Was als Erstes auffällt beim Betreten dieser majestätischen Kathedrale, ist ihr Strahlen, das sanfte Licht, das sich in dem weiten, hohen Gebäude gleichmäßig verteilt. Die Helligkeit des Gewölbes, das weiche Weiß der Steinmauern. Hinter dem Altar ragt ein großes Goldkreuz hervor. Im Chorraum leuchten die Kirchenfenster und gegenüber, oberhalb der Hauptorgel, die Westrosette in kräftigem Tiefblau. Wer vom Haupteingang von Notre-Dame kommend weiter geht durch das weiträumige Hauptschiff, vorbei an den Seitenkapellen mit den präzise gezeichneten Wandmalereien, wer die vielen, glänzenden Skulpturen betrachtet und das detailreiche Chorgestühl, kann nur eines, ob gläubig oder nicht: staunen.
Zur feierlichen Wiedereröffnung wird auch Donald Trump erwartet
1500 schlichte Holzstühle sind schon aufgestellt, ebenso wie die Instrumente des Orchesters, das am Samstag zum Einsatz kommt – jenem so lange erwarteten Tag, an dem sich das Haupttor der Kathedrale wieder öffnet, zunächst nur für geladene Gäste. Zu der feierlichen Zeremonie werden Geistliche, Politiker und Prominente aus Frankreich und dem Ausland erwartet, unter ihnen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die amerikanische First Lady Jill Biden, der designierte US-Präsident Donald Trump, der britische König Charles III. und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Lediglich Papst Franziskus hatte die Einladung ausgeschlagen. Von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron heißt es, das habe ihn sehr enttäuscht.
Die prunkvolle Wiedereröffnung von Notre-Dame ist ein Erfolg auch für ihn persönlich, während er nach dem Sturz seiner Regierung am Mittwoch in politischer Hinsicht geschwächter denn je dasteht. Dies, so ist abzusehen, wird seinem Enthusiasmus keinen erkennbaren Abbruch tun, wenn er die ersten Besucher in das wunderschön restaurierte Pariser Wahrzeichen führt.
Nur fünfeinhalb Jahre dauerten die Arbeiten nach dem Brand, der für immenses Entsetzen in Frankreich und weit darüber hinaus gesorgt hatte. Am Abend des 15. April 2019, als sich die Nachricht rasch verbreitete und dunkle Rauchschwaden aus dem 850 Jahre alten Gebäude in den Pariser Himmel stiegen, versammelten sich an vielen Stellen im Umkreis spontan Menschen, um zu singen, zu beten oder einfach das Geschehen fassungslos zu beobachten.
Als im Laufe des Abends der charakteristische Spitzturm, den der Architekt Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert hinzugefügt hatte, hinabstürzte, schien es, als ginge ein Aufschrei durch die Stadt, ja durch das Land. Doch das Bauwerk, die Zwillingstürme hielten stand. Wie sehr die Menschen daran hängen, zeigte sich auch daran, dass das große Werk von Victor Hugo, „Der Glöckner von Notre-Dame“, in den Folgetagen wieder ganz oben auf den Bestseller-Listen war. Im 16. Jahrhundert heiratete hier König Heinrich IV., 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte in der Kathedrale auf einer der beiden Seine-Inseln, im Herzen von Paris, selbst zum Kaiser. Sie ist eng verwoben mit Frankreichs Geschichte.
Präsident Macron machte große Versprechungen – und löste sie ein
Nur rund 24 Stunden nach dem Brand hielt Macron eine Mutmach-Rede im französischen Fernsehen, in der er zwei kühne Versprechen abgab: Notre-Dame werde in nur fünf Jahren wieder öffnen – und zwar „noch schöner als zuvor“. Lange waren diese Ziele umstritten, längst steht fest: In beidem behielt er Recht. Die Kathedrale strahlt auf eine Weise, wie sie das vor der Feuerkatastrophe nicht getan hat, als die Wände ergraut und von Rußspuren gezeichnet waren, die Wandmalereien verblasst, von Staub und Spinnweben umgeben.
Die einst etwas düstere Stimmung dieses Meisterwerks der Gotik ist gewichen. Heute erscheint es so aufgeblüht wie eine von einer schweren Verletzung genesene Patientin. Ein eigens dafür beauftragter Licht-Gestalter hat rund 1500 Lampen in dem riesigen Raum angebracht, die für jenes gleichmäßige Strahlen sorgen. Die 2300 Statuen und 8000 Orgelpfeifen sind frisch geputzt. Gut eintausend Kubikmeter Steine mussten bewegt, 2.000 Tonnen Gerüst aufgestellt und wieder abgebaut werden.
Enthüllt wurden die ersten spektakulären Bilder aus dem Inneren bereits vor etwas mehr als einer Woche bei Macrons siebtem und letztem Besuch dieser „Jahrhundert-Baustelle“. Kurz vor der anstehenden offiziellen Eröffnung an diesem Wochenende führten einige der Hauptverantwortlichen Journalisten durch die Kathedrale. Diese sei im Zuge der Restaurationsarbeiten regelrecht „transformiert worden“, schwärmte der Bauleiter Philippe Jost. „Notre-Dame wurde bewahrt und hat durch die Reinigung des gesamten Innenraums zugleich ein neues Antlitz bekommen.“ Das Leitmotiv „noch schöner als zuvor“ gelte übrigens auch für die Bauarbeiten auf dem Vorplatz, welche bereits begonnen haben. Bis 2028 werden dort neue Bäume gepflanzt, das Pariser Rathaus spricht vom Anschein einer „Waldlichtung“, die der Bereich, wo früher auch ein Parkplatz war, bekommen soll.
