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Prozess: Boris Becker vor Gericht: Ende Legende

Prozess

Boris Becker vor Gericht: Ende Legende

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    Boris Becker wurde in Deutschland zum Nationalhelden, sein Leben glich oft einem Drama.
    Boris Becker wurde in Deutschland zum Nationalhelden, sein Leben glich oft einem Drama. Foto: Hendrik Schmidt, dpa (Archivbild)

    Als Boris Becker am 7. Juli 1985 auf dem Centre Court von Wimbledon den deutschen Tennis-Urknall in Szene setzte, hätte er danach vermutlich gar nicht einen gerissenen Geschäftemacher wie Ion Tiriac als Manager gebraucht. Große deutsche und internationale Firmen rissen sich damals um den 17-jährigen Rasenkönig, um den jüngsten Sieger aller Zeiten beim größten und bedeutendsten Turnier der Welt. Bald waren die Deutsche Bank, BASF, Ebel oder Mercedes an Beckers Seite, sportliche Geldgeber wie Puma durften ihr frühes Vertrauen in Becker nachträglich versilbern. „Nur das Beste ist gut genug für Boris“, sagte Tiriac seinerzeit mit diabolischem Grinsen, „wir können uns aussuchen, mit wem wir zusammenarbeiten.“

    Tiriac, einer der cleversten Manager in der Tennis- und Sportindustrie, ist heute einer der reichsten Bürger seines Heimatlandes Rumänien. Sein Firmenkonglomerat hat Milliardenwert, gerade hat er als Lizenzbesitzer ein Tennisturnier in Madrid für 400 bis 500 Millionen Dollar an den globalen Rechtevermarkter IMG verkaufen lassen.

    Beckers Ex-Manager: „Er hätte zu einem der reichsten Sportler werden können, ja müssen“

    Tiriac hat mit Becker einst die große Bühne betreten, er ist sehr groß geworden mit Becker, er hat auch Becker richtig groß gemacht. Aber während Tiriac nach dem Ende der Allianz mit dem Jungen aus Leimen immer weiter wuchs als Unternehmer und sein Imperium festigte, wurde Beckers Lage schwer und schwerer. Heute, gut 30 Jahre nach der Trennung von Tiriac, kann man Becker in Werbespots eines deutschen Vergleichsportals beobachten, in denen er etwas schal über Kreditvergaben spricht. So richtig verfangen will die Selbstironie, die Witzelei auf eigene Kosten, nicht.

    Boris Becker hat einst – mit seinem Manager Ion Tiriac (links) – die große Bühne betreten.
    Boris Becker hat einst – mit seinem Manager Ion Tiriac (links) – die große Bühne betreten. Foto: Harry Melchert, dpa (Archivbild)

    Was ist bloß schiefgelaufen mit Becker, dem einstigen Helden der Nation – bis hin zu diesen Tagen im März und April 2022, in denen er sich vor einem Londoner Gericht wegen Behinderung in seinem Insolvenzverfahren zu verantworten hat und eine Gefängnisstrafe befürchten muss? Am Mittwoch stellte die zuständige Richterin die Argumente, die für und gegen ihn sprechen, ausführlich dar; im Anschluss zogen sich die Geschworenen zu Beratungen zurück. An diesem Donnerstag treffen sie sich von 10 Uhr an erneut. Wann ihre Entscheidung fällt? Völlig unklar.

    Tiriac, Beckers einstiger Manager, jedenfalls kann kaum glauben, wohin Beckers Weg führte: „Er hätte zu einem der reichsten Sportler werden können, ja müssen“, sagt er, „aber er hat nicht mehr auf die Leute gehört, die das Richtige für ihn wollten.“ Tatsächlich hatte Becker in seiner Karriere nur zwei Berater von Format, die ihm kompetent mit Rat und Tat zur Seite standen – Tiriac und später noch den, inzwischen verstorbenen, Münchner Anwalt Axel Meyer-Wölden.

