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Pro und Contra: TV-Lagerfeuer oder Einheitsbrei: Braucht es den "Tatort" noch?

Pro und Contra

TV-Lagerfeuer oder Einheitsbrei: Braucht es den "Tatort" noch?

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    Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, rechts) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, links) im Einsatz: Mit dem Fall "Spur des Blutes" am Sonntag feiern sie ihr 25. Dienstjubiläum als Kölner Kommissare.
    Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, rechts) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, links) im Einsatz: Mit dem Fall "Spur des Blutes" am Sonntag feiern sie ihr 25. Dienstjubiläum als Kölner Kommissare. Foto: Martin Valentin Menke, WDR/Bavaria Fiction GmbH

    Pro: Es gibt eigentlich kein "Tatort"-Ermittlerteam, das im Laufe seiner vielen Einsätze nur Mist abgeliefert hätte

    Fan zu sein, bedeutet auch zu leiden. Das gilt vor allem für Anhänger von Fußballklubs mit Kultstatus („Sechziger“-Freunde und „Clubberer“ wissen das zur Genüge). Der „Tatort“ kann ebenfalls auf eine solide, leidensfähige Fan-Basis zählen. Da muss man sich zuweilen nach 90 Minuten – Verlängerungen sind in diesem Format nicht vorgesehen – ächzend vom Sofa erheben und mit einem „Na ja“ auf den Lippen entweder ins Bett oder zum Kühlschrank gehen. Aber ist das ein Grund, auf das manchmal mittelprächtige Vergnügen zu verzichten? Natürlich nicht.

    So wie die Bundesliga gehört der „Tatort“ zu den wochenstrukturierenden Ereignissen, aber im positiven Sinn, denn er liefert einerseits immer Gleiches wie die Leiche am Anfang, aber doch auch immer Überraschendes. Es gibt eigentlich kein Ermittlerteam, das im Laufe seiner vielen Einsätze nur Mist abgeliefert hätte. Es waren stets Höhepunkte dabei, auch beim leider gerne holzgeschnitzten Ludwigshafen-Team.

    Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in einer "Tatort"-Folge aus Ludwigshafen – hier mit ihrem Schauspielerkollegen Götz Otto.
    Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in einer "Tatort"-Folge aus Ludwigshafen – hier mit ihrem Schauspielerkollegen Götz Otto. Foto: Benoit Linder, SWR/ARD

    Es mag sich in 50 Jahren eine gewisse Routine eingeschlichen haben, doch immer noch liefert der „Tatort“ Folgen, in denen aktuelle Themen verhandelt werden, die dem handelsüblichen Dauermeucheln im TV auch etwas von Substanz und Relevanz entgegensetzen. Dass dies leider allzu oft mit dem pädagogischen Holzhämmerchen geschieht, ist kein Grund, es sein zu lassen. Die Schreiberinnen und Schreiber von Drehbüchern müssten sich mehr Mühe geben. Doch immer noch wird versucht, Neues zu schaffen, die Grenzen auszuloten, besonders gerne bei den „Murot“-Folgen. Die Lust am Experiment hat der „Tatort“ nicht verloren.

    Andererseits muss man einfach sagen: Der „Tatort“ ist auch nur eine Unterhaltungssendung. Sie muss nicht unbedingt hochkulturelle Ansprüche erfüllen, obwohl das gerne gefordert wird, weil es sich ja irgendwie um deutsches Kulturgut handelt. Das erinnert an die Fußball-Nationalmannschaft, deren Leistung ein 80-Millionen-köpfiges Trainerteam bewertet.

    Mittlerweile ist das Mord-und-Totschlag-Genre stark ausgeufert. Jeder Fernsehsender hat diverse Krimiserien im Programm, und dann gibt es ja noch die Streaming-Dienste. Das alles hat sicherlich den Blick und die Ansprüche geschärft, denn da wird nicht nur Konfektionsware à la „Die Rosenheim-Cops“ abgespielt, sondern auch wirklich Gutes produziert. Aber während immer mehr Krimis wie Reisebilderbücher mit ein paar Verbrechenstatbeständen wirken, bildet der „Tatort“ auch gerne bundesdeutsche Provinz ab.

