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Podcast-Tipps: Diese sechs Recherche-Podcasts sollten Sie 2023 gehört haben

Allein auf Spotify gibt es mehr als 70.000 deutschsprachige Podcasts. Wir verraten, welche sich lohnen.
Podcast-Tipps

Diese sechs Recherche-Podcasts sollten Sie 2023 gehört haben

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    Ein kokainabhängiger Ex-Polizist wird selbst zum Verbrecher. Sex, Drogen und weitere dunkle Seiten der Wiesn. Ein Bericht aus dem inneren Kreis der Letzten Generation. Was klingt wie der beste Stoff für TV-Serien, gab es 2023 auf die Ohren. Unsere Tipps für Recherche-Podcasts aus dem vergangenen Jahr, bei denen sich das Nachhören besonders lohnt.

    Recherche-Podcasts werden manchmal auch als Storytelling- oder Doku-Podcasts bezeichnet – ein Beispiel unserer Redaktion ist "Wem gehört das Wasser", unser Wasser-Podcast, der im vergangenen Frühsommer veröffentlicht wurde. Das Genre zeichnet sich dadurch aus, dass in mehreren Folgen eine abgeschlossene Geschichte erzählt wird, ähnlich einer Serie. Anders als News-Formate bleiben Recherche-Podcasts über längere Zeit aktuell, anders als die meisten Comedy-, Interview- und Gesprächspodcasts sind sie nicht improvisiert, sondern das Ergebnis einer langen und aufwendigen Produktion. Wir geben einen Überblick über sechsRecherche-Podcasts aus dem Jahr 2023, die Sie nicht verpassen sollten.

    Boys Club – Macht & Missbrauch bei Axel Springer

    Im Jahr 2021 erschütterte ein Skandal den Axel-Springer-Verlag. Normalerweise macht die Redaktion der Bild selbst Schlagzeilen, nun wurde sie zu einer: Mehrere Medien berichteten darüber, dass dem damaligen Chefredakteur Julian Reichelt Machtmissbrauch vorgeworfen wurde und es zuerst ein internes Verfahren gab. Reichelt soll sexuelle Beziehungen zu jungen Mitarbeiterinnen gehabt haben, die beruflich von ihm abhängig waren. Zuerst wurde Reichelt kurzfristig freigestellt – ein paar Monate später war er seinen Job dann aber doch endgültig los.

    Reichelt ist weg, also ist alles wieder im Lot? Nun ja. "Boys Club" blickt hinter den Einzelfall und versucht, das System freizulegen, das den Machtmissbrauch möglich machte. Als "Boys Club" werden die dem Chefredakteur treu ergebenen Männer bezeichnet, die Julian Reichelt um sich scharte. Für den Podcast sprechen die Journalistinnen Pia Standera und Lena von Holt mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Bild. Unter anderem erzählt eine Frau, die "Nora" genannt wird, ihre Geschichte. Sie war "eine von Julian", wie das im Springer-Flurfunk wohl hieß. Ihre Aussage wird im Podcast wie die vieler anderer mithilfe einer Software verfremdet, um ihre Anonymität zu wahren – was allerdings auch etwas roboterhaft klingt. "Boys Club" bleibt nicht ausschließlich beim Fall Reichelt, sondern zeigt auch, wie der Verleger Axel Springer Bild zur mächtigen Boulevardzeitung aufbaute und mit welchen problematischen Methoden dort recherchiert wird. Der Podcast profitierte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sicher auch davon, dass er nahezu zeitgleich mit Benjamin von Stuckrad-Barres Buch "Noch wach?" erschien. Das Buch, das bereits vor der Veröffentlichung große Medienbeachtung erfuhr, wird als Schüsselroman gedeutet, der sich ebenfalls mit dem Fall Reichelt beschäftigt.

    • Länge: Acht Folgen zwischen 32 und 37 Minuten
    • Produktion: TRZ Media/Spotify Studios

    Lubi – Ein Polizist stürzt ab

    Rolf L., genannt Lubi, ist Drogenfahnder bei der Polizei in Berlin. Er nimmt Dealer hoch, die im Görlitzer Park Drogen verticken, und gefällt sich in seiner Rolle. Dann darf er das nicht mehr tun, denn nach einem Unfall bei einer Festnahme wird er dienstunfähig. Lubi kommt mit dieser Situation nicht gut zurecht, ist ruhelos und beginnt nach und nach eine Art neuer Arbeit. Für eine Autoschieberbande fährt er Edelkarossen durch ganz Europa, bis ihm Europol und das LKA auf den Spuren sind. Ach ja, und Lubi ist selbst kokainabhängig.

