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Kommentar: Warnung vor Otto Waalkes ist betreutes Fernsehen

Kommentar

Warnung vor Otto Waalkes ist betreutes Fernsehen

Daniel Wirsching
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    Otto Waalkes bei der Aufzeichnung seines ersten Fernsehauftritts im Mai 1973.
    Otto Waalkes bei der Aufzeichnung seines ersten Fernsehauftritts im Mai 1973. Foto: Jürgen Dürrwald, dpa

    Es sind nur zwei Sätze, und man kann sich schon fragen: Sind sie die – mal wieder – aufgeheizte Debatte über einen angeblichen "Woke-Wahnsinn" wert? Der erste enthält eine banale Feststellung: "Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt." Der zweite aber hat es in sich: "Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden." Diesen Hinweis hat der WDR vor Folge 1 und 2 von "Die Otto-Show" aus den 70ern gesetzt, die er zum 75. Geburtstag von Waalkes in der ARD Mediathek wiederholt. Gleiches beim 90er-Jahre-Satireformat "Schmidteinander" von Harald Schmidt und Herbert Feuerstein. Der Hinweis wird sich, bliebe der WDR konsequent, schnell weiter verbreiten müssen, im Grunde übers gesamte Programmangebot hinweg. Wie bei Streamingdiensten, die vor Alkohol, Gewalt oder Sex in ihren Programmen warnen. Denn: Im Jahr 2023 ist potenziell alles anstößig. Und, so kann man polemisch ergänzen, das Leben lebensgefährlich.

    Das Publikum wird auf groteske Weise vom WDR unterschätzt

    Aber ist es nicht wunderbar, wenn inzwischen eine größere Sensibilität herrscht, wenn auf möglicherweise problematische Inhalte aufmerksam gemacht wird oder diese entsprechend "eingeordnet" werden, wie der WDR seine Hinweistafeln verstanden wissen will? Dies ist zum einen, jenseits der geifernden rechtspopulistischen Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, durchaus der Debatte wert. Zum anderen muss gerade in diesen Fällen allerdings vor allem über das eigentümliche Verständnis von Kunst- und Meinungsfreiheit diskutiert werden, das sich in den Warnhinweisen offenbart.

    Otto Waalkes und Harald Schmidt reagierten mit Humor: "Vor Komik kann also gar nicht genug gewarnt werden", meinte der "Blödelbarde"; "Ein echter Schmidteinander-Gag", kommentierte Schmidt. Doch lustig ist das WDR-Vorgehen nicht. Nicht nur, dass beiden ohne Nennung von konkreten Beispielen pauschal unterstellt wird, sie würden Diskriminierung Vorschub leisten. Nicht nur, dass "Betrachtungen" und Empfindungen (von wem eigentlich genau?) zu einem fragwürdigen Maßstab erhoben werden. Auch das Publikum wird auf groteske Weise unterschätzt. Betreutes Fernsehen.

    Was sagt es über eine Gesellschaft aus, die mit Hinweistafeln vor satirischen oder fiktionalen Formaten "gewarnt" werden muss?

    Ist es tatsächlich nicht in der Lage und medienkompetent genug, Sketche, Kalauer, Witze, Satirisches als ebensolches zu erkennen? Und kann es diese wirklich nicht vor ihrem jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontext betrachten? Ein Otto-Witz – wie jeder Witz – funktionierte, wurde verstanden oder erst verständlich im engen Rahmen der Zeit, in der er verbreitet wurde. Es ist keine Nebensächlichkeit, wer einen Witz wann wie und vor welchem Publikum erzählt. Ottos Witz mag heute aus der Zeit gefallen wirken, in den 70ern hatte er, auch, eine aufklärerisch-kritische Kraft. Was zugleich bedeutet: Heute würde man, und das lässt sich gut begründen, manches unterlassen oder anders angehen. Eine Dietl-Serie wie "Monaco Franze – Der ewige Stenz" zum Beispiel wäre in dieser Form kaum mehr denkbar, ist sie aus der unerbittlichen Sicht der Nachgeborenen schlicht frauenfeindlich. Dennoch ist das allzu schlicht und sollte nicht den Sinn dafür trüben, welches Meisterwerk sie war und nach wie vor ist.

    Doch zurück zu Ottos Witzen und Schmidts Satire. Sie gründen auf oder spielen mit Abgründen, Tabubrüchen. In der Überzeichnung lassen sie ein Stück Wahrheit zutage treten. Das Anstößige liefert Denkanstöße. Dass man das dem WDR, einem Sender mit langer Kabarett-Tradition, einmal vorhalten muss, wer hätte das gedacht!? Und man fragt sich ernsthaft: Was sagt es über eine Gesellschaft aus, die mit Hinweistafeln vor satirischen oder fiktionalen Formaten "gewarnt" werden muss?

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