    Und noch eins: Er gehört einfach zur Familie, weil die Fahndungsteams einem ans Herz wachsen, wie die „grauen Panther“ aus München oder die Clowns aus Münster. So können wir denn jederzeit die Frage beantworten: „Wo waren Sie am Sonntag zwischen 20.15 und 21.45 Uhr?“ – „Zu Hause, ,Tatort’ schauen.“

    Jubilare: das „Tatort“-Dream-Team Thiel/Boerne (Axel Prahl/Jan Josef Liefers, rechts).
    Jubilare: das „Tatort“-Dream-Team Thiel/Boerne (Axel Prahl/Jan Josef Liefers, rechts). Foto: Guido Kirchner, dpa

    Contra: Der "Tatort" krankt an holzschnittartigen Figuren, platten Dialogen und Klischees

    Der „Tatort“ aus Köln brachte vor 25 Jahren Sozialkritik und internationale Drehorte. Mit dem Lindholm-„Tatort“ wurde vor 20 Jahren die Provinz entdeckt. Das Duo aus Münster bereicherte vor 20 Jahren mit schwarzem Humor und Klamauk die Sonntagskrimi-Welt. Und vor zehn Jahren trat mit Peter Faber ein depressiver Ermittler als Part eines Dortmunder Quartetts seinen Dienst an. Jeder „Tatort“ war auf seine Weise innovativ und entwickelte das Format teils mit riesigem Erfolg weiter. Heute ist ja fast vergessen, dass die seit 1970 ausgestrahlte ARD-Krimireihe nicht immer schon „Kult“ war.

    Dass der „Tatort“ innovativ sei, würde heute wohl niemand mehr ernsthaft behaupten. Erzählerisch und filmisch richtungsweisend für das Krimi-Genre sind insbesondere Serien. Die sind in den vergangenen Jahren in hoher Qualität auch in Europa und auch von öffentlich-rechtlichen Sendern produziert worden. Sie haben Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen verändert.

    Vergleicht man die Machart von „Tatort“-Folgen mit der von „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“, von „Die Brücke – Transit in den Tod“, von „Broadchurch“, von „The Fall – Tod in Belfast“ oder von „Die Toten von Turin“ (um wenige Beispiele zu nennen), wird schnell offensichtlich, woran es dem „Tatort“ mangelt. Gute Schauspielerinnen und Schauspieler sind es nicht.

    Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) in ihrem Jubiläums-"Tatort". Die Folge "Die Rache an der Welt" erhielt viele schlechte Kritiken.
    Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) in ihrem Jubiläums-"Tatort". Die Folge "Die Rache an der Welt" erhielt viele schlechte Kritiken. Foto: Christine Schroeder, NDR

    Der „Tatort“ krankt gegenwärtig an holzschnittartigen Figuren, die oft nur Funktionsträger sind, um die oft schwache Geschichte voranzutreiben; an platten, künstlichen oder pathetischen Dialogen; an überfrachteten, selten mitreißenden Handlungen; an der Aneinanderreihung von Klischees.

    Und vor allem daran, dass man Zuschauerinnen und Zuschauern nichts zutraut. Statt in ihren Köpfen Spannung durch Andeutungen oder Auslassungen entstehen zu lassen, hämmert man ihnen in Bild und Ton alles vermeintlich Wichtige ein. Es scheint, als mache man den „Tatort“ für Menschen, die ermattet von der zurückliegenden Arbeitswoche mit der Aussicht auf eine neue auf dem Sofa dahindösen. Beides wäre traurig.

    Dass der „Tatort“ überhaupt von einem Millionenpublikum gesehen, auf Twitter wie ein Fußballspiel kommentiert und von Filmkritikern wie ein Großereignis besprochen wird, hat mit seinem Kultcharakter als eines der letzten TV-Lagerfeuer zu tun. Mit gelernten Sehgewohnheiten. Mit Nostalgie. Schaute man einst mit den Eltern, schaut man nun mit den Kindern. Fragt sich: Wie lange noch?

    Depressiv, spröde, eigenwillig: Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann). Vor zehn Jahren trat er als Teil des Dortmunder Teams an.
    Depressiv, spröde, eigenwillig: Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann). Vor zehn Jahren trat er als Teil des Dortmunder Teams an. Foto: Thomas Kost, WDR/Bavaria Fiction GmbH/dpa

    Denn dass der „Tatort“ wegen seiner erzählerischen und filmischen Güte geschaut würde, hört und liest man selten. Dabei wäre das wünschenswert. Dazu bedarf es aber eines (Qualitäts-)Sprungs, wie es ihn mit dem Kölner oder Münsteraner „Tatort“ durchaus gab. Folgen, wie sie momentan fast jeden Sonntag laufen, braucht es nicht. Zumal herausragende Krimis in Zeiten internetfähiger Empfangsgeräte nicht weit sind.

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