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Inspiration in der Bewegung: Doris Dörrie über das Reisen

Montagsinterview

„Wir werden nicht zu besseren Menschen durchs Reisen“

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    Versucht mit leichtem Gepäck zu reisen: Regisseurin und Autorin Doris Dörrie
    Versucht mit leichtem Gepäck zu reisen: Regisseurin und Autorin Doris Dörrie Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

    Sie sammeln auf Ihren Reisen nicht nur Eindrücke, sondern auch viele schöne Dinge. Davon erzählen Sie in Ihrem aktuellen Buch die „Reisgöttin“. Was bedeuten Ihnen Ihre Mitbringsel?
    DORIS DÖRRIE: Na ja, sie bedeuten natürlich zuallererst Erinnerung und eine Verbindung zu dem Land, den Leuten, den Ereignissen… Sie führen mich immer wieder in die Ferne und dann wieder zurück zu mir, weil sie eine Bedeutung für mich haben. Das ist eine ständige Verbindung, die diese Gegenstände aufmachen, die ich mag.

    Strandglas, beschädigte Stoffkatze, eine japanische Feuerwehrmütze: Was muss ein Ding mitbringen, dass es Ihr Herz erobert?
    DÖRRIE: Das Erste ist, es darf auf keinen Fall etwas Teures sein. Es muss einen anderen Wert haben. Diese kleine Stoffkatze aus Istanbul etwa, mit den traurigen Augen, die auch noch kaputt ist … So wie die mich angeschaut hat, dazu die Frau, die sie verkauft hat und die Situation, in der ich damals war… Das ist etwas, was ich für immer mit dieser Katze verbinden werde.

    Jedenfalls ist nach der Lektüre von „Die Reisgöttin“ klar, Sie sind nicht der puristische Wohntyp. Gibt es einen Schrank mit wunderlichen Dingen? Oder wo finden all die Dinge ihren Platz?
    DÖRRIE: Nein, nein, es ist alles verstreut. Die Katze steht mit einem Pinguin ohne Flügel zusammen, den ich gerettet habe, dazu lauter so blessierte Tierchen. Aber es klingt nach mehr, als es ist.  

    Ereilt Sie unterwegs eine Art Kaufzwang? Man sieht Sie vor dem geistigen Auge mit leeren Koffern an- und mit vollen wieder abreisen.
    DÖRRIE: Überhaupt nicht. Ne, ne, ne… Es muss mir schon wirklich etwas sehr dezidiert über den Weg laufen. Ich suche auch nichts. Ich habe in der Regel gar keinen großen Koffer dabei. Ich versuche sehr, sehr leicht zu reisen. Und am Ende kommt vielleicht noch eine Plastiktüte dazu ... Nein, das sind meist keine großen Gegenstände. Außer vielleicht der Teppichklopfer, der war größer. Aber kommt auch hier aus Bayern, also nicht von weit weg.  

    Es sind also die Zufallsfunde, die Sie begeistern?
    DÖRRIE: Was heißt Zufall? Dieser Gegenstand und ich, wir werden zusammengebracht und natürlich ist das zufällig. Aber ich lade es mit Bedeutung auf, weil es etwas für mich bedeutet. Grundsätzlich hat der Teppichklopfer keine andere Bedeutung als Teppich zu klopfen. Ich sehe aber gleichzeitig in ihm das buddhistische Symbol für Verbindung und Unendlichkeit.  

    IN DER VORBEREITUNG DES INTERVIEWS WURDE BEIM TIPPEN AUS DER „REISGÖTTIN“ VERSEHENTLICH OFT EINE REISEGÖTTIN. WIRKLICH ZUFALL? WIE GEFÄLLT IHNEN DIE VORSTELLUNG DER REISEGÖTTIN? UND WAS BEDEUTET IHNEN DAS UNTERWEGSSEIN?:
    DÖRRIE: Ich, die Reisegöttin? Ich bin garantiert keine Göttin. Ganz bestimmt nicht. Aber es wäre schön, wenn es eine Reisegöttin gäbe, die die Reisenden beschützt und bewacht. Das Unterwegssein ist für mich schon immer wichtig gewesen, weil es für mich die Chance bedeutet, durch die Fremde die Entfremdung in mir selbst aufzuheben. Inspiration findet für mich sehr stark durch Bewegung und Begegnung statt.