Wie sollte Notre-Dame wieder aufgebaut werden?
Die Flammen waren damals kaum erloschen, da begannen schon Diskussionen über die Frage, ob Notre-Dame identisch wieder aufgebaut werden oder, wie unter anderem von Macron gewünscht, moderne Elemente erhalten sollte, um eine für immer sichtbare Spur von den dramatischen Ereignissen zu hinterlassen. Selbst Ideen wie jene einer Aussichtsplattform, eines Glasdachs oder gar eines Schwimmbads schwirrten herum und wurden alsbald wieder abgetan. Letztlich setzten sich die Vertreter der Diözese mit ihrer Position durch, die auch eine große Mehrheit der Bevölkerung teilte: Die Kathedrale solle möglichst schnell wieder aussehen wie vorher; fast so, als habe es sich bei dem Brand, dessen Ursache weiter ungeklärt ist, nur um einen schlimmen Albtraum gehandelt.
Aufgrund ihres ganz neuen Glanzes ist das aber eben nicht der Fall. „Historisch gesehen war Notre-Dame noch nie in diesem Zustand und hatte auch im Mittelalter kein derart einheitliches Aussehen wie heute“, erklärt Rémi Froment, einer der drei für die Restaurierung zuständigen Architekten. Manche Elemente wurden anders angeordnet als vor dem Brand, wie beispielsweise eine Statue der Jungfrau Maria, die nun am Eingang steht – als begrüße sie alle, die eintreten.
Tatsächlich erscheint es angesichts des perfekt gestalteten Kreuzgewölbes in mehr als 33 Metern Höhe schwer vorstellbar, dass das Feuer den Dachstuhl, bestehend aus einer Holzkonstruktion aus Eichen aus dem 13. Jahrhundert, zerstörte und in der Folge ein riesiges Loch in der Mitte des Gebäudes klaffte. An drei Stellen stürzten Bögen herunter, so Froment. „Dabei stellte es sich als Glück heraus, dass zum Zeitpunkt des Brands ein Baugerüst aufgestellt war, so heikel sein Abbau dann auch war.“ Groß war die Sorge, dieser könne das Gebäude destabilisieren. „Beim Brand wirkte das Gerüst hingegen wie ein schützendes Korsett, ohne das die Schäden deutlich größer gewesen wären.“
Es gingen 840 Millionen Euro an Spenden ein
Ob er persönlich, der so unermüdlich an der Restauration gearbeitet hat, zufrieden sei mit dem Endergebnis? Bei dieser Frage leuchtet auch Froments Gesicht auf. „Ja, es ist einfach toll geworden.“ Besonders ergreifend sei es für ihn gewesen, als rund 2000 der an der Baustelle Beteiligten, Schreiner, Restauratoren, Bildhauer, Zimmerer, Macron bei seinem jüngsten Besuch begleiteten und das beeindruckende Resultat ihrer eigenen Arbeit bestaunen konnten: Selbst sie seien berührt gewesen, so gut sie die Kathedrale schon kannten.
Die Fertigstellung der Innen-Restaurierung innerhalb von wenigen Jahren, trotz Verzögerungen durch das anfänglich gefährlich hohe Bleiaufkommen in dem Gebäude sowie der Corona-Pandemie, war Bauleiter Jost zufolge aus mehreren Gründen möglich: Dank des handwerklichen Könnens der Angehörigen verschiedenster Berufssparten, der hervorragenden logistischen Arbeit und des verfügbaren Budgets. Von den Spenden in Höhe von 840 Millionen Euro wurden bislang 700 Millionen ausgegeben. Mit den verbleibenden 150 Millionen will man die ohnehin nötige Restaurierung der Apsis und der Strebepfeiler angehen. Vor allem aber habe ein sehr starker Gemeinschaftsgeist geherrscht, betont Jost. „Alle waren engagiert dabei, es gab einen unglaublichen Willen, voranzukommen und es gemeinsam zu schaffen.“
Am Sonntag wird die erste Messe in der Kathedrale zelebriert
Auf diese Leistung wird Präsident Macron am frühen Samstagabend nochmals eingehen, wenn er zunächst eine Rede in der Kathedrale hält. Sie hätte eigentlich auf dem Vorplazt von Notre-Dame stattfinden sollen, nicht in dem religiösen Bau selbst, denn im laizistischen Frankreich gilt die strikte Trennung von Staat und Kirche. Doch das Wetter machte den Franzosen eine Strich durch die Rechnung: Wegen erwarteter Böen von bis zu 80 km/h wurde die Eröffnungsrede ins Innere verlegt. Es folgen eine liturgische Zeremonie mit rund 3000 Anwesenden und ein Konzert mit Stars wie dem Pianisten Lang Lang, den Sängerinnen Clara Luciani und Angélique Kidjo. Bis zu 40.000 Menschen werden auf den oberen Seine-Ufern erwartet. Die Polizei hat ein großes Sicherheitsaufgebot mit 6000 Einsatzkräften angekündigt und schon im Laufe der Woche mit Absperrmaßnahmen im Umkreis begonnen.
Am Sonntag zelebriert der Pariser Erzbischof Laurent Ulrich die erste Messe mit mehr als 150 Bischöfen aus Frankreich und der ganzen Welt, bei der er den neuen Altar weiht. Ab diesem Tag wird die Kathedrale eine Woche lang täglich bis 22 Uhr geöffnet sein, um die ersten Besucher zu empfangen, die sich dafür entweder vorab im Internet angemeldet oder in eine – vermutlich sehr lange – Warteschlange gestellt haben werden. Bis zu 15 Millionen Menschen werden jährlich wieder erwartet. Und jede und jeder einzelne von ihnen wird zweifelsohne vor allem eins: staunen.
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