    Boris Becker droht eine Haftstrafe

    Vor Gericht in London hatte Beckers Verteidigung in den vergangenen Wochen eine simple Strategie entwickelt: Der sechsmalige Grand-Slam-Champion sei in Finanzfragen gewissermaßen unmündig. Sein Anwalt Jonathan Laidlaw präsentierte im Schlussplädoyer den einprägsamen, für die Medien gedachten Satz, Becker sei „hoffnungslos mit Geld“. Er habe über sein Vermögen, seine Konten, die Gegenstände im Insolvenzverfahren praktisch nichts Genaues gewusst – deshalb sei beispielsweise auch der Verbleib einer Replika seines ersten Wimbledon-Pokals ungeklärt.

    Einerseits deckte sich das mit einer Aussage der britischen Justizbeamtin Christine Derrett, die vor rund fünf Jahren bei der Bekanntgabe von Beckers Insolvenz – zunächst wegen offener Verbindlichkeiten gegenüber der Privatbank Arbuthnot Latham – etwas bedauernd erklärt hatte, Becker sei wohl ein „Mann, der den Kopf in den Sand steckt“, wenn es darum gehe, seine finanzielle Lage wahrzunehmen.

    Andererseits hatte Becker auf jene öffentliche Demütigung wütend reagiert und in einem Interview bemerkt, er sei „weder zahlungsunfähig noch pleite“. Es handele sich um eine einzelne Forderung eines einzelnen Gläubigers: „Sie können mir aber glauben, dass mein Vermögen ausreicht, um Forderungen in dieser Größenordnung zu erfüllen.“ Klang das wie der Return eines Mannes, der in völliger Ahnungslosigkeit über seine Finanzen war? Oder war das eine Trotzreaktion, um die Schlagzeilen über „Bankrott-Boris“ zu konterkarieren?

    Beckers Team hatte eine Aufgabe: Dem Chef bedingungslos dienen

    Eins jedenfalls ist offensichtlich: Mit seinem letzten Tag als Tennisspieler im Sommer 1999, der Achtelfinal-Niederlage gegen den Australier Pat Rafter in Wimbledon, endete für Boris Becker eine Zeit der klaren Verhältnisse, Ziele und Pläne. Im Wanderzirkus der Profis war anderthalb Jahrzehnte alles transparent für ihn. Es ging um Sieg und Niederlage auf dem Platz, seine beruflichen Einsatzorte waren festgelegt genauso wie die Prioritäten. Becker hatte ein Team von Helfern, das vor allem eine Aufgabe hatte: dem Chef bedingungslos dienen.

    Als Privatier wollte Becker sich von seinem vorherigen Leben emanzipieren und „anerkannt werden als jemand, der mehr als nur Tennis kann“. Im Big Business allerdings wollte er so reüssieren, als spielten sich die Dinge noch immer wie auf dem Centre Court ab. „Du sitzt in einer Verhandlung, hörst zu. Gehst in den Tiebreak und machst irgendwann die Big Points“, sagte er. Doch die wichtigen Punkte machte er eigentlich nie. Eines der ersten ambitionierten Projekte, das Internetportal „Sportgate“, scheiterte krachend. Eine Firma Beckers residierte in einem Büropalast in Unterföhring bei München – worin deren Geschäftstätigkeit genau bestand, konnte Becker aber nicht einmal annähernd erklären.

    Die Legende Boris Becker bekam schon 2003 Kratzer

    Schon 2003 bekam sein Image einen heftigen Kratzer ab, als es in München wegen Steuerhinterziehung „Die Bundesrepublik Deutschland gegen Boris Franz Becker“ hieß. Die jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Finanzbehörden fanden ein glimpfliches Ende für den einstigen Weltranglisten-Ersten, er kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Kurios genug, dass er das relativ milde Urteil auch einem gewissen Hans-Dieter Cleven zu verdanken hatte, dem früheren Generaldirektor der Schweizer Metro-Holding und Vermögensverwalter der milliardenschweren Beisheim-Gruppe. Cleven ist mittlerweile jener Mann, der als größter Gläubiger im Insolvenzverfahren gegen Becker auftritt. Seine Forderungen beliefen sich auf bis zu 35 Millionen Euro.

    Boris Becker, der Junge aus Leimen, wurde 1985 mit seinem Wimbledon-Sieg zu einem Weltstar.
    Boris Becker, der Junge aus Leimen, wurde 1985 mit seinem Wimbledon-Sieg zu einem Weltstar. Foto: Rüdiger Schrader, dpa (Archivbild)

    Über die gut 20 Jahre von Beckers Leben nach dem Centre Court verfestigte sich der Eindruck: Je weiter er sich vom Tennissport entfernte, desto schwieriger wurde es für ihn. Blieb er auf dem Terrain, auf dem er einst der Beste und Aufregendste war, feierte er auch später noch Erfolge.

