Der Großeinsatz der sächsischen Polizei in Berlin im November 2020 war streng geheim. 1600 Polizisten aus acht Bundesländern rückten tief in der Nacht in der Hauptstadt an, viele mit Maschinenpistolen bewaffnet, dazu kamen Spezialeinsatzkommandos (SEK). Um 6 Uhr morgens stürmte die Polizei Wohnungen und durchsuchte Cafés, Garagen und Autos. Das Ziel: Mitglieder der arabischstämmigen Großfamilie R.
Drei junge Männer wurden verhaftet, weitere Verdächtige aus dem Clan später gefasst. Die insgesamt sechs Verdächtigen sind Brüder oder Cousins. Die Polizei geht davon aus, dass die sechs polizeibekannten Männer einen der spektakulärsten Coups der letzten Jahre begingen: den Einbruch in das Dresdner Museum Grünes Gewölbe und den Diebstahl von Diamantschmuck im Millionenwert. Besonders pikant: Zwei der Männer wurden bereits im Februar 2020 wegen des Diebstahls einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum verurteilt.
Die Angeklagten haben 14 Verteidiger aus der ganzen Bundesrepublik
In Dresden drangen zwei Einbrecher am Morgen des 25. November 2019 in die Museumsräume im Residenzschloss ein. Die Täter hatten zuvor einen Stromverteilerkasten angezündet und dicke Gitter durchtrennt. Mit einer Axt zertrümmerten sie eine Vitrine und stahlen 21 Schmuckstücke mit mehr als 4300 Diamanten. Den ersten Fluchtwagen zündeten sie in einer Tiefgarage an. Mit einem zweiten Auto entkamen sie. Der Versicherungswert der Beute liegt bei 113 Millionen Euro, der Verkaufswert deutlich darunter, aber immer noch in Millionenhöhe.
Am Freitag (28. Januar) beginnt der Prozess gegen sechs Verdächtige aus dem Berliner R.-Clan. Die Anklage lautet auf schweren Bandendiebstahl und besonders schwere Brandstiftung. Dutzende Zeugen sollen angehört werden. Die Clan-Mitglieder haben 14 Verteidiger aus halb Deutschland aufgeboten. Anfragen an die Anwälte, ob die Angeklagten sich zu den Vorwürfen äußern wollen, wurden nicht beantwortet. Zudem ermittelt die Polizei gegen 40 weitere Verdächtige wegen Beihilfe, Hehlerei und Strafvereitelung. Dazu gehören Wachmänner aus dem Museum und mögliche Komplizen und Unterstützer in Berlin.
Schon kurz nach dem Einbruch richteten sich viele Blicke nach Berlin. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte: "Die Parallelen zum Überfall im KaDeWe und dem Einbruch ins Bode-Museum sind leicht erkennbar, dafür muss man nicht Kriminalist sein." Die Sonderkommission "Epaulette" des sächsischen LKA, benannt nach einem Beutestück, sicherte DNA-Spuren vom Tatort und aus Autos, die zu mehreren vorbestraften Mitgliedern des bekannten Clans führten.
Die Großfamilie R. ist einer von mehreren arabischstämmigen Clans, die vor allem in Berlin, Bremen und im Ruhrgebiet leben, allerdings ein sehr auffälliger. Mitglieder des arabischen Mhallami-Stamms wanderten im 20. Jahrhundert aus der Türkei in den Libanon aus. In den 80er Jahren kamen sie nach Deutschland. Ohne Arbeitserlaubnis lebten viele Familien von Sozialhilfe. Durch Ehen innerhalb der Familie vergrößerten sie sich schnell auf mehrere Hundert Angehörige.
