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La Palma: Auswanderer im Kampf gegen den Vulkan: Leise rieselt die Asche

La Palma

Auswanderer im Kampf gegen den Vulkan: Leise rieselt die Asche

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    Auf den ersten Blick sieht es fast friedlich aus: Diese Finca in der Nähe des Vulkans ist bedeckt von einer meterdicken Ascheschicht.
    Auf den ersten Blick sieht es fast friedlich aus: Diese Finca in der Nähe des Vulkans ist bedeckt von einer meterdicken Ascheschicht. Foto: Emilio Morenatti, dpa

    „Das ist kein Vulkan, sondern ein abscheuliches Monster“, ruft Mathias Siebold und schaut fast zornig zum nahen Gebirgszug Cumbre Vieja hinüber. Doch das „Monster“ schweigt. Seit einigen Tagen speit der

    Wenn Mathias Siebold, 61, und seine Frau Ingrid, 58, auf ihrer Terrasse sitzen, sehen sie – so weit das Auge reicht – die kilometerbreite schwarze Lavadecke. Sie zieht sich bis zur Atlantikküste, die sich am Horizont abzeichnet. Noch immer steigt an vielen Stellen Dampf auf. Mit der Abenddämmerung beginnt der ganze Berghang orangerot zu leuchten. Die Lava ist an vielen Stellen weiterhin glühend heiß.

    Doch hält die Ruhe über Weihnachten, nachdem der Vulkan, der Teil einer ganzen Bergkette ist, mehr als 90 Tage brodelte und tausende von Menschen in die Flucht trieb? „Das wäre unser schönstes Geschenk“, sagen die deutschen Auswanderer, die am Fuße des Feuerbergs ein 150 Jahre altes Haus mit Garten und Meerblick bewohnen. „Wir hoffen, dass es nun endlich vorbei ist.“

    Näher als die Siebolds kann man nicht am Vulkan leben. Gleich hinter dem Haus beginnt das Sperrgebiet. Was die flüssigen Vulkanmassen nicht verschlangen, ist von Asche bedeckt, die sich zuweilen meterhoch auftürmt: Von manchen Häusern schaut nur noch der Schornstein aus dieser bizarren Aschelandschaft heraus.

    Schneepflüge räumten die Asche auf La Palma weg

    Wochenlang rieselte statt Schneeflocken Asche vom Himmel und verwandelte das Wohnviertel der Siebolds, das einst ein grünes Paradies mit schmucken Einfamilienhäusern und Palmen war, in ein düsteres, trauriges Gelände. Die Straßenzufahrten mussten immer wieder freigeschaufelt werden – manchmal kamen sogar Schneeräumfahrzeuge zum Einsatz, um die Ascheberge beiseitezuschieben.

    In seinem Gemüsegarten führt Mathias Siebold seinen persönlichen Kampf gegen die alles immer wieder bedeckende Aschedecke: Jeden Tag rackert er dort mit Hacke und Wasserschlauch und versucht, seine Tomaten- und Paprikapflänzchen vor dem Erstickungstod zu retten.

    Doch die Chancen auf ein endgültiges Einschlafen des Vulkans stehen gut, sagen spanische Geologinnen und Geologen: Es fließe keine neue Lava, der Krater stoße immer weniger Schwefeldioxid aus, die Erde bebe nicht mehr. Gut drei Monate nach Ausbruch des Vulkans, der am 19. September im Südwesten der Insel explodierte, können die Siebolds nun erstmals auf ein Ende des Albtraums und auf friedliche Weihnachtstage hoffen. Auf eine stille Nacht am Vulkan. „Es sind von uns aus knappe drei Kilometer zum Krater“, berichten Ingrid und Mathias Siebold, die seit Jahrzehnten auf La Palma leben. Er ist Bayer und wurde in Sankt Englmar geboren, sie kommt aus dem niedersächsischen Hannover. „In anderthalb Kilometer Entfernung kam die Lava den Berg herunter“, erinnern sie sich mit Schrecken.

