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Medizin: Sieben falsche Vorurteile über Menschen mit Depression

Medizin

Sieben falsche Vorurteile über Menschen mit Depression

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    Laut Zahlen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen depressiv erkrankt.
    Laut Zahlen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen depressiv erkrankt. Foto: Nicolas Armer, dpa (Symbolbild)

    Traurig, müde, antriebslos. Solche Gemütszustände verbinden viele Menschen nach wie vor mit einer Depression. Doch kaum eine Krankheit ist mit so vielen Irrtümern, Mythen und Vorurteilen behaftet wie das depressive Kranksein, sagt Dr. Marc Risch. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt des Clinicum Alpinum in Liechtenstein. "Die Depression ist eine unsichtbare

    1. "Nur schwache Menschen bekommen eine Depression"

    Eines der größten Probleme ist laut Risch, dass eine Depression oft nicht als schwere, nicht direkt sichtbare Erkrankung der Seele, sondern als Schwäche im Kontext der Leistungsgesellschaft eingeordnet wird. "Jeder, der mit einem Gips oder einer Krücke durch die Gegend humpelt wird, als ,Kranker' ernstgenommen, bekommt sogar Zuspruch – Gips und Krücken haben etwas ,Heldenhaftes', die Depression weniger." Oft höre man, dass nur schwache beziehungsweise labile Personen eine Depression bekommen könnten. "Dem ist vehement zu widersprechen. Eine Depression kann uns alle treffen und zwar zu jeder Zeit." Auch erfolgreiche, aktive, selbstbewusste oder optimistische Menschen seien nicht davor geschützt. Denn: "Die emotionalen Achillesfersen sind individuell sehr unterschiedlich."

    Marc Risch ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt des Clinicum Alpinum in Liechtenstein.
    Marc Risch ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt des Clinicum Alpinum in Liechtenstein. Foto: Clinicum Alpinum

    2. "Depression hat etwas mit dem Charakter zu tun"

    "Wer depressiv ist, reißt sich nicht genug zusammen und ist ein Weichei." Auch diese Aussage hat Mediziner Risch im Zusammenhang mit Depressionen schon häufiger gehört. Es gehe dabei häufig um das Vorurteil einer Art charakterlichen Schwäche. Doch der Facharzt betont: "Traurig sein, sich nicht aufraffen können – seien wir ehrlich, diese Gefühle haben wir alle hin und wieder. Eine Depression ist aber weit mehr als ein vorübergehendes Stimmungstief."

    3. "Lach doch mal wieder, dann geht es dir besser"

    In diesem Zusammenhang will Risch auch Folgendes betonen: Depressive Menschen könnten sich auch nicht "einfach mal zusammenreißen" oder "positiv denken" oder "auf Aufforderung hin lachen". Denn die Erkrankung mit ihren Symptomen beeinträchtige die Bewältigung des Alltags. "Gut gemeinte Ratschläge wie ,Kopf hoch' oder ,Das wird schon wieder' sind nicht hilfreich, sondern Schläge und keine Ratschläge."

    Volkskrankheit Depression

    Depression bezeichnet eine schwere seelische Erkrankung. In Deutschland erkranken jährlich etwa 5,3 Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression.

    Die Patienten fühlen sich niedergeschlagen, erschöpft, antriebs- und interesselos. Die Symptome halten häufig über längere Zeit an und bessern sich ohne medizinisch-therapeutische Behandlung nur selten.

    Wie eine Depression entsteht, ist bis heute nicht ganz geklärt. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist höher, wenn Blutsverwandte bereits erkrankt sind. Erkrankt ein eineiiger Zwilling an einer Depression, entwickelt in rund 40 Prozent der Fälle der andere Zwilling auch eine Depression.

    Bei Menschen mit hoher Vulnerabilität kann schon wenig Stress eine Depression auslösen. Ist die Vulnerabilität aber gering, können Menschen auch belastende Ereignisse gut bewältigen. Solche Personen bezeichnet man als resilient, also widerstandsfähig. Erheblichen Einfluss haben auch die Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Leben gemacht hat. Ein großes Risiko, eine Depression zu entwickeln, haben Personen, die traumatische Erlebnisse wie Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit erlebt haben. Entscheidend ist aber auch, welche Fähigkeiten jemand erworben hat, mit belastenden Situationen umzugehen.

    Manche Menschen sind nur in der dunklen Jahreszeit depressiv – aber das jedes Jahr wieder. Typisch für eine Winterdepression sind zusätzlich ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis und Heißhunger auf Süßes. Darum legen Menschen mit Winterdepression in den Wintermonaten meist an Gewicht zu. Als Ursache der Störung vermutet man den Mangel an Tageslicht, auf den manche Menschen besonders sensibel reagieren.

    Sobald neben den depressiven auch manische Phasen auftauchen, liegt eine bipolare Störung vor. Die Betroffenen pendeln zwischen Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit einerseits und extremer Euphorie sowie übertriebenem Aktionismus andererseits.

