Die Räumung hat begonnen. Der kleine Ort Lützerath muss dem Braunkohleabbau weichen. "Lützi bleibt" steht auf den Hauswänden und den Plakaten der Klima- und Umweltaktivistinnen und -aktivisten. Hunderte Einsatzkräfte der Polizei sind für die Räumung im Einsatz. Bald soll das Dorf vollständig abgerissen werden, damit der Tagebau Garzweiler von RWE seine Arbeit aufnehmen kann. Doch wer hat beschlossen, dass Lützerath weichen muss? Wird die Braunkohle wirklich benötigt? Und was passiert nach dem Abbau mit dem Gelände? Wir haben die wichtigsten Antworten.
Warum muss Lützerath geräumt werden?
Lützerath gehört zur nordrhein-westfälischen Stadt Erkelenz. Unter dem Dorf sind große Braunkohlevorkommen im Boden. 1995 wurde das Abbaufeld genehmigt, in dem Lützerath liegt. Ursprünglich lebten rund 100 Einwohnerinnen und Einwohner dort, die ihre Häuser und Grundstücke meist schon vor vielen Jahren verkauft haben oder entschädigt wurden. Die Grundstücke gehören nun dem Energieversorger RWE, der das Gebiet für den Tagebau Garzweiler vorgesehen hat. Die Umsiedlung der Menschen begann im Jahr 2006, seit 2020 laufen die Abrissarbeiten im Ort.
Zwar wurde geprüft und darüber gestritten, ob Lützerath erhalten bleiben kann, Anfang Oktober 2022 entschieden die Wirtschaftsministerien des Bundes und Nordrhein-Westfalens aber endgültig, dass RWE die Braunkohle, die unter Lützerath liegt, abbaggern darf. Auch die Energiemangellage durch den russischen Angriffskrieg spielte bei der Entscheidung eine Rolle. Die schwarz-grüne Koalition in NRW einigte sich mit RWE auf den Kompromiss für einen Kohleausstieg im Jahr 2030 acht Jahre früher als ursprünglich geplant. Hierdurch sollen 280 Millionen Tonnen Braunkohle und etwa genauso viele Tonnen CO2 eingespart werden. Zudem können fünf Orte, die eigentlich zusätzlich dem Tagebau Garzweiler hätten weichen müssen, erhalten werden. Nicht aber Lützerath.
Wird die Braunkohle unter Lützerath wirklich benötigt?
Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Umweltaktivistinnen und -aktivisten, darunter "Fridays for Future", verweisen unter anderem auf eine wissenschaftliche Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der Europa-Universität Flensburg und der Technischen Universität Berlin. Die Forscherinnen und Forscher haben darin überprüft, wie sich eine mögliche Gasknappheit auf den Kohlebedarf auswirken würde und welche Fördermenge dem gegenübersteht. Das Ergebnis: Die Menge an Braunkohle würde auch im zuvor genehmigten Abbaugebiet ausreichen – ohne den Bereich unter Lützerath. "Es gibt daher weder eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit noch eine klimapolitische Rechtfertigung für die Inanspruchnahme noch bewohnter Dörfer am Tagebau Garzweiler II inklusive Lützerath", heißt es in der Kurzstudie.
Das Land Nordrhein-Westfalen sieht das anders. Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) teilte dazu mit: "Die Rechtslage ist eindeutig: RWE hat alle notwendigen Genehmigungen, die Flächen jederzeit zu nutzen." Mit Gutachten habe das Wirtschaftsministerium einen Erhalt Lützeraths prüfen lassen. Weder aus energiewirtschaftlicher oder wasserwirtschaftlicher Sicht noch aus Gründen der Standsicherheit sei das aber zu verantworten. Auch RWE bezieht auf seiner Website Stellung. "Auf die Kohle im Bereich Lützerath kann nicht verzichtet werden, wenn eine sichere Versorgung der Kraftwerke mit Kohle gewährleistet, eine sichere Stromversorgung ermöglicht und Erdgas dabei eingespart werden soll", heißt es dort.
Wie viele Tonnen Braunkohle sollen gefördert werden?
