Nur wenige Tage nach dem Urteil gegen den Mörder der Londonerin Sarah Everard ist ein weiterer britischer Hauptstadtpolizist wegen Vergewaltigung angeklagt worden. Wie Scotland Yard mitteilte, handelt es sich um einen 46 Jahre alten Beamten, der in derselben Einheit Dienst tat wie der in der vergangenen Woche zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder Everards. Beide waren für den Schutz des Parlaments und diplomatischer Gebäude in London zuständig. Der Mann werde noch am Montag dem Haftrichter vorgeführt, hieß es weiter.
Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick zeigte sich zutiefst besorgt über den Fall. "Ich verstehe vollkommen, dass die Öffentlichkeit ebenfalls besorgt ist", wurde sie in der Mitteilung zitiert. Die mutmaßliche Tat soll sich in der nördlich von London gelegenen Grafschaft Hertfordshire außerhalb der Dienstzeit des Angeklagten zugetragen haben.
Premierminister Johnson warf der Polizei im Zuge der Everard-Affäre vor, Gewalt gegen Frauen nicht ernst genug zu nehmen
Die 33-jährige Londonerin Sarah Everard war im März entführt, vergewaltigt und ermordet worden. Später stellte sich heraus, dass der Täter, ein Polizist, sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Corona-Regeln festgenommen und entführt hatte. Der Fall ließ das Vertrauen in die britische Polizei bröckeln und löste eine Welle der Empörung über Gewalt gegen Frauen in dem Land aus.
Premierminister Boris Johnson warf der Polizei noch am Wochenende vor, Gewalt gegen Frauen nicht ernst genug zu nehmen. Eine unabhängige Untersuchung zu dem Mord an Everard lehnte er jedoch ab. Stattdessen müsse der gesamte Umgang mit Vergewaltigungen, häuslicher Gewalt, sexualisierter Gewalt und Beschwerden von Frauen über Belästigung systematisch untersucht werden, sagte der Premier am Sonntag im BBC-Fernsehen. Ermittlungen endeten zu häufig ohne Verurteilung, weil die Staatsanwaltschaft nicht eng genug mit der Polizei zusammenarbeite, kritisierte Johnson.
Kritiker hatten nach dem Mord an Everard eine frauenfeindliche Kultur innerhalb der Polizei angeprangert. So berichten Insider, dass Kollegen, die sich Übergriffe zuschulden kommen lassen, gedeckt würden. Der jüngste Fall dürfte die Debatte weiter anheizen. (dpa)