Es braucht keine fünf Minuten Spielzeit, da ist schon vieles klar in diesem „Tatort“. Sicher, von einem Täter ist noch keine Spur. Aber: „Abstellgleis“ ist ganz eindeutig ein Dortmund-„Tatort“. Das heißt einerseits: handwerkliche Spitzenklasse. Clevere Kameraarbeit, die nie zum Selbstzweck wird. Großartiges Sounddesign, das den beim „Tatort“ oft etwas arg dick aufgetragenen Pathos größtenteils vermeidet. Die wunderbar knackig und zugespitzt geschriebenen Dialoge. Unter allen aktuellen „Tatort“-Teams spielen die Folgen aus Dortmund in puncto Handwerk ganz oben mit.
Andererseits, und auch das ist irgendwie eine feste Regel der Dortmunder: Das ist ein Film für „Tatort“-Experten, nichts für Neueinsteiger oder Nur-mit-einem-Auge-Zuschauer. Die Geschichte rund um Kommissar Faber und seine tragische Blaulicht-Welt wurde über nun bald 30 Folgen immer weitererzählt und vertieft, immer neue Figuren kamen dazu, verschwanden, tauchten wieder auf – wer „Abstellgleis“ schaut, ohne mit den Figuren und ihren Leidensgeschichten vertraut zu sein, wird viele Szenen, Seitenblicke, Nebensätze und Anspielungen kaum verstehen. Bisweilen fühlt sich dieser TV-Krimi so an, als würde man einen dicken Roman irgendwo in der Mitte aufschlagen und einfach zu lesen beginnen – für Kenner ein Genuss, für Neueinsteiger ziemlich unzugänglich.

Aber worum geht es nun eigentlich? Eine Frau wird von einem Auto angefahren und tödlich verletzt. Der gewohnt sensibel-knarzige Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) und seine Kollegin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) treffen am Tatort einen alten Rivalen: Den hochnäsigen und herrlich fiesen Leiter der Kriminaltechnik, Sebastian Haller. Haller und Faber können sich nicht ausstehen – warum? Das weiß man, wenn man diverse vorherige Dortmund-Folgen gesehen hat. Faber und Herzog jedenfalls stehen noch ganz am Beginn ihrer Ermittlungen, als besagter Haller plötzlich tot ist, erstochen. Und da Faber eben eine Vorgeschichte mit ihm hat, gilt er zuerst als befangen, bald sogar als höchst verdächtig. Aber hat Faber wirklich etwas mit Hallers Tod zu tun – oder hat ihm da jemand eine Falle gestellt?
Die Ermittlungen in diesem zweiten Todesfall übernimmt ein weiterer alter Bekannter: LKA-Ermittler Kossik. Der war früher selbst Teil von Fabers Team und hat nicht nur gute Erinnerungen an seinen ehemaligen Chef – warum? Na ja, die alten Geschichten eben. Erneut: Experten wissen, worum es geht.
Tatort „Abstellgleis“ gestern aus Dortmund: In diesem Kommissariat misstraut jeder jedem
In diesem Kommissariat misstraut irgendwie jeder jedem, überall hängen Missgunst, alte Geschichten und Rivalitäten in der Luft. Rosa Herzog holt für die Ermittlungen Otto Pösken (Malick Bauer) als Verstärkung ins Team. Zwischen den beiden deuten sich sogar romantische Gefühle an – aber kann man dem Neuen trauen? Bald geht es für Faber und Herzog nicht mehr nur um irgendeinen Fall, sondern auch um das Einzige, was Faber angesichts all der persönlichen Schicksalsschläge wirklich noch geblieben ist: seine Freiheit.
„Abstellgleis“ ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Der handwerklich hervorragend gemachte, vielschichtige, packend und dicht erzählte Krimi balanciert auf einem schmalen Grat weit hinauf in die qualitativen Fernsehkrimi-Höhen – zu dem Preis, dass viele Nicht-Kenner der Dortmunder „Tatort“-Welt Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren und auf dem Abstellgleis zu landen.

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