    Der gefallene Polizist erzählt seine Geschichte im Podcast dem Journalisten Nino Seidel. Lubi berichtet von seinen katastrophal falschen Entscheidungen, erzählt diese aber durchaus humorvoll und wirkt den Kommentaren zum Podcast zufolge auf viele Hörerinnen und Hörer sympathisch. Doch eindeutig ist hier wenig. Immer wieder muss man sich die Frage stellen, wie glaubwürdig das ist, was Rolf L. erzählt. Denn seine Taten liegen keineswegs lange Vergangenheit, der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen steht Lubi kurz vor einem Prozess, in dem ihm 120 Straftaten vorgeworfen werden und dessen Ausgang in der fünften Folge behandelt wird. Die Geschichte des Polizisten, der zum Verbrecher wird, ist fesselnder Podcast-Stoff – und wurde auch noch als ARD-Dokumentation verfilmt. Wahlweise als 90-Minüter oder vierteilige Reihe, mit dem gleichem Namen wie der Podcast. Lubi wurde dafür nach der Urteilsverkündung noch einmal mit der Kamera interviewt.

    • Länge: Fünf Folgen zwischen 34 und 38 Minuten
    • Produktion: SWR/Studio Bummens

    Das Lederhosen-Kartell

    Der Podcast "Das Lederhosen-Kartell" richtet sich laut Eigenaussage an "alle, die die Wiesn lieben, hassen oder selbst noch nie da waren". Wer eine Partyreportage erwartet, ist hier falsch. Stattdessen wirft der Podcast einen schonungslosen Blick auf das Geschäftsmodell Oktoberfest, mit all seinen Schattenseiten: Koks-Skandal im After-Wiesn-Club, Hochkonjunktur in Münchner Bordellen und das jahrzehntelang ungenügend aufgearbeitete Oktoberfestattentat.

    Erzählt wird, wie die Familie Käfer und die Schickeria das Käferzelt zu dem machten, was es heute ist, wie Dealer auf der Theresienwiese Geschäfte machen und wer vom weltgrößten Volksfest so alles profitiert. Es werden aber nicht nur Abgründe besprochen, da sind auch die liebevollen Geschichten. Die des Wiesnschurli, der seit 40 Jahren jede Minute Wiesn zelebriert. Die vom Giesinger-Bräu, dessen Gründer sich mit den Münchner Großbrauereien anlegt. Und die vom Glück US-amerikanischer Trachtler, die auf der Oidn Wiesn auftreten dürfen. Erzählt wird als das von Alexander Gutsfeld, der eine spezielle Beobachtungsperspektive einnimmt: Der Journalist arbeitet nämlich seit Jahren während des Oktoberfestes als Rikschafahrer. Er kutschiert Besoffene zur Afterparty oder ins Puff und hat für den Podcast sein Rad verkabelt. So sind zwischen Wiesn-Historie und Anekdoten immer wieder mehr oder weniger lallende Fahrgäste zu hören.

    • Länge: Sieben Folgen zwischen 38 und 50 Minuten
    • Produktion: Studio Bummens

    Schwarz-Rot-Gold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden

    Die Geschichte des Fußballers Mesut Özil ist die eines steilen Aufstieges und eines harten Absturzes. Özil konnte sich zwischen der deutschen und der türkischen Nationalmannschaft entscheiden – und wählte den DFB. Er wurde 2014 Weltmeister, stand dabei in jedem Spiel in der Startelf. Neben dem Platz war seine persönliche Geschichte immer wieder ein Medienthema. Özil, als Sohn türkischer Gastarbeiter in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen, erhielt 2010 den Bambi für Integration. Er galt lange als eines der Gesichter einer Nationalelf, die für gelebte Diversität stand. Doch 2018 kam es zum Bruch.

    Nachdem Özil sich mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan hatte fotografieren lassen, folgte ein Shitstorm. Nach dem Vorrunden-Aus der WM in Russland war Özil für viele der passende Sündenbock. Er trat daraufhin mit einem bemerkenswerten Statement aus der Nationalmannschaft zurück und sprach von Rassismus im DFB. "Ich bin Deutsch, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren", hieß es darin unter anderem. Keshrau Beroz, der sich unter anderem mit Podcasts über den Verschwörungsideologen Ken Jebsen sowie über den Fall des Youtubers Drachenlord einen Namen gemacht hat, versucht zu ergründen, was rund um Özil eigentlich passiert ist. Ein Fußball-Podcast? Eher nicht, Beroz selbst interessiert sich zumindest nur am Rande für Sport. "Mesut Özil wollte eigentlich immer nur Fußball spielen und musste zusehen, wie er immer wieder instrumentalisiert wurde und zwischen den Stühlen stand", sagte Beroz dem Spiegel. In "Schwarz-Rot-Gold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden" spricht er unter anderem mit Özils Vater, seinem Berater sowie seinem früheren Lehrer und nähert sich so einer Person, über die trotz ihrer Prominenz vieles nicht bekannt ist. Denn Özil selbst hat in seiner Karriere kaum lange Interviews gegeben – und das leider auch für diesen Podcast nicht geändert.