    Wie sind Ihre Beobachtungen? Sind wir auf Reisen die besseren Menschen? Weil wir unterwegs viel mehr bei uns selbst sind?
    DÖRRIE: Wir werden leider nicht wirklich bessere Menschen, weil wir reisen. Aber wir träumen davon. Und so ein Stückchen kommen wir vielleicht innerlich in Bewegung. Aber, obwohl wir Deutsche Reiseweltmeister sind, obwohl wir so viele andere Menschen kennenlernen, andere Länder, andere Gebräuche, sind wir nicht weniger rassistisch. Es scheint keinen Einfluss darauf zu haben. Das ist deprimierend. 

    Liegt das an unserer Zeit? Die Offenheit und die Toleranz werden gerade nicht größer. Oft wird nicht wahrgenommen, mit welchen Widrigkeiten die Menschen in aller Welt zu kämpfen haben…
    DÖRRIE: Dies müsste eigentlich immer wieder zu der Erkenntnis führen, wie gut wir es im Vergleich haben. Tut es aber seltsamerweise auch nicht ... Nein, wir werden sicherlich nicht zu besseren Menschen durchs Reisen. Nein, das werden wir nicht!

    Was sind Sie für eine Reisende? Lassen Sie sich treiben? Oder ist alles geplant, weil die Zeit ja doch immer begrenzt ist?
    DÖRRIE: Das kommt sehr darauf an. Wenn ich in Arbeitszusammenhängen in Länder fahre, ist natürlich alles geplant und strukturiert. Bei Dreharbeiten bin ich oft einfach dageblieben oder bin vorher hingefahren. Wenn ich unabhängig bin, versuche ich wenig vorzubereiten, wenig zu planen, um möglichst offen zu bleiben. Meine Lieblingsbeschäftigung ist, mich hinzusetzen, zu lauschen und zu gucken.

    Wirklich nie genervt vom Reisen?
    DÖRRIE: Ne, ich bin genervt, wenn zu einem fixen Zeitpunkt an einem Ort sein muss. Jetzt zum Beispiel, die Lesereise mit der Bahn, weil ich immer Sorge habe, dass ich nicht rechtzeitig ankomme. Auf meinen unabhängigen Reisen versuche ich keine Verabredung, kein klares Ziel zu haben, damit auch Dinge entstehen können. Oft entstehen sie durch die scheinbaren Pannen. Wenn der Bus nicht kommt, okay, dann schaue ich mich um, bleibe ich an der Haltestelle sitzen - und erlebe vielleicht etwas. Die Vielfältigkeit der Welt auf mich zukommen zu lassen, ist meine Übung.

    Ihre besondere Liebe gilt Japan? Was fasziniert Sie so sehr an diesem Land? Gibt es einen Moment, der Ihre Liebe entfacht hat?
    DÖRRIE: Das kann ich nicht so kurz beantworten. Das sind so viel Aspekte. Es kulminiert schon in den großen Widersprüchen des Landes, die mich neugierig machen, oder dass ich immer noch Dinge entdecke, die ich nicht wusste, nicht verstanden habe, mein eigenes Nichtwissen über Japan, das nie aufhört. Immer noch … Ich war 35 Mal in Japan. Das Neugierigbleiben, nicht zu wissen und zu urteilen, versuche ich hinüberzuretten in meine vertraute Welt ... Das eigene Nichtwissen immer wieder zu erforschen und zu benennen, nicht zu viel zu urteilen und zu glauben, dass man die Dinge kennt und weiß. 

    Sie gelten als Deutschlands erfolgreichste Regisseurin. Wie schauen Sie auf die Welt? Ist es für Sie eine große Kulisse, ein unendlicher Spielraum für Geschichten?
    DÖRRIE: Da ich nicht besonders viel anderes kann, fühle ich mich schon aufgerufen, immer wieder Zeugin zu sein. Also zu beschreiben, was ich sehe, was ich erlebe. Das ist vielleicht, was ich als Job bekommen habe (lacht). Es geht mir aber auch immer darum, zu verstehen, wie ich in Verbindung bin. Alle meine Filme entstehen durch und mit anderen. Das bin ich ja nicht allein, das sind ja immer auch andere, die das möglich machen. Auch das Publikum. Andere machen möglich, dass ich so lebe. Und auf einer ganz elementaren Ebene machen andere möglich, dass ich Kleidung habe, dass ich Nahrung habe ... Das alles sind Verbindungen, die ich versuche zu sehen und aufzuspüren - und auch zu begreifen. Inspiration ist überall. Man muss sie nur zulassen.

