Finanznot in der Pflege und drohende Zahlungsunfähigkeit der Pflegekassen: Neu ist das Problem eigentlich nicht, jetzt hat es aber ein neues Ausmaß angenommen. Schon 2024 wurde viel über die Finanzsituation der Pflegeversicherungen diskutiert. Auch Pläne, wie die Finanzierung in Zukunft aussehen könnte, wurden aufgestellt. An einer Beitragserhöhung um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent führte am Ende aber nichts vorbei.
Trotzdem kam bereits Anfang 2025 in Expertenkreisen die Frage auf, ob die Pflegekassen mit dem Geld überhaupt noch bis 2026 auskommen können. In einem Fall ist die Antwort jetzt ein klares Nein. Wie der Tagesspiegel am 3. März berichtete, musste nun erstmals eine Pflegeversicherung etwa zwei Monate nach der Beitragserhöhung vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet werden – durch einen speziellen Ausgleichsfonds. Was passiert ist und warum Experten jetzt Alarm schlagen, lesen Sie hier.
Übrigens: Friedrich Merz (CDU) will die Pflege revolutionieren und die Vorsorge durch eine private Pflegezusatzversicherung verpflichtend machen. Ein Top-Ökonom hat außerdem eine Pflegevollversicherung in Form einer Bürgerversicherung gefordert.
Pflegekasse erstmals durch Ausgleichsfonds vor Pleite gerettet: Was ist passiert?
Mit der Beitragserhöhung um 0,2 Prozentpunkte zum 1. Januar 2025 sollte die Finanzierung der Pflegekassen laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eigentlich zumindest bis zum Jahresende gesichert werden. Einige Verbände sowie Versicherer, wie etwa der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), warnten schon früh davor, dass das Geld dafür wohl nicht reichen werde. Dieser Fall ist nun eingetreten.
Laut dem Tagesspiegel ist Anfang März beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) der erste Antrag auf Finanzhilfe eingegangen. Gestellt wurde er laut BAS-Präsident Frank Plate von „einer gar nicht mal so kleinen Pflegekasse“. Immerhin rund 500.000 Menschen sind dort laut der WirtschaftsWoche versichert. Plate sagte dem Blatt, der Antrag umfasse „die Bewilligung einer Finanzhilfe bis einschließlich Dezember 2025“.
Gezahlt wird die Hilfe aus einem Ausgleichsfonds, der vom BAS verwaltet wird. Aufgabe des Bundesamts ist es, für eine verlässliche soziale Absicherung in Deutschland zu sorgen. Das BAS führt eigenen Angaben zufolge nämlich die Rechtsaufsicht über die bundesunmittelbaren Träger der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie der Sozialen Pflegeversicherung. Der Ausgleichsfonds sorgt, einfach erklärt, also dafür, dass Pflegeversicherungen auch bei finanziellen Engpässen genug Geld haben, um Leistungen für Pflegebedürftige zu zahlen. Das funktioniert, indem alle Pflegekassen in den Fonds einzahlen.
Finanznot in der Pflege: Könnten weitere Pflegekassen pleitegehen?
Aufgrund der erwarteten Finanzprobleme hat das BAS laut dem Tagesspiegel die vorgeschriebenen Deckungsquoten der Pflegeversicherungen gesenkt. Mittel, die über diese Quote hinausgehen, werden an den Ausgleichsfonds des BAS abgeführt. So soll die Zahlungsfähigkeit aller Pflegekassen gleichermaßen gesichert werden.
Aber: Wenn mehr und mehr Pflegeversicherungen Finanzhilfen beantragen müssen, könnte das System ins Wanken geraten und das Dilemma verschärfe sich, sagt BAS-Präsident Plate. Ausgeschlossen sei eine solche Entwicklung zudem nicht. Bei einer weiteren Verschärfung der Finanzsituation sei es Plate zufolge sogar wahrscheinlich, dass weitere Kassen Finanzhilfe-Anträge stellen müssten.
