Als Melly Böwe (Lina Beckmann) zur hartgesottenen Rostocker Fahndertruppe stieß, probierte sie noch, sich als nette Betriebsnudel zu etablieren, die Schokomuffins bäckt, um freundlich aufgenommen zu werden. Nun entscheidet sie sich, besser mal Saures statt Süßes zu geben. Als der Kollege Thiesler (Josef Heynert) sie hartnäckig anzickt, weil sie künftig den Ton angeben soll und nicht er, muss sie ihm erst mal einen einschenken, damit er weiß, wer die Nummer eins ist. Willkommen im am schlechtesten gelaunten Polizeirevier im Sonntagabend-Krimiland. Doch da draußen laufen noch viel mehr mies gestimmte Menschen rum, die einander hässliche Dinge antun. In der Folge "Polizeiruf 110: Nur Gespenster" (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) sind sie besonders hässlich.
In den ersten "Polizeiruf"-Minuten fließt reichlich Blut
Schon die ersten Minuten sind harter Stoff: Auf einem Glastisch festgeschnallt liegt die blutige Leiche eines Mannes und der bekanntermaßen empathiefreie Pöschel (Andreas Guenther) referiert die grausigen Details, um trocken zusammenzufassen: "Folter vom Allerfeinsten." Aber ist Blut, das in Zeitlupe zu Boden rinnt, wirklich das Schlimmste in dieser Episode? Natürlich nicht. Je weiter der Abend fortschreitet, desto mehr entfaltet sich ein Fall, der nicht mehr mit brachialen Bildern protzen muss, denn allein das Gesagte verdichtet sich zu Bildern, die wie Bomben im Hirn einschlagen.
Die "Polizeiruf"-Fahnderinnen treffen auf eine Horrorgestalt
Das Opfer auf dem Tisch war nicht der Gutmensch, als der er öffentlich erscheinen wollte. Am Tatort findet sich DNA, die zum Fall eines seit 15 Jahren vermissten Mädchens führt. War sie die Täterin? Hat sie sich an dem Schwein gerächt, das ihr einmal Unvorstellbares angetan hat? Melly Böwe und ihre kratzbürstige Kollegin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) werden bei den Ermittlungen mit einer Familie konfrontiert, die so gespenstisch wirkt, wie es der Titel suggeriert. Vor allem die Mutter Evelyn Sonntag (Judith Engel) schwebt wie eine neben der Welt stehende, ausgemergelte Horrorgestalt durch ihren Alltag – und man glaubt, im Wohnzimmer einen kalten Hauch zu spüren.
Eigentlich wanken durch diesen Missbrauchsfall schon sehr viele Gespenster, doch zusätzlich wird Katrin König, die einst über die Ostsee aus der DDR geflohen ist, von einem ganz persönlichen Geist verfolgt: ihrem Vater, der so unerwartet wie unerwünscht wieder in ihr Leben tritt. Das wirkt dann doch arg aufgesetzt, weil in der Krimihandlung ohnehin permanent die Vergangenheit durch die Gegenwart spukt. Auf diesen Zombie hätte man getrost verzichten können. Das trübt ein wenig den Gesamteindruck dieses wieder mal bewegenden und atmosphärisch über weite Strecken packenden "Polizeirufs".