    Die Welt ist aber auch oft hässlich, anstrengend und ungerecht. Das bleibt einem ja nicht erspart, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht und vor allem aus einem so wohlhabenden Land kommt wie wir. Wir meistern Sie das?
    DÖRRIE: Ich meistere das gar nicht. Ich leide darunter und ich komme damit nicht zurecht. Ich hadere, ich zweifle. Ich komme damit nicht besser zurecht als andere. Der große Vorteil meines Berufes des Geschichtenerzählens ist, dass es immer etwas ist, was ich dann auch wieder beschreiben kann.

    Sie haben aber nicht diesen Schutzmechanismus, sich den hässlichen Seiten nicht aussetzen zu wollen. Sie werfen sich rein…
    DÖRRIE: Das ist aber, glaube ich, auch eine Aufgabe. Sich nicht zurückzuziehen, sich nicht zu isolieren. Immer wieder rauszugehen, immer wieder auch den Versuch zu unternehmen, Kontakt aufzunehmen und in Kontakt zu bleiben. Rückzug sehe ich als Gefahr, auch bei mir selbst. Zu sagen, zu Hause habe ich es schön, draußen ist die Welt furchtbar – ich mache die Tür zu. Nein, ganz besonders im Moment sind wir doch sehr stark aufgerufen, rauszugehen, uns zu zeigen und uns nicht zurückzuziehen.

    Gehört das wesentlich zum Reisen, sich den Wirklichkeiten zu stellen?
    DÖRRIE: Wo fängt die Reise an? Die Reise fängt genau genommen schon an, wenn ich aus der Haustüre gehe.

    Sie sind eine Frau mit viel Power…
    DÖRRIE: Das würde ich sofort von mir weisen, nein bin ich nicht. Ich bin wie alle anderen. Manchmal habe ich Kraft und manchmal keine…

    Worauf ich aber hinaus will, Sie haben als Frau nie an Ihrer Gleichberechtigung gezweifelt, sind von Ihren Eltern auch so erzogen worden. Wie kommen Sie in Ländern klar, in denen die Frauen sich unterordnen müssen. 
    DÖRRIE: Es ist mir, etwa im Iran, schon sehr schwergefallen, mich von Gesetzes wegen, zu verhüllen. Ich fand es sehr irritierend, dass es so viele Regeln gibt, vor allem für Frauen. Das hat mich wütend gemacht. Aber ich habe dann so viele tolle Frauen kennengelernt, junge Frauen, alte Frauen, die unter dem Diktat sehr, sehr leiden und gleichzeitig auch so mutig und so wach sind. Und das hat mir wahnsinnig imponiert. Und es gab auch Männer, die den Kampf der Frauen unterstützen.

    Sie benötigen in Ihrem Buch die „Reisgöttin“ nicht viele Zeilen, um ihren Leserinnen und Lesern schöne Gedanken zu schenken, was schenkt das Schreiben Ihnen?  
    DÖRRIE: Ein doppeltes Leben. Ich erlebe etwas einmal, und dann erlebe ich es noch einmal, wenn ich es beschreibe.

    Nächstes Jahr ist Ihr großer Kino-Erfolg Männer 40 Jahre her. Seither ist gesellschaftlich viel passiert. Wie müsste man den Film „Männer“ heute drehen? 
    DÖRRIE: Das kann ich nicht beantworten. „Männer“ hat damals so in die Zeit gepasst, wie sie war.

    Das Miteinander von Männern und Frauen hat sich in den letzten Jahren aber doch deutlich verändert…
    DÖRRIE: Ich glaube schon, dass wir Fortschritte gemacht haben. Also da kann man auch optimistisch sein, weil wir poco a poco vorangeschritten sind. Es hat sich etwas verändert und wird sich weiter verändern. Aber jetzt müssen wir wahnsinnig aufpassen, dass uns diese Fortschritte nicht wieder weggenommen werden. Das geht nicht nur die Frauen an, sondern uns alle, unsere Diversität im Allgemeinen. Deswegen: weiter, auf zum Kampf!

    Seit ihrem Film „Männer“ gilt Doris Dörrie als erfolgreichste Regisseurin Deutschlands. Im Moment ist die 69-Jährige auf Lesereise unterwegs mit ihrem Buch „Die Reisgöttin“. Darin beschreibt die Vielreisende außergewöhnliche Mitbringsel und deren Geschichte.

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