In der Pflege besteht großer Reformbedarf. Bei der Finanzierung der Pflegeversicherung muss umgedacht sowie eine Lösung für die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen bei gleichzeitigem Personalmangel gefunden werden. Am 9. April haben Union und SPD nun ihren Koalitionsvertrag vorgestellt – und ihre Pläne für die Pflege. Dem Vertrag zufolge wollen die Parteien „tiefgreifende strukturelle Reformen“ wagen, die Beiträge stabilisieren, für einen schnelleren Zugang zu Terminen sorgen und die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen verbessern. Welche Änderungen sind in der Pflege geplant?
Übrigens: Schon in den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien war die Pflege ein wichtiges Thema. Jetzt, nach der Bundestagswahl, sollen Reformen folgen.
Pflege: Welche Änderungen planen Union und SPD?
In der Pflege soll sich einiges ändern. Einer der wichtigsten Punkte ist wohl die Finanzierung der Pflegeversicherung – die steht Experten zufolge nämlich jetzt schon auf der Kippe. Eine langfristige Stabilisierung ist laut dem Papier nur möglich, wenn der Bund die Ausbildungsumlage sowie versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige übernimmt. Letzteres würde für die Kasse laut einem zuvor veröffentlichten Papier der Arbeitsgruppe Pflege und Gesundheit eine Erleichterung von vier Milliarden Euro pro Jahr bedeuten.
Im Arbeitspapier wurde außerdem eine Maßnahme für mehr finanzielle Sicherheit vorgestellt, die es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat: Mittel, die die Pflegeversicherung für Maßnahmen während der Corona-Pandemie ausgelegt hat, sollten schnell zurückerstattet werden. Dabei handelt es sich um einmalig 5,22 Milliarden Euro aus Steuermitteln. Die Rückerstattung sollte eigentlich zur Hälfte bereits 2025 erfolgen, die restlichen Mittel 2026 zurück in den Ausgleichsfonds fließen. Auch der „Sonderweg bei der Finanzierung der Pflegeversicherung in Sachsen, der einen höheren Pflegeversicherungsbeitrag bedeutet“ sollte dem Arbeitsgruppenpapier aus den Koalitionsverhandlungen zufolge eigentlich beendet werden. Im Koalitionsvertrag steht dazu nicht.
An diesem Punkt haben Union und SPD aber festgehalten: Eine „große Pflegereform“ soll „die nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung“ sichern sowie die ambulante und stationäre Pflege stärken. Außerdem soll dem Koalitionsvertrag zufolge gewährleistet werden, dass „Leistungen der Pflegeversicherung von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen einfach und bürokratiearm in Anspruch genommen werden können“.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll nun die Grundlagen für eine solche Reform ausarbeiten und ihre Ergebnisse noch 2025 vorstellen. Zum Arbeitsauftrag der Kommission gehören insbesondere diese Punkt:
- Der Eigenanteil im Pflegeheim soll begrenzt werden. Einen ähnlichen Vorschlag hat die SPD mit dem „Pflegedeckel“ bereits vor der Bundestagswahl vorgebracht. Der Eigenanteil sollte damit auf 1000 Euro im Monat gedeckelt werden.
- Pflegende Angehörige sollen gestärkt werden.
- Bestehende Leistungen der Pflegeversicherung sollen gebündelt werden. Zudem sollen der Leistungsumfang sowie die Ausdifferenzierung der Leistungsarten überarbeitet werden.
- Für akute pflegerische Akutsituationen sollen weitere Angebote geschaffen werden.
- Die sektorenübergreifende pflegerische Versorgung soll gestärkt werden. Das könnte eine engere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Pflegeangeboten, also ambulanter und stationärer Pflege, bedeuten. Auch die Idee einer stambulanten Pflege, die Noch-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im vergangenen Jahr vorgestellt hat, soll ermöglicht werden.
- Anreize für eine eigenverantwortliche Vorsorge für den Pflegefall sollen geschaffen werden.
Kurzfristig sollen auf Grundlage bestehender Entwürfe zum Pflegekompetenz- und Pflegeassistenzgesetz und zur Einführung der Advanced Practice Nurse Gesetze auf den Weg gebracht werden.
Durch ein Bürokratieentlastungsgesetz sollen Fachkräfte im Gesundheitssystem und in der Pflege entlastet werden. Mehr Vertrauen, Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit sollen durch weniger Dokumentationspflichten und Kontrolle etabliert werden. Hier soll auch künstliche Intelligenz helfen und beispielsweise bei der Behandlungs- und Pflegedokumentation unterstützen. Die Wertschätzung und Attraktivität von Gesundheitsberufen sollen etwa durch eine angepasste Personalbemessung im Krankenhaus und in der Pflege erhöht werden.
Gesundheit und Pflege in der Koalition: Vorschläge von Union und SPD kommen gut an
Für das Papier wurden noch weitere Vorschläge für den Gesundheitsbereich erarbeitet. So soll etwa ein „verbindliches Primärprinzip“ eingeführt werden. Das könnte dafür sorgen, dass Hausärztinnen und Hausärzte eine Art Lotsenfunktion übernehmen und Überweisungen in andere Fachgebiete auch mit einem „notwendigen Zeitkorridor“ versehen. Das könnte einer Termingarantie gleichkommen. Menschen, die an Long- und Post-Covid oder schweren Impfschäden wie PostVac erkrankt sind, wird im Koalitionsvertrag Unterstützung zugesichert. Außerdem rückt auch die Digitalisierung im Gesundheits- und Pflegebereich in den Vordergrund.
Obwohl es nicht alle Pläne aus dem Arbeitsgruppenpapier in den Koalitionsvertrag geschafft haben, sind viele Ideen gleich geblieben – und die sind schon während der Verhandlungen gut angekommen. Das Papier sei ein wichtiges Signal für die Pflegeprofession, erklärte etwa der Deutsche Pflegerat in einer Mitteilung. Insbesondere die geplante große Pflegereform, die angekündigten Entlastungen und der Plan, kurzfristig das Pflegekompetenz- und Pflegefachassistenzgesetz sowie das Gesetz zur Einführung der Advanced Practice Nurse auf den Weg zu bringen, hebt der Pflegerat positiv hervor.
„Die Ergebnisse der AG Gesundheit und Pflege enthalten richtige und wichtige Ansätze. Das zeigt: Die Pflegefachberufe rücken stärker in den Fokus“, erklärt Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats. Entscheidend sei nun allerdings, wie diese Maßnahmen ausgestaltet werden. „Die Richtung stimmt für die Pflegeprofession – jetzt kommt es auf die konkrete Umsetzung an.“
Nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags wurde aber auch Kritik laut. Wie das Ärzteblatt berichtet, kritisiert der AOK-Bundesverband etwa, dass im fertigen Vertrag „von den ursprünglichen konkreten Vorschlägen zur Entlastung der Kranken- und Pflegeversicherung so gut wie nichts übriggeblieben“ sei. Auch konkrete Maßnahmen zur nachhaltigen Stabilisierung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung „sucht man vergeblich“, heißt es weiter. Die Barmer-Versicherung kritisiert, dass eine Lösung für die Finanzierungsprobleme „auf die lange Bank geschoben“ werde. Auch der Vorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, mahnt, dass eine zentrale Frage ungelöst bleibe: „Wie finanzieren wir Gesundheit künftig sicher?“
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