    Krankenhäuser in der Region Augsburg (0821/48030), Kaufbeuren (08341/720), Günzburg (08221/9600), Donauwörth (0906/7822200), Kempten (0831/540262600), Memmingen (08331/702663), Tagesklinik Lindau (08382/948660), Günzklinik Allgäu in Obergünzburg (08372/92370), KBO Landsberg 08191/3332960), Klinikum Ingolstadt (0841/8800).

    4. "Die Depression tritt vor allem im Herbst auf"

    Laut Risch gibt es auch immer noch die weit verbreitete Annahme, Depressionen seien keine richtige Erkrankung und wenn dann würde diese vor allem im Herbst auftreten. "Diese Haltung kann nur von Menschen kommen, die keine Ahnung haben. Denn der Depression ist die Jahreszeit so ziemlich wurst." Risch betont außerdem, dass nicht nur Außenstehende so denken, sondern oft auch Depressive selbst häufig diesem Irrtum unterliegen. Viele könnten es nicht fassen und würden sagen: "Ich hab doch alles, es müsste mir gut gehen, die Sonne scheint, und doch... woher kommt diese leere Schwere?"

    5. "Wer depressiv ist, ist ein Simulant"

    Oft berichten depressive Patienten, wie Psychiater Risch erklärt, sie hätten das Gefühl, dass ihre Krankheit etwas Peinliches, Unangebrachtes sei und dass ihr Umfeld sie als Versager oder Simulant sehe. Sie würden sich deshalb zunehmend zurückziehen und ihre Aktivitäten noch mehr einschränken. "Dies wiederum verringert ihren Selbstwert und nimmt ihnen die Zuversicht, die Krankheit erfolgreich behandeln zu können. Es ist eine Art Teufelskreis oder Abwärtsspirale." Denn Stigmatisierung hindert viele Betroffene daran, sich rechtzeitig professionelle und medizinische Unterstützung zu holen.

    Wissenswertes zu psychischen Erkrankungen

    Psychische Erkrankungen bergen ein unterschiedliches Risiko: Ein Depressiver kann für ein Unternehmen Ausfall und verpasste Termine bedeuten. Die Erkrankung verläuft meist phasisch. Manisch Kranke können unsinnige Käufe tätigen und einen Größenwahn ausbilden. Bei bekannteren Erkrankungen wie der Depression seien laut der ISM-Professorin Nicole Joisten negative Reaktionen seltener.

    Die Darstellung psychischer Erkrankungen in den Medien hat Einfluss auf den Umgang der Gesellschaft mit dem Thema. Wenn berühmte Sportler ihre Erkrankung öffentlich machten, zeige das, dass Betroffene auch leistungsfähige Phasen erlebten. Das fördere die Akzeptanz, sagt Joisten.

    Möchten Betroffene sich an den Betriebsarzt wenden, sollten sie Folgendes beachten: Ein Betriebsarzt kann von der Schweigepflicht gegenüber dem Unternehmen entbunden sein.

    Burnout ist im klassischen Sinne keine Krankheit. Es kann aber den Übergang in eine manifeste psychische Erkrankung darstellen.

    Den Einfluss des Präsentismus auf die Wirtschaft schätzt man größer, als den des Absentismus, sagt Matthias Weisbrod. Präsentismus meint: Betroffene gehen krank zur Arbeit, weil sie eine Verpflichtung spüren oder sich selbst stigmatisieren. Sie haben aber Schwierigkeiten, Leistung zu bringen.

    Absentismus meint: Erkrankte erhalten eine Krankschreibung und bleiben zu Hause.

    Vier von zehn Deutschen erkranken irgendwann im Laufe ihres Lebens an einer psychischen Erkrankung. (lesa)

    6. "Antidepressiva machen abhängig"

    Auch im Bereich der Therapiemöglichkeiten halten sich laut Mediziner Risch hartnäckige Vorurteile. Zum Beispiel: Antidepressiva machen abhängig. Hier will der Facharzt aufklären: "

    7. "Nach einer Behandlung ist wieder alles beim Alten"

    Ein weiterer Irrtum ist die Vorstellung beziehungsweise der Wunsch, dass nach einer zwei- bis dreiwöchigen Behandlung alles wieder in Ordnung ist. Marc Risch sagt dazu: "Die Betroffenen merken erst nach zwei bis vier Wochen eine Verbesserung. Daher sind Antidepressiva auch nicht für den kurzfristigen Einsatz, sondern meist für die Einnahme während mehrerer Monate gedacht – vergleichbar einer Krücke nach einer schweren orthopädischen Operation." Genau dieses lange Zeitfenster bräuchte es deshalb auch für eine nachhaltige Genesung. "Wir wissen aus zahlreichen Studien und aus der Praxis, dass die moderne Behandlung der Depression sehr gut wirken kann." Diese könne aus einer Art Dreiklang bestehen: aus sprachbezogenen Psychotherapieverfahren, ästhetischen Therapien (Kunst, Klang) und Kreativ- und Bewegungstherapien sowie dem vorübergehenden Einsatz klug gewählter Psychopharmaka. "Mit einer raschen Behandlungsaufnahme und individualisierten Therapie können mehr als zwei Drittel der Betroffenen nachhaltig genesen."

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