Das kurze Video lässt wenig Interpretationsspielraum zu. Gefilmt wurde es am Dienstagmorgen im Pariser Vorort Nanterre. Es zeigt zwei Polizisten mit Motorradhelmen an der Fahrerseite eines gelben Mercedes, die an einer befahrenen Straße stehen. Einer der Beamten redet auf die Person am Steuer ein, ein anderer richtet seine Waffe auf sie. Als der Wagen losfährt, schießt er.
Es handelt sich um das Video einer Passantin mit lauten Verkehrsgeräuschen, doch französischen Medien gelang es später, den Satz eines der Beamten herauszufiltern: "Du kriegst gleich eine Kugel in den Kopf!" Die Kugel traf den 17-jährigen Nahel M., der am Steuer saß, in die Brust. Er starb noch am Unglücksort. Wenige Stunden später ging der kurze Film in den sozialen Netzwerken viral.
Er dokumentiert nicht nur den Tod eines jungen Mannes, der sich einer Verkehrskontrolle widersetzte. Sondern es widerlegt auch die erste Version der Polizisten, wonach diese vor dem Wagen gestanden seien, als dieser plötzlich losfuhr. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung gegen den Todesschützen ein. Zwei weitere Passagiere hatten sich im Auto befunden, von denen einer festgenommen wurde und der zweite sich zunächst noch auf der Flucht befand.
"Nanterre hat einen der schlimmsten Tage in seiner Geschichte erlebt", sagte der Bürgermeister
In der Nacht auf Mittwoch gab es heftige Ausschreitungen in Nanterre und mehreren umliegenden Orten. Barrikaden wurden errichtet, etliche Gebäude angezündet oder demoliert, 42 Autos in Brand gesteckt. 31 Menschen kamen in Untersuchungshaft. "Nanterre hat einen der schlimmsten Tage in seiner Geschichte erlebt", sagte der Bürgermeister Patrick Jarry. Er appellierte an alle, die „Spirale der Zerstörung“ zu beenden, forderte aber auch Aufklärung. An einem Gedenkmarsch am Donnerstagnachmittag will er sich beteiligen.
Polizist erschießt Jugendlichen: Schwere Krawalle bei Paris
Dazu hatte Nahels Mutter in einem kurzen Video auf TikTok aufgerufen. "Ich bin Mounia, die Mama von diesem Kleinen aus Nanterre, der gerade eine Kugel abbekommen hat", sagt die Frau. "Bitte kommt alle, wir machen eine Revolte für meinen Sohn." Medienberichten zufolge hatte er als Essenslieferant gearbeitet. Der Polizei war er wegen mehrerer Verkehrsdelikte und Widerstand gegen die Staatsgewalt bekannt. Vorbestraft war er nicht. Bei ihm durchgeführte Drogen- und Alkoholtests fielen negativ aus.
"Nichts rechtfertigt den Tod eines Jungen", sagte Präsident Emmanuel Macron
In Frankreich wecken die Vorfälle bedrückende Erinnerungen an den Herbst 2005, als zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei in ein Transformatorhäuschen im Vorort Clichy-sous-Bois kletterten und starben. Es folgten wochenlange Krawalle in vielen Banlieues im ganzen Land. Der damalige Präsident Jacques Chirac rief schließlich den Notstand aus. Um eine ähnliche Eskalation zu vermeiden, bemühte sich die Politik nun um beruhigende Töne. "Nichts rechtfertigt den Tod eines Jungen", sagte Präsident Emmanuel Macron. Innenminister Gérald Darmanin nannte die Vorfälle "extrem schockierend", ergänzte aber, dass Widerstand gegen die Staatsgewalt bereits wiederholt zum Tod von Polizisten geführt habe. Die Grünen-Chefin Marine Tondelier warnte vor einer "Amerikanisierung" der französischen Polizei, welche den Teenager auf offener Straße "exekutiert" habe.
Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2017 hat Schusswaffengebrauch bei Verkehrskontrollen in Frankreich deutlich zugenommen. 2022 starben 13 Menschen in diesem Zusammenhang, gegen fünf Polizisten wird ermittelt. Frankreichs Fußball-Superstar Kylian Mbappé reagierte auf Twitter auf den Tod des 17-Jährigen: "Mein Frankreich tut mir weh", schrieb er. "Alle meine Gedanken gelten Nahels Familie und seinen Lieben, diesem kleinen Engel, der viel zu früh gegangen ist."