280 Millionen Tonnen Braunkohle sollen im Tagebau Garzweiler – also im Gebiet um Lützerath herum – noch gefördert werden. Eine Studie, die von Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben wurde, geht davon aus, dass nur 170 Millionen Tonnen gefördert werden könnten, wenn Lützerath erhalten bleiben würde.
Pro Jahr können laut RWE rund 25 Millionen Tonnen Kohle gewonnen werden. Dabei werden insgesamt auch etwa 115 Millionen Kubikmeter Abraum jährlich abgebaggert. Das sind die Schichten aus Kies, Sand und Löss, die die Kohleschicht bedecken und gebraucht werden, um die Landschaft nach dem Abbau zu gestalten.
Wie groß ist der Tagebau Garzweiler?
Der Tagebau Garzweiler besteht aus zwei Abbaugebieten – Garzweiler I und II. Insgesamt umfasst das Gebiet eine Größe von rund 114 Quadratkilometern. Das entspricht einer Fläche von fast 16.000 Fußballfeldern oder Dreiviertel der Fläche Augsburgs. Aktuell sind etwa 35 Quadratkilometer davon Betriebsfläche. Die restliche Fläche wurde zum Teil schon wieder renaturiert oder wird erst noch erschlossen.
Garzweiler ist Teil des rheinischen Braunkohlereviers zwischen Düsseldorf, Aachen, Mönchengladbach und Köln. Es ist mit insgesamt 2500 Quadratkilometern das größte zusammenhängende Braunkohlegebiet Europas. Eine Region, die rund dreimal so groß ist wie Berlin.
Auf dem Tagebau Garzweiler kommen Schaufelradbagger zum Einsatz, die teilweise bis zu 240.000 Kubikmetern Material täglich fördern können, was laut Angaben von Bagger-Hersteller Thyssenkrupp mehr als 10.000 voll beladenen Kipplastern entspricht. Ein Bagger ist dabei so schwer wie fast 9000 Autos und ist mit 96 Metern in etwa so hoch wie die New Yorker Freiheitsstatue inklusive Sockel.
Welche Orte mussten dem Tagebau Garzweiler bereits weichen?
Dem Tagebau Garzweiler mussten bereits viele Orte weichen. Im Bereich von Garzweiler II, also in unmittelbarer Nachbarschaft zu Lützerath, verschwanden bereits die Orte Borschemich, Holz, Otzenrath, Immerath, Spenrath und Pesch von der Landkarte.
Müssen weitere Dörfer weichen?
Neben den schon abgebaggerten Ortschaften ist Lützerath der letzte Ort, der schon zu großen Teilen abgerissen ist und bald vom Tagebau verschluckt wird. Durch die Neuregelung der nordrhein-westfälischen Regierung und RWE mit dem Kohleausstieg 2030 werden die Ortschaften Keyenberg, Oberwestrich, Kuckum, Unterwestrich und Berverath dagegen erhalten. In den ursprünglichen Plänen hätten sie Garzweiler ebenfalls weichen müssen.
Was passiert mit den Bewohnern der abgebaggerten Orte?
In Lützerath lebten ursprünglich rund 100 Menschen. Sie wurden entschädigt und haben alle ihr Zuhause verlassen. Die meisten von ihnen wurden nach Neu-Immerath umgesiedelt – genau wie die Bewohnerinnen und Bewohner der alten Ortschaft Immerath. Andere betroffene Ortschaften wurden als eigenständige Ortschaften an anderer Stelle neu errichtet. Sie tragen dann auch wieder denselben Ortsnamen – bis die alten Straßen und Gebäude abgerissen und abgebaggert sind tragen sie noch den Zusatz "(neu)".
Was passiert nach dem Braunkohle-Abbau mit Garzweiler?
Nach dem Tagebauende von Garzweiler im Jahr 2030 bleibt ein großes Restloch im Boden. Dieses soll wieder nutzbar gemacht werden. Dazu soll über Jahrzehnte hinweg ein See gestaltet werden, der mit Wasser aus dem Rhein gespeist werden soll. Die übrige Fläche soll überwiegend landwirtschaftlich rekultiviert werden, auch Waldflächen sind vorgesehen.