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Politische Berlinale: kein Platz für die AfD

Filmfest in Berlin

Glanz und Düsternis – so lief die Eröffnung der Berlinale ab

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    Politische Berlinale: Papis Loveday und Pheline Roggan positionieren sich gegen rechts.
    Politische Berlinale: Papis Loveday und Pheline Roggan positionieren sich gegen rechts. Foto: Imago, Marina Takimoto

    Schlechte Zeiten sind die besten Zeiten für das Kino. Et voilà, in Berlin sind diese Zeiten zu bestaunen. Auf dem roten Teppich vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz geben Stars den Fans und Fotografen, was sie erwarten. Der ergraute Ulrich Matthes beherrscht das Spiel, folgt den Kommandos der Blitzlichter, bewegt sich so, dass Bilder mit Tempo herauskommen. Einen Moment später ist er abgemeldet. „Hannah, dreh dich noch mal“, rufen die Bildermacher Hannah Herzsprung zu, die tut, was ihr aufgetragen wird. Beim Defilee wirkt sie gar nicht zerbrechlich, wie die Frauen, die sie oft in ihren Filmen spielt. Und Jürgen Vogel vertrödelt gefühlt eine halbe Stunde bei der Einlasszeremonie, ehe er die 50 Meter bis zum Eingang geschafft hat.

    Cilian Murphy und Matt Damon eröffnen mit gemeinsamem Film

    Ein paar Gläser Champagner später – weiß oder rosé – kommen die Großen. US-Superstar Matt Damon schreitet mit dem irischen Superstar Cilian Murphy („Oppenheimer“) heran. Die beiden werden von den bekannten deutschen Schauspielern ehrfürchtig angeschaut, wie sie sonst selbst angeschaut werden. Sie haben zusammen den Eröffnungsfilm der Berlinale gemacht, der als Weltpremiere läuft. Damon als einer der Produzenten, Murphy als Hauptdarsteller. Die Gäste sitzen schon samt und sonders im Kinosaal, als die zwei und die zugehörige Mannschaft Einzug halten.

    Die Bars haben vorsorglich geschlossen, damit sich alle dem hingeben, wofür diese Kunst erschaffen ist. In einem dunklen Raum auf weiter Leinwand bewegten Bilder zuzusehen. Doch davor, so will es das Ritual, kommen die Reden. Die Berlinale wird heuer 74, also ist der Ritus ziemlich festgefügt. Es gibt kleine Abweichungen. Iris Berben erschrickt, als sie der Moderator zur Grande Dame des Deutschen Kinos erklärt. Grande Dame ist man frühestens ab 80 Jahren, dabei ist Berben – großzügig betrachtet – zehn Jahre jünger. Die Moderatorin schäkert ironisch mit Matt Damon, der nur noch sagen kann, wie fantastisch Berlin ist.

    Ausgeladen: Berlinale ohne AfD-Mitglieder

    Dann aber Kulturstaatsministerin Claudia Roth, sie darf offiziell eröffnen. In einem glitzernd-floralen Kleid spricht sie von der Kraft des Kinos, Geschichten zu erzählen. Geschichten über das Leben und Menschen. Und Menschen seien eigentlich auch eine Summe von Geschichten. Am stärksten sind ihre Worte, wenn sie sich mit ihrer eigenen Geschichte verbinden. Dem Kampf für Anerkennung, Verschiedenheit und gegen rechts. 

    In den Tagen vor der Eröffnung hatte das Festival seinen ersten kleinen Skandal. Abgeordnete der AfD wurden von der Gala ausgeladen. „Gegen ihren Rassismus und ihren Hass setzen wir die Schönheit der Verschiedenheit, setzen wir Respekt und Mut, setzen wir Freude und Verständigung“, ruft Roth in den Saal. Sie brandmarkt die aufflammende Judenfeindlichkeit, die der Krieg im Gazastreifen auch in Deutschland ausgelöst hat. Aber die Grünen-Politikerin zeigt auch Mitgefühl mit den Tausenden Toten, die die Palästinenser zu beklagen haben. Eindringlich hofft sie, dass „jeder Film eines internationalen Festivals, jede Geschichte, die erzählt wird, uns hilft, einander besser zu verstehen“.

    Small Things Like These: Sozialkritik erreicht das Publikum

    Die erste Geschichte dieser 74. Berlinale, der erste Film, macht dieses Verstehen nicht einfach. „Small Things Like These“ – etwa „Kleine Dinge wie diese“ – erzählt von einem Kohlehändler aus der irischen Provinz. Tief katholisch und arm ist dieses Irland Mitte der 80er-Jahre. Murphy spielt diesen sensiblen, Kohlesäcke schleppenden Mann, der in der Vorweihnachtszeit den moralischen Abgrund der mächtigsten Organisation des Landes erkennt – der katholischen Kirche. Er beliefert mit seiner Kohle auch ein Nonnenkloster, in dem sich die Dienerinnen des Herrn gefallener Mädchen annehmen, die ungewollt und zu ihrer großen Schande schwanger geworden sind. Der Kohlenmann ist selbst Kind eines solchen Mädchens. „Du hattest immer ein weiches Herz“, sagt seine Frau zu ihm. 

    Er entdeckt ein im Kohlenschuppen eingesperrtes Mädchen, erfährt den Drill und Psychoterror, dem die Frauen unter der diabolischen Oberin ausgesetzt sind. Schließlich rettet er eines der gefallenen Mädchen und nimmt es mit zu seiner Familie nach Hause. Den Rat seiner Frau und einer guten Freundin, sich nicht mit der Kirche anzulegen („Die Nonnen haben ihre Finger überall im Spiel“), übergeht er, weil er es mit seinem Gewissen nicht mehr aushält. Der Film arbeitet mit der klassischen katholischen Symbolik des Bösen. Die Raben als Totenvögel, die Flammen der Kamine als Höllenfeuer, die Hände, die der Kohlemann jeden Abend schrubbt, aber sich die Schuld nicht mehr abwaschen kann. Es wird nie richtig hell und das winterliche Grau entfaltet eine drückende Schwere. Nach gut zwei Stunden spendet ein bewegtes Publikum Applaus, aber er ist gedämpft, nicht euphorisch. Die Geschichte aus Irland wirkt, die Herzen sind weich. Zurück zum glitzernden Glanz ist es nicht ganz so leicht. Champagner und Drinks helfen dabei. Berlinale-Partys gehen bis in den Morgen. 

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