Nach dem Unfall mit drei Toten in den norditalienischen Dolomiten gehen Ermittler davon aus, dass die deutsche Autofahrerin die Fußgänger nicht absichtlich gerammt hat. Staatsanwalt Paolo Luca geht von einer Art Wutausbruch am Steuer aus, wie er am Dienstag sagte. Er wolle "unüberlegten und erfundenen Rekonstruktionen" der folgenschweren Kollision aus der vorigen Woche entgegentreten. Auch der Anwalt der Frau, Giuseppe Triolo, unterstrich im Interview der Deutschen Presse-Agentur: "Es gibt aktuell kein Anzeichen dafür, dass es Vorsatz war."
Fahrerin verdränge den Unfall
Seine Mandantin befindet sich Untersuchungshaft, wird aber seit Sonntagabend in einem Krankenhaus in Venedig psychiatrisch behandelt. Sie habe den Unfall vom vergangenen Donnerstag komplett verdrängt, schilderte er. Die 31-Jährige sei nicht vernehmungsfähig und habe - anders als am Montag von Medien berichtet - auch noch nicht vor einer Haftprüfungsrichterin ausgesagt. Dies solle demnächst passieren.
Triolo beklagte, dass die Frau in der Öffentlichkeit vorverurteilt werde. "Man erreicht keine Gerechtigkeit, wenn man eine fragile Person auf diese Weise ans Kreuz nagelt und massakriert", sagte er am Telefon. Auch der Pflichtverteidiger wird im Internet bedroht.
Die Frau aus Niederbayern hatte mit ihrem Wagen eine Fußgängergruppe im norditalienischen Ort Santo Stefano di Cadore nahe der Grenze zu Österreich erfasst. Ein zweijähriger Junge sowie dessen Vater und Großmutter starben. Die Mutter kam verletzt in eine Klinik, der Großvater erlitt laut Berichten einen Herzinfarkt.
Staatsanwalt geht von Wut als Ursache aus
Staatsanwalt Luca berichtete bei einer Pressekonferenz in der Provinzhauptstadt Belluno, dass es zwar Elemente bei dem Unfall gebe, wegen derer an Vorsatz gedacht werden könne. Etwa waren keine Bremsspuren auf der Straße zu sehen, außerdem hatte die Fahrerin auf der geraden Straße gute Sicht. Und zusätzlich schien sie ihren Wagen zu beschleunigen. Er halte es aber für wahrscheinlicher, dass die Deutsche in einem Zustand von Wut gewesen sei, deren Grund noch zu klären sei. Deshalb sei sie von der Straße abgelenkt gewesen.
Darüber hinaus hatte die Niederbayerin zum Zeitpunkt des Unfalls nicht telefoniert oder sich sonst mit ihrem Handy beschäftigt, wie eine Untersuchung des Geräts laut Luca ergab. Kurz nach dem Crash war noch spekuliert worden, sie sei wohl vom Handy abgelenkt gewesen.
Fahrerin führte monatelang "Nomadenleben"
Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Ermittler in den nächsten Tagen durch die Aussagen der Frau und auch deren Angehörigen. Diese seien am Unfalltag auf ausdrücklichen Wunsch der 31-Jährigen zunächst nicht über die Geschehnisse informiert worden, könnten aber demnächst nach Italien kommen. Staatsanwalt Luca sagte, dass die Frau laut bisherigen Erkenntnissen im Oktober von ihrem Heimatort weggefahren und seitdem monatelang allein unterwegs gewesen sei. "Sie schlief, aß und lebte im Auto", sagte er und sprach von einem "Nomadenleben". In dem Wagen wurden unter anderem Essen und Kleidungsstücke gefunden.
Luca berichtete von Zeugenaussagen, wonach die Frau vor dem Unfall in Santo Stefano an einem Brunnen neben der Straße Wasserflaschen auffüllte, dann plötzlich alle zuvor geöffneten Türen ihres Wagens zuschlug, die Flaschen wegwarf und davonraste. "Sie scheint jemand zu sein, der seine Wut nicht kontrollieren kann", meinte Luca.
Der Staatsanwalt erklärte, dass bei einer Tötung im Straßenverkehr - ein Straftatbestand in Italien - eine Haftstrafe von zwei bis sieben Jahren pro Opfer möglich sei. Die maximale Strafe bei mehreren Toten seien 18 Jahre - außer es gebe erschwerende Faktoren, etwa den Vorsatz oder eine doppelt so hohe Geschwindigkeit wie erlaubt. Im Ortskern von Santo Stefano in den Dolomiten gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h - das Auto der Deutschen war Schätzungen zufolge rund 90 Kilometer pro Stunde schnell.
(dpa)