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Krimi-Kolumne: "Polizeiruf" aus Magdeburg: Kein Krimi, sondern ein gelungenes Kammerspiel

Krimi-Kolumne

"Polizeiruf" aus Magdeburg: Kein Krimi, sondern ein gelungenes Kammerspiel

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    Sarah Ritschel ist eine von vier Krimi-Kritikerinnen und -kritikern unserer Redaktion.
    Sarah Ritschel ist eine von vier Krimi-Kritikerinnen und -kritikern unserer Redaktion. Foto: Montage AZ

    In der rührend fürsorglichen Mutter schlummert eine gewalttätige Seite. Und manchmal bricht sie hervor. Immer dann, wenn es um ihr Baby geht. "Ihr Baby", das die Frau namens Inga Werner kurz vorher im Zentrum Magdeburgs aus einem Kinderwagen entführt hat. Und so ist dieser "Polizeiruf 110" vielmehr ein "Psychogramm 110" – die Charakterstudie einer traumatisierten Frau, deren Handeln über 90 Minuten hinweg ein einziger Notruf ist.

    "Du gehörst mir" (ARD, 20.15 Uhr), der erste Sonntagskrimi nach der Sommerpause (Regie: Jan Wischnewski, Drehbuch: Khyana el Bitar), spielt zu großen Teilen in Werners Wohnung, die immer wie von einem kleinen Lagerfeuer ausgeleuchtet wirkt. Flauschige Decken, gemütliche Sessel, eine aufopferungsvolle Mutter, eine Babywiege. Nur: In dem Bettchen liegt kein Kind.

    Lana Stokowsky (Hannah Schiller, rechts) hat das Mitgefühl von Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen).
    Lana Stokowsky (Hannah Schiller, rechts) hat das Mitgefühl von Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen). Foto: Felix Abraham, MDR/dpa

    Was mit ihm geschehen ist, man weiß es bis kurz vor Ende nicht. Inga Werner jedenfalls hat den Verlust ihrer Tochter nicht verwunden, lebt ihre Mutterrolle erst mit einer lebensechten Babypuppe weiter und bringt schließlich eben die sieben Wochen alte Lucy in ihre Gewalt. Deren Mutter, eine Studentin, weist da gerade einen prolligen Schläger in die Schranken – und wird von ihrem Stalker dabei beobachtet. Ein Widerling im Anzug, der auf Macht- und Sexspiele steht und am Ende eine Blutspur hinter sich herziehen wird.

    "Polizeiruf 110" aus Magdeburg setzt leider auch auf Kommissar Zufall

    Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Vörtler) lebt im selben Haus mit der emotional versehrten Entführerin und droht Verdacht zu schöpfen. Deshalb saust ein Hockeyschläger auf ihn nieder, er wird von Inga Werner buchstäblich ans Bett gefesselt. Was dann kommt, ist ein intensives Kammerspiel. Die Momente, in denen sich die Geschichte allein in den Gesichtern von Täterin und Opfer abspielt, sind die besten dieses "Polizeirufs". Das überwältigende Glück bei Inga Werner, als ihre "neue" Tochter zum ersten Mal an ihrer Brust trinkt, die stille Resignation Lemps, als seine Entführerin das Getränk nicht anrührt, in das er heimlich ein Betäubungsmittel gemischt hat. Grandios gespielt ist das, weiß man doch nie, ob die Täterin Lemp gleich einen Schlag auf die rausgesprungene Kniescheibe verpasst, ihm ein Messer in den Hals rammt oder ihm einfach nur über die Wange streicheln will. An alle Zuschauer: Achtung, bei aller Spannung das Atmen nicht vergessen!

    Inga Werner (Franziska Hartmann) lebt ihre Muttergefühle mit einem entführten Säugling aus.
    Inga Werner (Franziska Hartmann) lebt ihre Muttergefühle mit einem entführten Säugling aus. Foto: Felix Abraham, MDR/dpa

    Was draußen passiert, die Ermittlungen, die Suche nach der verschwundenen Lucy, läuft nur im Hintergrund ab. Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) spielt diesmal eine Nebenrolle, wenn auch am Ende die entscheidende. Die Schwäche dieses "Polizeirufs" ist wie so oft Kommissar Zufall: Zufällig wohnt Lemp in Magdeburg mit seinen 240.000 Einwohnern genau unter der Täterin, zufällig klingelt Brasch mitten in der Nacht genau an der richtigen Tür. Trotzdem: Der Krimi am Sonntag ist mit einer sehenswerten Folge zurück.

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