    Mathias Siebold: Auto fegen nach dem Ascheregen.
    Mathias Siebold: Auto fegen nach dem Ascheregen. Foto: Ralph Schulze, dpa

    Nahezu 3000 Gebäude, die Hälfte Wohn- und Ferienhäuser, sind in dem gigantischen Lavafluss untergegangen. 7000 Menschen mussten flüchten. Das Dorf Todoque und ein Teil des Ortes La Laguna verschwanden unter einer bis zu 50 Meter dicken Lavaschicht. Es war die schlimmste Vulkankatastrophe seit 500 Jahren auf der beliebten Insel. Ein Drama, das sich direkt vor der Nase der Siebolds abspielte. Aber ein Drama, in dem sich auch Wunder ereigneten. Wie jenes von La Laguna, wo die Lavawalze einige Meter vor dem Glockenturm der Dorfkirche zum Stehen kam.

    „Wir haben noch Glück gehabt“, sagt Mathias Siebold, der lange Zeit auf der Insel ein Reisebüro betrieb. „Es hätte alles schlimmer kommen können.“ Etwa, wenn sich der Schlund der Cumbre Vieja nur ein bisschen weiter nördlich geöffnet hätte. Zum Beispiel direkt oberhalb der Ortschaft El Paso, in der sich die liebevoll restaurierte Finca der Siebolds an den Berghang schmiegt. Von

    Aber auch so war es dramatisch genug: „Am Anfang war es schrecklich.“ Die mehr als 100 Meter hohen Feuersäulen. Die ohrenbetäubenden Explosionen. Das ständige Zittern des Erdbodens. „Da haben wir gefürchtet, das Ding fliegt uns um die Ohren.“ Vorübergehend flüchteten die Siebolds. „Wir hatten Angst.“ So wie viele Nachbarn, die für längere Zeit oder auch für immer ihre Koffer packten.

    La Palma ist die Heimat des Bayern geworden

    Mathias und Ingrid Siebold kamen jedoch wenig später wieder in ihr Haus zurück, das ihnen seit 40 Jahren gehört. Sie waren entschlossen, ihren Besitz gegen den Aschesturm zu verteidigen, der andere Häuser schon zum Einsturz gebracht hatte. Die Siebolds wollten ihr geliebtes Anwesen nicht aufgeben, auf dem sie zusammen mit mehreren Katzen leben. „Wir gehören hierher.“ La Palma ist ihre Heimat geworden.

    Viele Namen aus dem deutschsprachigen Raum auf den Briefkästen in der Nachbarschaft signalisieren, dass die Vulkankatastrophe hunderte ausländische Residenten getroffen hat. Das Aridane-Tal, das zu einem Drittel verwüstet wurde, galt bislang als eine der schönsten Ecken La Palmas. Es ist das Herz der Insel, in dem bis zum Lava-Ausbruch der Tourismus und die Bananenpflanzen blühten.

    Die Siebolds haben ihren Besitz retten können, andere haben alles verloren. Besonders schwer hat es Michael Nguyen getroffen, der aus dem Großraum Stuttgart stammt. Erst wurden die Geschäftsräume seiner Auto- und Ferienhaus-Vermietung „La Palma 24“ im Ort Todoque unter der Lava begraben. Genauso wie das dortige Yogazentrum seiner Frau Heidrun, 56, die in Bielefeld aufwuchs. Dann verschwand das Privathaus. Auch eine kleine Plantage mit 130 Avocado-Bäumen, die er mit einem Freund besaß, ging unter. „Da ist jetzt überall 20 Meter Lava drüber“, sagt er wehmütig. „Dort sieht es jetzt wie auf dem Mond aus.“

    Michael (rechts) und Daniel Nguyen vor ihrer Autovermietung – noch bevor die Lava kam.
    Michael (rechts) und Daniel Nguyen vor ihrer Autovermietung – noch bevor die Lava kam. Foto: Nguyen

    Aber Nguyen, der seit 30 Jahren auf La Palma lebt und arbeitet, will nicht aufgeben. „Wir sind stärker als der Vulkan“, schwört der 54-Jährige, der in seinen provisorischen Geschäftsräumen in Los Llanos empfängt, der größten Stadt in der Nähe des Feuerbergs. Es ist ein Besuch mit Hindernissen, denn es herrscht an diesem Tag kurz vor Ende des Jahres Ausgangssperre wegen giftiger

