Als Schimanski wirkt er oft latent aggressiv. Jetzt, wenn er so gemütlich dasitzt im Café des Berliner Kempinski-Hotels am Kurfürstendamm, ist davon nichts zu spüren. Dabei hätte Götz George allen Grund dazu, misslaunig zu sein. Er muss ein Interview geben. Seit Jahren habe er das nicht mehr gemacht, sagt er und stellt im Laufe des Gesprächs klar: "Ich mag das einfach nicht." Diesmal mache er es auch nur aus Gefälligkeit gegenüber der Produktionsfirma und dem WDR. Mit 72 ist der deutsche Schauspielstar noch einmal in die Rolle des Ruhrpott-Kommissars Schimanski geschlüpft.
Nebenan prasselt das Kaminfeuer, hinter George hängen mächtige Wandteppiche, rundherum Krawattenträger und aufgetütelte Muttis. Der Schauspieler sitzt in hautenger Laufhose und Fleecehemd als eine Art Fremdkörper unter ihnen. Man erwartet den Händedruck eines Schraubstocks. Doch die Begrüßung geht ohne Schmerzen vonstatten. Sein Blick geht zunächst an einem vorbei. Ist das Methode, um Journalisten einzuschüchtern? Dann nimmt George sein Gegenüber ins Visier, schaut, mit wem er es zu tun hat. Dumme Fragen beantwortet er nicht, das wurde einem im Vorfeld zugetragen. Wie also einsteigen in einen Dialog mit ihm, ohne gleich auf der Schleimspur auszurutschen?
Die erste Frage wird gleich zur Farce. Wie war es beim 45. Schimanski? Die Antwort dementsprechend kurz. "Kalt." Lange Pause. Doch George fährt plötzlich fort, ausgiebig von den Dreharbeiten zu erzählen. An vielen Tagen sei es eisig gewesen, sie hätten Mühe gehabt mit Sprache und Bewegungen und so weiter. "Bevor einer blöde Fragen stellt, rede ich einfach zu."
Kaum ein Tatort-Kommissar scheint mit seiner Figur so verwoben wie Götz George mit Schimanski. Manchmal muss man es sich geradezu verkneifen, ihn mit Herr Schimanski anzusprechen. Wie viel von George steckt wirklich im Polizisten? Der Gefragte fährt sich sinnend durchs Haar. Dann antwortet er bestimmt: "Ich bin anders strukturiert und habe einen anderen Lebenswandel." Er habe sich diese Rolle, die ihn schauspielerisch aufgrund der vielen "Privatismen" durchaus fordere, passend so zurechtgelegt, erzählt er. Noch mal, zum Mitschreiben: "George hat mit Schimanski nichts zu tun."
Wenn man die Biografien der beiden vergleicht, ist das durchaus richtig. Der eine trinkt viel Bier, der andere genießt Rotwein in Maßen, der eine ist im Ruhrpott in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, der andere in einer berühmten Berliner Schauspieler-Familie. Vater Heinrich, Götz' großes persönliches Vorbild, war ein großer Film- und Theaterstar seiner Zeit, seine Mutter Berta Drews ebenfalls eine bekannte Schauspielerin.
Der Vater, der seinem Sohn den Vornamen in Anlehnung an seine Lieblingsrolle Götz von Berlichingen gab, starb 1946 im sowjetischen "Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen". Götz George wuchs mit seinem älteren Bruder bei seiner Mutter in Berlin auf, besuchte dort die Berthold-Otto-Schule und später bis zur mittleren Reife das Lyceum Alpinum in Zuoz.
Bereits mit elf stand er erstmals vor der Kamera. "Gleich nach meiner ersten großen Rolle hatte ich eineinhalb Jahre lang ein Magengeschwür", erinnert sich George. Er sei damals völlig überfordert gewesen. Doch aufgeben war und ist nicht seine Art. Es ging weiter, immer weiter. Georges Leben erinnert an das Motto des Torwarts Oliver Kahn. Das Ergebnis nach fast 60 Jahren: eine Filmografie, die Schränke füllt.
Die Frage, ob er rückblickend alles richtig gemacht habe, bringt George kurz ins Grübeln. Dann antwortet er: "Das war schon gut so, das war wichtig. Ich habe ein bisschen meine Jugend geopfert, aber das gar nicht so gemerkt. Erst als ich später die Karl-May-Filme drehte, spürte ich, wie viel Spaß ich daran hatte und dass es wohl eine Art Kompensationsverhalten war."
George spricht lieber über die Gegenwart als über die Vergangenheit. Er kommt zurück zu Schimanski. "Wir mussten 23 Tage unendlich hetzen, damit wir Qualität liefern konnten." Er erzählt, was man halt so von einer Filmproduktion zu berichten weiß, die sich von den anderen 42 vorherigen im Grunde nicht wesentlich unterscheidet. Der Titel lautet frei nach Dostojewski "Schuld und Sühne". Die Handlung spielt in seinem früheren Polizeirevier. Schimanski ist im Film einige Jahre jünger und trotzdem schon Pensionär. Als ein junger befreundeter früherer Kollege Selbstmord begeht, ermittelt er auf eigene Faust. Das Thema: Korruption bei der Polizei, es geht um gute Beamte, böse Beamte, um den schwierigen Alltag der Ordnungshüter und die Verlockung, Bestechungsversuchen nachzugeben.
Alles nicht neu, die Bilder aber sind eindrucksvoll, die Erzählweise ansprechend. Vor allem aber die Darsteller bringen Qualität in den Film. Im Vergleich zu den meisten anderen Krimis spielen sie mitreißend, präzise und nicht zu aufdringlich. Vor allem Hannes Jaenicke und George. Der will das Kompliment selbst nicht bestätigen: "Das würde eitel klingen."