Die Liste der Straftaten des Clans ist lang
Staat und Gesetze werden nicht anerkannt. "Die Großfamilie ist alles und der Rest ist nichts", schrieb der Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Für manche Mitglieder wurden Diebstahl und Drogenhandel zu Haupteinnahmequellen. Die Justiz spricht von einer "hohen Anzahl" von Ermittlungsverfahren im Lauf der Jahre. Allein die Liste der bekannt gewordenen Verbrechen von Mitgliedern eines Clans ist lang:
2014 brechen mehrere Täter in eine Sparkasse in Berlin-Mariendorf ein, und stehlen Beute im Wert von mehr als neun Millionen Euro aus den Schließfächern. Ein Täter aus der Großfamilie R. wird verurteilt.
2017 stehlen vier Männer die Goldmünze im Millionen-Wert aus dem Bode-Museum. Drei Täter werden verurteilt, zwei davon aus dem R.-Clan.
2018 beschlagnahmt die Staatsanwaltschaft 77 Wohnungen und Häuser, die sie dem R.-Clan zuordnet. Darunter ist auch die Villa, in der ein Familienoberhaupt lebt. Ein Sohn, der von Hartz IV lebte, hatte sie gekauft. Das Geld dafür soll aus dem Sparkassen-Einbruch stammen.
2019 stehlen zwei Einbrecher ein Kunstwerk in Form eines Goldnestes aus einer Schule. Verurteilt wird ein junger Mann aus der Familie R.
2020 bekriegen sich Clanmitglieder und Tschetschenen. Ein 44-jähriger aus der R.-Familie wird verurteilt. Überführt wurde er durch eine elektronische Fußfessel, die er tragen musste.
2021 überfallen fünf Männer einen Geldtransporter auf dem Ku'damm und erbeuten 650 000 Euro. Ein Mann aus dem R.-Clan, Bruder eines Angeklagten in Dresden, wird verurteilt.
Ebenfalls 2021 brechen mehrere Täter in eine Sparkasse bei Hamburg ein. Die Beute aus 600 Schließfächern laut Medien: elf Millionen Euro. In Berlin wird ein Mann aus dem R.-Clan verhaftet.
Viele Taten werden nie vollständig aufgeklärt
Bei vielen dieser Taten fasste die Polizei nur einen Teil der Täter, andere wurden nie gefunden. Das gleiche gilt für die Beute. Weitere Verbrechen, wie ein Einbruch in das Luxuskaufhaus KaDeWe im Jahr 2009, den die Polizei dem Clan-Milieu zuordnet, werden gar nicht aufgeklärt. Für den Überfall auf das KaDeWe 2014 wurden Mitglieder anderer Clans verurteilt, aber auch hier blieb die Beute verschollen.
Die Aufklärung vieler Taten ist höchst schwierig. Clan-Mitglieder verpfeifen sich nicht gegenseitig. Wer mit dem Staat kooperiert, gilt als Verräter und verliert seine Familie. Mit Bestechungen und Drohungen würden Zeugen zum Schweigen gebracht, sagen Staatsanwälte. Der Polizei gelinge es fast nie, verdeckte Ermittler einzuschleusen. Nur DNA-Spuren bringen die Polizei ab und zu weiter.
Der Aussteiger Khalil O., ein früherer Drogenhändler, schrieb, nicht alle der vielen Hundert Clan-Mitglieder seien Verbrecher. Zwar gebe es in 80 Prozent der Großfamilien Leute, die mit Drogen, Einbrüchen oder Schutzgeld zu tun hätten. Aber auf 100 Familienmitglieder kämen zehn aktive Kriminelle und zehn weitere, die im Gefängnis säßen.
Die Polizei in Dresden betont, man gebe die Hoffnung nicht auf, die Diamanten zurückzubekommen. In Sachsen sind 500.000 Euro Belohnung ausgesetzt, in Berlin steht eine Million Euro von Kunstfreunden bereit. Die Erfahrung der Polizei zeigt allerdings, dass es für die Täter das wichtigste ist, Gold, Uhren oder Schmuck schnell zu Bargeld zu machen. Dafür gibt es zahlreiche Kanäle, die in den Libanon, die Türkei oder nach Osteuropa führen. Die früheren Taten zeigen deutlich: Die Beute bleibt in der Regel verschwunden. (dpa)
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