Krimi wie früher. Pausenlos wird gepafft, pausenlos an Plattenbauten vorbei gelatscht, pausenlos Ostalgie geschnuppert. Da werden nicht fünf Erzählstränge miteinander verknüllt und am Ende wieder mühsam auseinanderklamüsert. Eine Geschichte, einmal sauber durcherzählt – fertig. Ein Polizeifilm, in dem das sekundenlange Schweigen des Kommissars den Sound ausmacht. Ach, wie altmodisch. Ach, wie wohltuend.
Fast drei Jahre liegt der erste "Polizeiruf 110" aus Halle (Saale) mit dem Ermittler-Duo Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider) zurück – es war der Jubiläums-Krimi zu 50 Jahre Ost-"Tatort". Erst jetzt (warum eigentlich?) folgt Episode zwei. In "Der Dicke liebt" (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) hat wieder Thomas Stuber Regie geführt, wieder hat er gemeinsam mit Clemens Meyer das Drehbuch geschrieben. Eine eingespielte Truppe also. Bedeutet eben auch wieder ein sehr spezielles Ambiente, mag man es gut finden oder nicht.
Im neuen Polizeiruf 110 beschäftigt ein Kindermord die Ermittler
Die Handlung ist schnell erzählt und ganz harte Kost: Die achtjährige Inka liegt tot in einer Kleingartenanlage. Sie wurde sexuell misshandelt und ermordet. Klar, dass der dem Flachmann verfallene Koitzsch und sein sensibler Kollege Lehmann erst mal den naheliegenden Verdächtigenkreis einzuengen versuchen: die ziemlich kaputte Familie des Opfers, die Pädophilen aus dem Strafregister, ein paar Obdachlose, aber auch Inkas sonderbarer Mathelehrer Herr Krein. Ein sehr beleibter, sehr schwitzender, sehr auffallender Mann, dessen einzige Lebensbegleiter außerhalb der Grundschule eine auf dem heimischen Sofa sitzende Kuscheltierherde ist. Und den Sascha Nathan ganz großartig spielt.
Die Ermittlungen stellen sich als Tortur heraus, die Koitzsch mehr als einmal im Alleingang zu bewältigen versucht, weil er seinen vom Kindermord arg mitgenommenen Kollegen schützen will. Irgendwann sagt er: "Ich brauch dich ausgeruht, Michi. Kuck mich an. Willst du, dass hier zwei Zombies ermitteln?"
Koitzsch und Lehmann steuern mit Ansage auf die Katastrophe zu
Was ist Wahrheit, was Klischee, was Vorverurteilung? Alles dreht sich um diese Fragen. Das Drama steuert mit Ansage auf die Katastrophe zu. Ja, da kommt mancher Dialog etwas hölzern daher. Da ist Erwartbares dabei. Und dass im Jahr 2024 Schulkinder auf dem Pausenhof beim Eintreffen der Streifenwagen noch immer im Chor singen: "Eins, zwei, drei – Polizei!" und der Psychologe, der erfolglos Koitzsch therapiert, gekleidet ist wie ein Mitglied des DDR-Politbüros – nun ja.
Und doch: Der Halle-"Polizeiruf" hat was. Ein leiser, vergleichsweise einfach strukturierter Film, der sich Pausen gönnt und zwei Kommissare vom alten Schlag verträgt. Bitte nicht erst wieder in drei Jahren.