    Als TV-Kommentator war Becker weltweit im Einsatz – und stets ein Gewinn mit hellsichtigen Analysen und tiefen Einblicken. Ein Engagement beim Weltranglisten-Spitzenreiter Novak Djokovic war ein Volltreffer, niemals war der eigensinnige Serbe so stabil und erfolgreich wie in der Ära der Partnerschaft mit Becker. Sogar eine Rückkehr zum Deutschen Tennis Bund, als Teamchef fürs Männertennis, blieb als Pluspunkt in Beckers Arbeitszeugnis stehen – obwohl er wegen Operationen am Sprunggelenk und an der Hüfte selbst kaum noch einen Ball schlagen kann.

    Becker-Berater kamen und gingen

    Beckers Leben als Tennis-Ruheständler war allerdings aufwendig, er lebte im Grunde weiter, als kassiere er nach wie vor viel Geld aus Turniersiegen oder Sponsoren-Engagements. Dabei häuften sich die Verbindlichkeiten, die Zahlungen an seine früheren Lebensgefährtinnen, der Unterhalt für die Kinder. Wer ihm half, war oft unklar, auch für Freunde. Berater kamen und gingen. Sein aktueller Rechtsbeistand Laidlaw erklärte im Londoner Gerichtssaal unumwunden, keiner der ehemaligen Partner Beckers sei eine Hilfe gewesen. Wobei das besonders auf jene Wochen zutrifft, die der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 2017 folgten. Damals hatte das „Team Becker“ die sonderbare Idee, Becker solle die drohende Zwangsvollstreckung in London mit diplomatischer Immunität abwenden – sein Pass als Sonderattaché für Sport und kulturelle Angelegenheiten der bettelarmen Zentralafrikanischen Republik stellte sich dann als Luftnummer heraus.

    Dass es ausgerechnet in London, seinem neuen Lebensmittelpunkt, zum Prozess gegen ihn kam, wirkt wie eine weitere Volte des Schicksals. Denn dort fühlte sich Becker tatsächlich zu Hause und akzeptiert, „so wie ich bin“. Und nicht so, wie er eben nach seinem Gefühl in Deutschland sein solle: „Da sehen mich die Leute immer noch als 17-jährigen Burschen, der gerade Wimbledon gewonnen hat“, meinte er. Die Briten dagegen kannten ihn als regelmäßigen TV-Gast in ihren Wohnzimmern, er war ihr Lieblingsdeutscher, vermutlich nicht nur im Sport.

    Dass Becker in seiner Heimat in Schwierigkeiten steckte, blieb ihnen weitgehend verborgen. Genauso wie fragwürdige TV-Auftritte wie der mit Comedian Oliver Pocher, als er eine Fliegenklatsche auf dem Kopf hatte. Umso erstaunter waren viele Briten, als ihnen Beckers Verfehlungskatalog im Insolvenzverfahren und jetzt vor dem Crown Court von der Staatsanwaltschaft aufgeblättert wurde, darunter das verbotene Abzwacken von Geld, das Gläubigern zugestanden habe.

    Vor Gericht sitzt Becker angespannt in seinem Glaskasten

    Im Gerichtssaal war bei Becker – der in einem Glaskasten Platz nehmen musste – auch nichts mehr von jener Laissez-faire-Haltung zu spüren, mit der er jahrelang über geschäftliche Fehlschläge hinweggegangen war. Meist saß er angespannt während des Verfahrens da, an der Seite seiner neuen Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro.

    „Ich habe vieles probiert, vieles hat auch geklappt, anderes nicht. Wem geht das nicht so“, hatte er vor Jahren einmal leichthin seinen Kritikern gesagt, „nur wird das bei Becker gleich zum Drama gemacht, zum Scheitern überhaupt. Bei mir geht es nur um Triumph und Tragödie.“ Damals fügte er hinzu: „Ich bereue nichts. Denn was wäre die Alternative gewesen. Ab 32 Jahren und dem Karriereende nur noch die Legende sein? Ich bin nicht zum Grüßaugust geboren.“

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