    • Länge: Acht Folgen zwischen 32 und 42 Minuten
    • Produktion: Undone/RTL+

    Hitze – Letzte Generation Close-up

    Eine WG in Leipzig. Ein Detail zeigt, was hier besonders ist: An jeder Zimmertür klebt ein Kreppband, darauf der Name der Person, die dort wohnt: Carla Rochel, Jakob Beyer, Mirjam Herrmann. Wenn ein Durchsuchungsbeschluss nur für eine oder einen von ihnen gilt, dürfe die Polizei so nur das eine Zimmer durchsuchen, erklären sie. Warum sie mit Hausdurchsuchungen rechnen? Weil sie Mitglieder der Letzten Generation sind und immer wieder für ihre Proteste angeklagt werden.

    Die Aktivistinnen und Aktivisten werden gerne als Klimakleber verspottet. Ihre Aktionen, insbesondere die Straßenblockaden und Attacken auf Kunst oder Bauwerke, sorgen oft für Wut bei Betroffenen und Ärger mit der Justiz. Der Podcast "Hitze" nähert sich der Gruppe und fragt nach dem Warum: Warum entscheiden sich die Mitglieder, für den Protest so viel zu riskieren, so viel aufzugeben? Einige haben bereits Gefängnisstrafen hinter sich, zudem riskieren sie Bußgelder und Schadensersatzzahlungen, die sie ihr restliches Leben lang abbezahlen müssen. Warum glauben sie, es müsse diese Art von Protest sein, die bei so vielen Menschen Wut gegen die Bewegung statt Unterstützung für ihre Sache erzeugt? "

    • Länge: Sechs Folgen zwischen 27 und 50 Minuten
    • Produktion: TRZ Media/rbb

    Tatort Ostsee – wer sprengte die Nord-Stream-Pipelines?

    Irgendwann stehen die Journalisten auf der Andromeda. Auf genau der Segeljacht, mit der höchstwahrscheinlich Sprengstoff für "einen rätselhaftesten Sabotage-Akt unserer Zeit" transportiert wurde, wie es in der Beschreibung des Podcasts heißt. Tatort Ostsee – was nach Heimatkrimi klingt, ist die Recherche eines Teams aus ARD, Zeit und Süddeutscher Zeitung. Die Ergebnisse wurden nicht nur als Podcast, sondern auch als Dokumentation in der ARD-Mediathek sowie in Form mehrerer Artikel der SZund der Zeit veröffentlicht.

    Am 26. September 2022 gibt es mehrere Explosionen in 70 Metern Tiefe. Dort, tief in der Ostsee, verlaufen die vier Röhren der Nord-Stream-Pipelines. Durch Nord-Stream 1 floss seit 2012 Erdgas von Russland nach Deutschland. Nord- Stream 2 sollte ursprünglich 2022 in Betrieb gehen, wozu es aber wegen Russlands Angriff auf die Ukraine nie kam. Die Nord-Stream-Pipelines waren aber schon vor Kriegsbeginn massiv umstritten. Spätestens nach Putins Angriff wurde Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas offensichtlich. Das Staatsunternehmen Gazprom drosselte nach und nach die Fördermengen und führte technische Gründe an. Zum Zeitpunkt des Anschlages auf die Nord-Stream-Pipelines lieferte Russland seit fast einem Monat überhaupt kein Gas mehr. Dann kam es zu den Explosionen. Bis heute nicht abschließend geklärt: Wer ist dafür verantwortlich? Der Sabotage-Akt war nur mit erheblichem Einsatz möglich, so werden Staaten und Geheimdienste als Täter vermutet. Sprengte Russland die eigenen Pipelines? Waren es die Amerikaner, die führen einige der Spuren, die auch deutsche Behörden verfolgen.

    • Länge: Fünf Folgen zwischen 39 und 50 Minuten
    • Produktion: ARD, Zeit und Süddeutscher Zeitung

    Unsere Redaktion veröffentlicht weitere Podcasts: Unter anderem den täglichen News-Podcast "Nachrichtenwecker", das Talk-Format "Augsburg, meine Stadt" und den FCA-Podcast "Viererkette". Alle Folgen haben wir auf dieser Seite gebündelt.

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