Georges Gesten sind zurückhaltend. Nur mit seiner linken Hand unterstützt er seine Worte, dirigiert sie gewissermaßen zum Gesprächspartner. Für den Alten, sagt George, und könnte sowohl sich als auch Schimanski meinen, "war's immer noch verhältnismäßig viel Action".
Thema Alter, Zeit einzuhaken. George prügelt sich in einer Szene mit dem bösen Bullen, gespielt von Jaenicke, wie in jungen Jahren. Geht das noch problemlos? Er lächelt. "Sie sehen es nur einmal, wir müssen es aber sogar drei- bis viermal hintereinander machen. Tja, früher sei das einfacher gewesen. Eine Einstellung nur, jetzt würde von jeder Seite gefilmt. "Sie gehen auf Nummer sicher", sagt er.
Er selbst tat dies nicht: "Nee, ich hab' mich auf die Rolle nicht speziell vorbereitet. Ich hab' ja mein Leben lang Sport getrieben. Nein, nicht in der Muckibude, ich mache einfach täglich mein Training." Das heißt für ihn: Laufen, Rad fahren, Schwimmen. George ist konsequent, wenn es um Fitness geht. So hat er auch Schimanski gespielt. Als Alltagsphilosophen mit Schlagkraft. Noch immer hat Schimmi Nehmerqualitäten und kann ebenso austeilen. Auch Clint Eastwood ist im Alter noch genauso gut drauf. Diese Kraft sei in ihm drin. "Schimmi kann man immer noch abnehmen, dass er ein, zwei Leute verprügeln kann."
Was wird in den nächsten Jahren aus dem Kommissar a. D.? "Weiß ich nicht." George wird wortkarg, denkt nach und antwortet ein wenig bissig: "Wenn er eines Tages nicht mehr gedreht wird, werden Sie von der Presse es als Letztes erfahren. "Er wird nicht sterben, wir lassen ihn einschlafen. Kein spektakulärer Abgang. Das wäre fürchterlich."
Im Grunde will sich George mit dem Thema nicht auseinandersetzen, wie er sich auch selbst nicht mit dem Alter belastet. Der 72-Jährige ginge locker auch zehn Jahre jünger durch. Er weiß das und kokettiert damit. Heute sei er besser beieinander, als vor seiner schwere Operation 2007. Die Ärzte führten damals einen künstlichen Herzstillstand herbei, weil die Aorta aufgrund einer Gewebeschwäche viel zu dick war. Sein Verhältnis zum Tod ist heute wie damals ohne jede Sentimentalität. "Ich sagte mir, wenn die platzt, haste 'nen schönen Tod."
Der Schauspieler schaut einem ernst in die Augen und sagt: "Wenn ich abgerufen werde, werd' ich eben abgerufen. Blöde wär, wenn ich körperlich beschädigt werden würde. Aber immerhin könnte ich sagen: Du hast dich nie unterkriegen lassen, bist nie faule Kompromisse eingegangen, hast mit der Presse nicht unnötig geredet."
Wer George sieht, denkt aber nicht ans Sterben. Im Gegenteil. Seit einigen Jahren lebt er in seiner Wahlheimat Sardinien. Deutschland hat er schon vor Jahren verlassen, der Alltag sei ihm dort zu hektisch geworden. "Ich liebe die Einsamkeit, habe mich einfach ausgeklinkt. Das ist mir sehr gut bekommen." George zog bereits den Schlussstrich, wie er es nennt: "Ich bin nur mehr zu Besuch in meinem eigenen Vaterland. Das mit der Einsamkeit behalte ich bis ans Lebensende bei."
Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen sind ihm auch rote Teppiche, glamouröse Events und der ganze schöne Schein zuwider. "Ich muss niemand mehr etwas beweisen", sagt er. Künstlerische Ziele habe er keine mehr. Hollywood? "Interessierte mich noch nie." Auch zu den meisten seiner Kollegen pflegt er keinen engeren Kontakt. Seine Freunde kommen nicht aus der Branche. Mit einem engen Kreis von fünf, sechs Leuten, "die haben sich seit Jahrzehnten bewiesen", hält er steten Kontakt. "Da kann ich mich immer melden, die sind dann immer da." Der Schauspieler pendelt heute zwischen Sardinien, Berlin und Hamburg, wo seine Lebensgefährtin Marika Ullrich, eine Journalistin übrigens, arbeitet. Von 1966 bis 1976 war er mit der Schauspielerin Loni von Friedl verheiratet. Seine Tochter Tanja entstammt der Ehe.
Zu ihr hat er nach wie vor ein inniges Verhältnis, obwohl sie in Australien lebt. Die beiden telefonieren regelmäßig und besuchen sich zumindest einmal im Jahr. Für sie heißt Deutschlands großer Schauspieler nicht Götz George, sondern Papa Putzi.
Wie kommt's? "Wir hatten in unserer Familie seit jeher alle Spitznamen. Die haben die Kinder erfunden." Sein Vater Heinrich habe das gut gefunden, besser als nur Vorname und Papa. So entstanden lustige Phantasiebegriffe: "Mein Bruder hieß Hümpe, meine Mutter Tusch, mein Vater Pamsso und ich Putzi. Wenn einer mich früher Götz rief, hatte ich immer das Gefühl "Oh Gott, du hast etwas ausgefressen." Ein Unbekannter nähert sich dem Tisch, dreht aber dann doch ab und wünscht im Vorübergehen "ein frohes Fest, Herr George". Papa Putzi winkt, lächelt und grüßt zurück: "Auch 'n frohes Fest!"