Die Nachricht von Karl Lagerfelds Tod am 19. Februar 2019 erschütterte nicht nur die Modewelt. Der legendäre Designer hatte alterslos gewirkt. Wie einer, dem das fortwährende Verstreichen der Zeit nichts anhaben könne. Jahrzehntelang stand er im Licht der Öffentlichkeit, mit seinen Mode-Entwürfen und spektakulären Schauen. Aber auch mit Werbeaktionen, Kommentaren und nicht zuletzt als Stilikone sorgte er für Aufsehen. Die zum Pferdeschwanz gebundenen Haare, die Sonnenbrille, der hohe Stehkragen – „Kaiser Karl“ war eine Erscheinung, eine Ausnahmeerscheinung. Als er im Alter von 85 Jahren starb, gab es also eine Vielzahl von Reaktionen und Anekdoten. Lagerfelds Leben bot reichlich Stoff für Geschichten.
Was gibt es da noch zu sagen über den langjährigen Kreativdirektor von Chanel, Fendi und der nach ihm benannten Marke Karl Lagerfeld? Noch einiges.
Lagerfeld war nicht immer ehrlich - nicht einmal bei seinem Geburtsdatum
Das beweist Alfons Kaiser von der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit seiner Biografie „Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris“, die an diesem Donnerstag erscheint. Denn im Bemühen, den eigenen Mythos zu schaffen und zu nähren, war Lagerfeld nicht immer ehrlich – vielleicht aus Selbstschutz. Das betrifft gerade auch Aussagen über das eigene Leben – von der Behauptung, sein Vater sei Schwede, bis zu seiner Selbst-Verjüngung um fünf Jahre. Dieser Schwindel war erst durch die Veröffentlichung seiner Geburtsanzeige aus dem Jahr 1933 aufgeflogen. „Über mein Alter entscheide ich“, sagte Lagerfeld daraufhin in einem Interview. „Ich bin generationenübergreifend, also spielt mein Alter keine Rolle.“
Die Eltern des Modeschöpfers sympathisierten mit dem Hitler Regime
Unbekannt dagegen war bis jetzt, dass seine Eltern der NSDAP beigetreten waren – und es ein Foto des vierjährigen Karl gibt, wie er auf eine vor dem Elternhaus gehisste Hakenkreuzflagge blickt. In einem maschinenschriftlichen Schreiben, das Kaiser im Nachlass ihrer Schwester Felicitas Ramstedt fand, bekennt sich Lagerfelds Mutter Elisabeth offen zu ihrer Parteimitgliedschaft, erwähnt aber auch, dass ihre Ideale später ins Wanken geraten seien. Ob der gebürtige Hamburger Karl Lagerfeld davon wusste, ist unklar. Über seine Kindheit äußerte er sich meist nur vage.
Eine Anekdote über seine Mutter könnte jedoch dafür sprechen, dass er von der Wahrheit ablenken wollte, glaubt Kaiser. „Können Sie Ihrem Sohn nicht mal sagen, er soll sich die Haare abschneiden?“, soll ein Lehrer nach dem Krieg zu ihr gesagt haben. Daraufhin habe Elisabeth Lagerfeld den Schlips des Lehrers gepackt und mit der Frage: „Wieso? Sind Sie noch Nazi?“ ins Gesicht geschleudert. Die Szene sollte wohl die Annahme illustrieren, dass die Lagerfelds nichts mit den Nazis zu tun hatten.
„Mit seinem eigenen Leben hat das natürlich wenig zu tun“, sagte Alfons Kaiser in einem Interview. „Aber seine Karriere hätte womöglich anders verlaufen können, wäre das früher bekannt geworden. Vielleicht hätte ihn Chanel dann gar nicht genommen, denn als Deutscher hatte er es in Paris in den Anfangsjahren ohnehin nicht leicht.“
FAZ-Journalist Kaiser sprach mit mehr als 100 Verwandten und Freunden des Mode-Designers
Nach Gesprächen mit mehr als 100 Verwandten, Freunden und früheren Mitarbeitern sowie der Einsicht in Briefe, Faxe und Archivdokumente zeichnet der Journalist ein umfassendes Bild von der außergewöhnlichen Geschichte und Persönlichkeit Lagerfelds, der nicht nur Modeschöpfer war, sondern „auch ein Schöpfer von Ideen, Büchern, Zeichnungen, Sinnsprüchen, Logos, Beziehungen, Karrieren und Idealen“.
Es ist das Bild eines Mannes, der den Luxus liebte – teure Autos, Möbelstücke, Kunst und natürlich Kleidung –, und zugleich großzügig Geschenke verteilte. Der sich in der High Society zwischen Mannequins, Künstlern und Stars bewegte, doch vor allem eines war: ein unermüdlich Arbeitender. Rührte seine Geschäftstüchtigkeit vom Vater her, einem erfolgreichen Dosenmilch-Fabrikanten? Sein nie endender Tatendrang vom beständigen Ringen um die Gunst der Mutter, die ihm den Sinn für Stil und Mode mitgegeben hatte? So streng und unerbittlich sie auftrat, so nahe war Elisabeth Lagerfeld jedenfalls ihrem einzigen Sohn, bei dem sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte.
Von der norddeutschen Provinz in die Modehochburg Paris
In nach Lebensabschnitten eingeteilten Kapiteln erzählt Alfons Kaiser von wichtigen Stationen Lagerfelds anhand zahlreicher Anekdoten. Der Junge, der in der norddeutschen Provinz ein Außenseiterdasein geführt hatte, blühte in Paris auf. Nach dem Sieg bei einem Mode-Wettbewerb fasste er schnell Fuß in der Branche. Bereits früh setzte die Rivalität mit dem anderen Mode-Genie der damaligen Zeit, Yves Saint-Laurent, ein. Der machte Lagerfeld zeitweise sogar dessen große Liebe, Jacques de Bascher, streitig.
Neben dem großen Fleiß, der Lagerfeld nach seiner ersten Stelle bei Pierre Balmain Karriereschritte bei Chloé, Fendi und ab 1982 Chanel machen ließ, erscheint als herausstechendes Merkmal sein Händchen für Kommunikation. Fotografen ließ er in seiner Pariser Wohnung arbeiten – und tauchte wie zufällig auf den Bildern mit auf. Vor jeder Schau bestellte er Blumensträuße für dutzende Moderedakteurinnen, die er mit einem persönlichen Gruß versah. Schließlich erschien Lagerfeld mit seiner schnoddrigen Art als der ideale Interviewpartner. Einige seiner Fernsehauftritte bleiben unvergessen.
„Er war der Zeichner seines eigenen Bildes, der Zeremonienmeister seiner Selbstfeier, der Herrscher über die Wahrnehmung seiner Person“, schreibt Kaiser. Lagerfeld hatte sich zum Logo modelliert und gehörte zur ersten Generation von Modeschöpfern, die zu Superstars wurden. Und doch gelingen Kaiser tiefe Einblicke, auch in die Schwächen Lagerfelds. (mit dpa)
Alfons Kaiser: Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris. Verlag C. H. Beck, 383 Seiten, 26 Euro
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