Die Pflege in Deutschland sieht sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Personalmangel bei steigenden Pflegefallzahlen ist nur eines davon. Das ist weithin bekannt. Auch bekannt ist, dass die Pflegeversicherung Finanzierungsprobleme hat und ab 2025 womöglich Beitragssteigerungen anstehen. Wie gravierend das Problem aber tatsächlich sein könnte, offenbart jetzt ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Demnach steht die Pflegekasse vor der Pleite. Läuft alles weiter wie bisher, könnte sie bald – spätestens im Februar 2025 - zahlungsunfähig sein. Pflegeheime, Pflegedienste sowie Pflegebedürftige und ihre Angehörigen würden dann kein Geld mehr erhalten, heißt es in dem Bericht. Die Auswirkungen wären erheblich.
Um genau so ein Szenario abzuwenden, müssen dem Bericht zufolge die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen. Aus Regierungskreisen zitiert das RND, dass die von den Kassen bisher geschätzte Anhebung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte nicht ausreicht. Stattdessen werde von einem Erhöhungsbedarf von 0,25 bis 0,3 Punkten ausgegangen. Dem Bericht über die baldige Zahlungsunfähigkeit der Pflegeversicherung sowie den damit verbundenen Auswirkungen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun widersprochen.
Karl Lauterbach zur Zahlungsunfähigkeit: „Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent“
„Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent, ihr droht auch nicht die Insolvenz“, machte Lauterbach während einer Pressekonferenz am 7. Oktober 2024 in Berlin deutlich und widersprach damit dem Bericht des RND. Die Bundesregierung bürge dafür, „dass die Pflegebedürftigen und die Angehörigen sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass die Pflegeversicherung für die Versorgung bezahlt und für die Leistungen aufkommt“, sagte der Bundesgesundheitsminister weiter.
Auch im ARD Morgenmagazin am 8. Oktober 2024 wiederholte er diese Zusicherung: „Alle Leistungen, die jetzt bezogen werden oder die in Zukunft notwendig sind, werden auch bezahlt.“ Die Bundesregierung habe zu jedem Zeitpunkt den Finanzbedarf der Pflegeversicherung im Blick und „passt den Beitragssatz oder andere Regelungen an, sodass die Pflegeversicherung genug Geld hat“, erklärt Lauterbach. Ob die Beiträge ab 2025 tatsächlich steigen werden, sagte er nicht. Der Minister verwies lediglich auf eine größere Pflegereform, die „in ein paar Wochen“ vorgestellt und auf den Weg gebracht werden soll. Details nannte er nicht.
Zur finanziellen Situation der Pflegeversicherung räumte Lauterbach am 7. Oktober ein, dass diese unter erheblichem Druck stehe. „Wir haben eine Schwäche bei den Einnahmen und hohe Ausgaben“, erklärte er. Zurückzuführen sei das insbesondere auf den starken Anstieg der Pflegefälle sowie die schwache konjunkturelle Lage. 2023 sei die Zahl der Pflegebedürftigen um 360.000 gestiegen, in diesem Jahr sei mit 400.000 zu rechnen. Auch gestiegene Löhne in der Pflege sowie hohe Zuschüsse für stationär betreute Pflegebedürftige hätten zur aktuellen Situation beigetragen.
Anstieg der Sozialbeiträge: Wie hoch könnten die Kosten werden?
Der RND hatte berichtet, dass die Regierung „fieberhaft an einer Notoperation“ arbeite, um eine mögliche Zahlungsunfähigkeit der Pflegeversicherung abzuwenden. Für 2024 werde mit einem Defizit von 1,5 Milliarden Euro gerechnet, für 2025 sogar mit 3,5 Milliarden Euro. Reserven, um das Finanzierungsloch zu stopfen, gebe es keine mehr. Die angestrebte Lösung: Beitragserhöhungen von bis zu 0,3 Prozentpunkten. Dazu hat Lauterbach weder am 7. noch am 8. Oktober geäußert.
Aktuell liegt der Beitragssatz für die Pflegeversicherung laut dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens, Kinderlose zahlen 4 Prozent. Ab dem zweiten und bis zum fünften Kind sinkt der Beitrag außerdem um je 0,25 Prozent. Der Arbeitgeberanteil liegt grundsätzlich bei 1,7 Prozent, sodass der Arbeitnehmeranteil je nach Kinderzahl bei 0,7 bis 2,3 Prozent liegt.