Gegenüber der WirtschaftsWoche äußerte sich Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK), ähnlich. Sie erwartet einen Dominoeffekt und spricht von einer drohenden Abwärtsspirale für alle Versicherungen. Denn Geld, das am Monatsende übrig bleibe, müsse an den Ausgleichsfonds gezahlt werden. In der Folge würden die betroffenen Pflegekassen selbst unter Druck geraten.
Das BAS sowie weitere Verbände sehen die Politik laut Tagesspiegel, WirtschaftsWoche und weiteren Medienberichten in der Pflicht, schnellstmöglich Reformen für eine stabile Finanzierung in der Pflege auf den Weg zu bringen. Zudem wird die Forderung immer lauter, den Pflegekassen die Gelder zurückzubezahlen, die sie dem Bund für Maßnahmen in der Corona-Pandemie ausgelegt haben. Dem Tagesspiegel zufolge sind hier noch 5,9 Milliarden Euro offen. Diese Mittel müssten laut BAS-Chef Plate zügig rückerstattet werden, um das Pflege-System „nicht gegen die Wand laufen zu lassen“. Auch DAK-Vorstand Andreas Storm bekräftigte gegenüber der Zeitung, dass jetzt eine tragfähige Lösung benötigt werde, weil „es eine Minute vor zwölf“ sei.
Die finanzielle Situation in der Pflege hat sich bis Mitte März weiter zugespitzt. Wie der GKV-Spitzenverband in einer Pressemitteilung erklärt, hat die soziale Pflegeversicherung das Jahr 2024 mit einem Defizit in Höhe von 1,54 Milliarden Euro abgeschlossen. Trotz Beitragserhöhung erwartet der Verband für 2025 ein Defizit von etwa einer halben Milliarde Euro. GKV-Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer erklärt: „Wir haben noch drei Viertel des Jahres vor uns und die Finanzentwicklung in der Pflege ist besorgniserregend.“ Im Laufe des Jahres würden voraussichtlich weitere Pflegekassen finanzielle Unterstützung benötigen. Zwar sei der Ausgleichsfonds durch die Absenkung der Deckungsquoten bis zur Jahresmitte gesichert, „aber das reicht nicht bis zum Ende des Jahres“, sagt Pfeiffer. „Der Pflege steht das Wasser bis zum Hals. Und der Pegel steigt.“
Pflegekassen vor dem Aus? So könnte sich das auf Pflegebedürftige auswirken
Bislang dürften die knapp 5,7 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland noch nicht viel von den Auswirkungen der Finanzprobleme mitbekommen haben. Für sie hieß die gute Nachricht zum Jahresanfang nämlich noch, dass alle Geld- und Sachleistungen der Pflegeversicherung um 4,5 Prozent erhöht wurden.
Aber BKK-Chefin Klemm erklärte gegenüber der WirtschaftsWoche, dass nun alle Pflegeversicherungen versuchen würden, Leistungen und Rechnungen „so spät wie möglich zu zahlen“. Das könnte nicht nur pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen finanziell an ihre Grenzen bringen, sondern auch Betreiber von Pflegeheimen oder ambulanten Pflegediensten.
GKV-Vorständin Doris Pfeiffer gibt aber vorerst auch Entwarnung. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht für Pflegebedürftige, Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen kein Grund zur Sorge. Es sei eine Aufgabe des Pflege-Ausgleichsfonds, die Zahlungsfähigkeit der Pflegekassen sicherzustellen. Aber der Topf läuft langsam leer, sagt Pfeiffer und erklärt: „Anfang 2024 waren noch Mittel in Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro vorhanden, Ende 2024 sind die Mittel auf rund 1 Milliarde Euro zusammengeschrumpft. Ohne zusätzliche Finanzmittel wird der Pflege-Ausgleichsfonds in wenigen Monaten ausgeschöpft sein.“ Die Politik müsse handeln, um diese Abwärtsspirale zu verhindern.
Übrigens: Seit Januar 2025 laufen die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Das betrifft auch einige Pflegekräfte.
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