische Journalist Michael Colborne bewiesen, der ein altes Foto von ihr durch eine Gesichtserkennung mit künstlicher Intelligenz jagt und nach einer halben Stunde bereits einen Treffer hat – Aufnahmen einer älteren Frau aus einem brasilianischen Kulturzentrum in Berlin zeigen eine frappierende Ähnlichkeit mit der jungen Klette. Der Polizei in Deutschland allerdings sind solche Fahndungsmethoden verboten, sodass die Information über die flüchtige RAF-Frau sie erst auf Umwegen erreicht. Colborne selbst bestreitet, der Informant zu sein.

    Klette schreibt eine SMS an ihren Komplizen: „Sie haben mich“

    Am Abend des 26. Februar 2024 klingeln die Fahnder dann an einer Tür im 5. Stock eines tristen Mietshauses in der Sebastianstraße im Berliner Bezirk Kreuzberg. Nach einem kurzen Wortwechsel an der Tür fordern sie die Mieterin auf, sie aufs Revier zu begleiten – noch ist nicht klar, ob es sich bei ihr tatsächlich um die gesuchte Terroristin handelt. Allerdings gelingt es Daniela Klette noch, sich kurz auf die Toilette zurückzuziehen und ihren Komplizen Garweg per SMS zu warnen, der nicht weit entfernt in einem alten Bauwagen lebt: „Sie haben mich.“ Später finden die Ermittler in ihrer kleinen Wohnung 239.000 Euro in bar, Goldbarren, Pistolen, ein Sturmgewehr, Munition, aber auch Perücken, Klebebärte sowie Ausweise und Führerscheine mit den verschiedensten Namen. Unter einem Alias, Claudia Ivone, hat sie sogar ein Facebook-Profil angelegt. Die Fotos dort zeigen bunte Plakate des brasilianischen Vereins, in dem sie sich engagierte, und eine Frau von hinten, im Halbdunkel versonnen an einem Fluss sitzend.

    Unterstützer von Daniela Klette stehen vor dem Gerichtsgebäude.
    Unterstützer von Daniela Klette stehen vor dem Gerichtsgebäude. Foto: Sina Schuldt, dpa

    Fast 35 Jahre hat Daniela Klette im Untergrund gelebt, die meiste Zeit davon in Berlin – so wie Ulrike Meinhof, eine der Terroristinnen der ersten RAF-Generation, es einst empfahl: „Ihr müsst leben wie Fische im Wasser. Also möglichst in einer Großstadt, in Hoch- oder Mehrfamilienhäusern, wo man leichter anonym bleiben kann.“ Mit den Jahren allerdings, so scheint es, wird Daniela Klette unvorsichtig. Sie nimmt an Tanzkursen und am Karneval der Kulturen teil, wo auch Fotos mit ihr entstehen und ihren Weg ins Internet finden, sie reist mit gefälschten Papieren nach Brasilien und Südafrika und erzählt Freunden und Bekannten, dass sie in der Pflege arbeite und dafür häufig in Süddeutschland unterwegs sei. Tatsächlich jedoch, so vermuten es die Ermittler, hat sie in dieser Zeit mit ihren Komplizen Supermärkte und die Routen von Geldtransportern ausgespäht, die sie dann überfallen. Ihre Beute: alles in allem rund 2,7 Millionen Euro.

    Der Herbst 1977 hat sich ins kollektive deutsche Gedächtnis eingebrannt

    Lukas Theune, einer ihrer drei Anwälte, war noch ein Kindergartenkind, als Daniela Klette untertauchte. Er hat trotzdem schon einige Erfahrung mit politischen Mandanten: Klimakleber, Hausbesetzer, Aktivisten der verbotenen kurdischen PKK. Außerdem engagiert er sich in der Roten Hilfe, die Angeklagte und Inhaftierte aus dem linken Spektrum unterstützt. Dass die konkreten Beweise für Klettes Beteiligung an den Überfällen dünn seien, schreibt der Verein auf seiner Homepage, solle nun „durch tonnenschwere Aktenberge wettgemacht werden.“ Und überhaupt: „Schon in den ersten Tagen nach Danielas Verhaftung wehte der Geist des Deutschen Herbstes vor allem durch Berlin, als martialisch ausgestattete Großaufgebote brutale Razzien in Wohnungen und Wagenplätzen durchführten.“  

    Der Geist des Deutschen Herbstes 1977, als ganz Westdeutschland sich im Ausnahmezustand befand? Im Ernst? Damals entführte und ermordete ein Kommando der RAF Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, mit ihr verbündete palästinensische Terroristen kaperten die Lufthansa-Maschine „Landshut“ – und in Stammheim nahmen sich die RAF-Mitglieder Andreas Bader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis das Leben, nachdem die „Landshut“ kurz zuvor in der somalischen Hauptstadt Mogadischu befreit worden war. Es sind Tage, die sich ins kollektive Gedächtnis des Landes eingebrannt haben. 

    Klette wird der dritten Generation der RAF zugerechnet

    Daniele Marie-Luise Klette, die Tochter einer Zahnärztin und eines Vertreters aus Karlsruhe, ist da schon in linksextremistischen Gruppen und später auch in der Roten Hilfe aktiv. Wann genau sie den Schritt in den Terror geht, lässt sich nicht genau rekonstruieren, solange sie über ihre Vergangenheit schweigt. Sie wird der dritten Generation der RAF zugerechnet, die ihre Anschläge noch akribischer plant und noch weniger Spuren hinterlässt, ehe sie sich 1998 auflöst. Unter anderem werden den letzten Terroristen der RAF die Morde am damaligen Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und am Chef der Treuhandanstalt, Detlev Carsten Rohwedder, zur Last gelegt. Insgesamt hat die Rote Armee Fraktion zwischen 1971 und 1993 in ihrem Systemhass 34 Menschen getötet – Politiker, Manager, einen Generalbundesanwalt, mehrere ihrer Fahrer, drei US-Soldaten, holländische Zollbeamte, deutsche Polizisten. Kaum einer der Morde ist bis heute wirklich aufgeklärt.

    Darum aber geht es in Celle nicht. Oder etwa doch? „Wir haben hier kein Terrorverfahren“, warnt Undine Weyers, ihre dritte Verteidigerin. Daniela Klette selbst allerdings trennt die Dinge nicht ganz so sauber. „Ich bin mir meiner Lage bewusst“, sagt sie am Nachmittag in einer kurzen persönlichen Erklärung und verwehrt sich gegen das Bild von einer marodierenden Räuberbande, die zum Töten bereit gewesen sei. Tatsächlich gehe es doch um eine Abrechnung mit der Geschichte des Widerstandes – etwas Politisches also.

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