    Am selben Tag pustet der Vulkan wieder einmal große Mengen Asche aus, die sich wie schwarzer Schnee auf die glitzernden Weihnachtsbäume und Lichterketten legt, welche die 21.000-Einwohner-Stadt schmücken. Dieses Jahr hat Bürgermeisterin Noelia García die Straßen besonders schön für das Weihnachtsfest herausputzen lassen. „Für uns ist es ein Weihnachten der Hoffnung.“ Auch Michael Nguyen schöpft inzwischen neue.

    Er konnte für die Familie ein kleines Ersatzhaus in sicherer Entfernung zum Vulkan anmieten. Die Firma hält er zusammen mit seinem 23 Jahre alten Sohn Daniel im Notbetrieb am Laufen. Über seine Website können weiterhin Mietwagen und Urlaubsunterkünfte reserviert werden. Doch das Geschäft ist eingebrochen. Viele Touristen und Urlauberinnen haben ihre Buchungen storniert. Obwohl ein Besuch der Insel, wenigstens außerhalb der Vulkanzone, problemlos möglich ist.

    Der Vulkan hat ihr Haus vollkommen "eingeschneit"

    Von den sechs Angestellten, die Nguyen vorher beschäftigt hatte, ist nur noch Dörthe Onigkeit aus Wismar geblieben. Die anderen mussten entlassen werden. Onigkeit betreut ein deutsches Online-Journal, das den Feriengästen nützliche Infos über den Vulkan, das Leben und die Leute auf der Insel liefert. Deutschsprachige Gäste stellten bisher die größte Besuchergruppe auf der Insel.

    Die 42-jährige Angestellte musste ebenfalls nach dem Vulkanausbruch Hals über Kopf aus ihrem Haus flüchten. „Nur Dokumente, Computer und Anziehsachen konnte ich mitnehmen.“ Die Mauern ihres Heims stehen zwar noch, das hat sie kürzlich auf Satellitenbildern gesehen. Doch offenbar sei das Dach durch die Aschelast oder herabstürzende Vulkanbrocken eingestürzt. Das Haus sei so tief von Aschebergen „eingeschneit“, dass schon seit Wochen niemand zu dem Gebäude gelange.

    Aber es sind nicht nur bittere Erfahrungen, die Nguyen und andere in diesem Vulkandrama machen. „Der Zusammenhalt unter den Inselbewohnern, den Palmeros, ist überwältigend“, sagt er. „Mich haben viele Leute angerufen und Hilfe angeboten.“ Zum Beispiel, um am Tag, als die Lava kam, seine Mietwagen zu retten und aus der Gefahrenzone herauszufahren. „Da habe ich vor Rührung Tränen in den Augen gehabt.“

    Aber wie geht es nun weiter? „Wir versuchen, das Beste daraus machen“, sagt Nguyens Sohn Daniel. „Wir schauen nach vorne.“ Der 23-Jährige ist auf der Insel geboren worden. Und ihm ist durchaus klar, dass dies möglicherweise nicht der einzige Vulkanausbruch in seinem noch jungen Leben bleiben wird. „Wir sind eine vulkanische Insel. Und natürlich kann das wieder passieren.“

    Das letzte Mal brodelte 1971 ein Vulkan auf dem Eiland im Atlantik. Damals ging es sehr viel glimpflicher aus, weil der Ausbruch nur wenige Wochen dauerte und weiter südlich, in dünn besiedeltem Gebiet, stattfand. Droht also in 50 Jahren schon die nächste Vulkanexplosion?

    „Jeder Insulaner erlebt einmal im Leben einen Vulkanausbruch“, sagen die Menschen auf La Palma. Viele der 85.000 Einwohnerinnen und Einwohner wünschen sich zu Weihnachten nichts sehnlicher, als dass sich diese Volksweisheit nach der gerade erlebten Jahrhundert-Katastrophe nicht so schnell wieder erfüllen wird.

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