Bei einer Beitragserhöhung um 0,3 Prozent zur Pflegeversicherung würde es laut dem RND aber nicht bleiben. Auch für die gesetzliche Krankenversicherung stehe 2025 eine Beitragserhöhung an - um 0,7 Prozentpunkte. Eine Person mit einem Bruttoeinkommen von 3500 Euro müsste dann pro Monat mit einer Mehrbelastung von 17,50 Euro rechnen. Im Jahr wären das 210 Euro. Damit würden die Sozialbeiträge „zum Jahresanfang so stark steigen wie seit über 20 Jahren nicht mehr“, erklärt das RND.
Beiträge zur Pflegeversicherung: Warum ist eine Erhöhung nötig?
Warum steht die Pflegeversicherung finanziell aber eigentlich so schlecht da? Dazu hat dem RND zufolge unter anderem die Pflegereform 2023 beigetragen. Zwar wurden die Pflegebeiträge schon im Juli letzten Jahres erhöht, allerdings nicht ausreichend, um die Reform zu finanzieren. Insbesondere die Begrenzung des Eigenanteils im Pflegeheim - auch der 2022 eingeführte Leistungszuschlag wurde 2024 erhöht - sei deutlich teurer als ursprünglich von der Regierung angenommen. Das liege unter anderem an den steigenden Löhnen für die Pflegekräfte. Diese Punkte hat auch Lauterbach während der Pressekonferenz sowie in seinem Gespräch mit dem ARD Morgenmagazin genannt.
Einen weiteren Grund für eine höhere Beitragsanpassung zum Jahreswechsel sieht die Regierung nach RND-Angaben in der Bundestagswahl im Herbst 2025. Nach der Wahl sei nämlich mit einer längeren Phase der Regierungsbildung zu rechnen, weshalb das Plus in der Pflegeversicherung durch die Beitragserhöhung mindestens bis zum Frühjahr 2026 ausreichen müsse.
Finanzielle Probleme in der Pflegeversicherung: Verbände warnen schon lange vor Engpässen
Wie gravierend die Probleme in der Pflegeversicherung sind und dass womöglich eine Zahlungsunfähigkeit droht, war bislang öffentlich nicht bekannt und wurde bis dato auch nicht von der Regierung bestätigt. Trotzdem warnen Pflegeverbände schon länger vor Engpässen. So haben etwa der Dachverband der Betriebskrankenkassen bereits vor einigen Wochen auf einen bevorstehenden Kollaps der Pflegeversicherung und der DAK-Pflegereport auf Finanzierungslücken in der Pflege aufmerksam gemacht. Diese Thematik hat nun auch der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) in einer Stellungnahme zur aktuellen Berichterstattung aufgegriffen.
„Die Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung ist schlecht und das kann niemanden wirklich überraschen“, sagt GKV-Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer. „Seit vielen Monaten wird von allen Seiten davor gewarnt, dass die Beitragseinnahmen der Pflegeversicherung nicht mit den Ausgaben Schritt halten können. Diese Entwicklung hat sich nun noch einmal verschärft, weil sich die Ausgaben dynamischer entwickeln, als noch vor Monaten erwartet.“
Der GKV-Spitzenverband rechnet bis zum Jahresende im Gegensatz zu den Schätzungen der Regierung - laut dem RND wird das Defizit für 2024 mit 1,5 Milliarden Euro beziffert - sogar mit einem Defizit von 1,8 Milliarden Euro. Damit die Pflegeversicherung nicht zahlungsunfähig wird, hält der Verband aber ebenfalls eine Beitragserhöhung von mindestens 0,25 Prozentpunkten ab 2025 für nötig.
Trotzdem spricht sich der GKV-Spitzenverband auch dafür aus, dass die Pflegeversicherung nicht mit den verbleibenden Kosten aus Coronazeiten sowie der Übernahme von Rentenbeiträgen für pflegende Angehörige allein gelassen wird. Insgesamt belaufen sich beide Posten auf rund 9 Milliarden Euro. Hier sieht der GKV-Spitzenverband den Bund in der Verantwortung, damit „nicht schon wieder über Beitragserhöhungen“ gesprochen werden müsse.
Diese beiden Punkte hat übrigens auch Karl Lauterbach in seinem Gespräch mit dem ARD Morgenmagazin genannt. Man müsse sich überlegen, ob diese anders bezahlt werden könnten. „Wir drehen wirklich jeden Stein um“, sagte der Minister. Auf die Schnelle ginge das nicht. Bis klar ist, ob Beitragssteigerungen kommen und was sich in der Pflegeversicherung ändert, muss also vermutlich die Vorstellung der geplanten Reform abgewartet werden.
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