Warum sie sich das ausgesucht habe, will eine Jugendliche von Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger) bei einem Gespräch über Gewaltprävention wissen. Warum sie die ganze Zeit mit Verbrechern verbringen möchte? „Schöne Frage“, antwortet Eyckhoff nach kurzem Nachdenken, und dass sie ja eigentlich mehr Zeit mit den Opfern verbringe. Dass sie die Beziehungen interessieren, die Menschen miteinander haben.
Die Ermittlerin hat zu sich gefunden - und macht aus dem Münchner „Polizeiruf“ einen der besten Sonntagskrimis
Es ist die Beschreibung einer Krimifigur, die zu sich selbst gefunden hat – und die den Münchner „Polizeiruf 110“ zum vielleicht besten Sonntagskrimi macht; mit einer modernen jungen Frau als einfühlsame Ermittlerin in gut beobachteten Münchner Geschichten. Wie „Das Licht, das die Toten sehen“ (ARD, Sonntag, 20.20 Uhr), Eyckhoffs fünfter Fall, eine ist. Sie ist inzwischen ja bei der Mordkommission, und bekommt mit Dennis Eden (Stephan Zinner) einen alten, neuen Kollegen vom Sendlinger Revier, der bisweilen widerborstig ist wie der Kaktus, den er auf seinen Schreibtisch stellt.
Die beiden müssen sich um die 16-jährige Laura kümmern, die eingewickelt in Plastikfolie und erstochen in einer Hochhaussiedlung neben einer Eislaufhalle gefunden wurde – und die Eyckhoff nicht nur vom Aussehen her an den Fall eines Mädchens erinnert, das zwei Jahre zuvor fast spurlos verschwand: Anne.
Irritierenderweise taucht ein weiteres Mädchen auf: Steffi (Zoë Valks). Die sieht aus wie Laura und Anne, und auch sie kreist – auf Rollschuhen – um den „Eistanz Palast“. Wo sie Drogen vertickt. Schließlich ist da noch Annes Mutter, Caroline Ludwig (Anna Grisebach), die wie ein Gespenst überall auftaucht und ihren Kummer in einer Tankstelle mit Alkohol wegzuspülen versucht ...
Dieser "Polizeiruf 110" zeigt ein München, das einer Diskothek ähnelt, die erst geöffnet hat – ein trauriger Ort
Sie alle sind Figuren, wie sie sich Friedrich Ani ausgedacht haben könnte, der mit seinen Tabor Süden-Romanen oder seinen Drehbüchern für „München Mord“ die Landeshauptstadt um Geschichten über Einsamkeit und Verzweiflung bereichert hat. Seine Geschichten sind nicht krawallig oder krachledern, sie sind still und beklemmend und empathisch. In ihnen darf und muss geschwiegen werden.
Ein „Polizeiruf 110“ wie ein Tabor Süden-Roman – das ist ein großes Kompliment vor allem an Sebastian Brauneis und Roderick Warich (Drehbuch), an Markus Thiermeyer (Licht) und Filippos Tsitos (Regie). Tsitos’ München ist erleuchtet von Discolichtern und Lichterketten in kalten Tönen. Es ist ein München, das einer Diskothek ähnelt, die erst geöffnet hat – ein trauriger Ort. So traurig wie das Ende seines „Polizeirufs“.
Stephan Zinner vergleicht dessen Atmosphäre mit der des Portishead-Albums „Dummy“ von 1994. Das sollte man unbedingt im Anschluss hören.