Fast das gesamte Gebiet der Türkei ist erdbebengefährdet, doch tut das Land immer so, als gebe es die Gefahr nicht. Nach jedem schweren Beben versprechen Politiker, alles werde besser, doch dann verschließen sie die Augen vor den Warnungen von Experten und vor dem lebensgefährlichen Pfusch am Bau. Auch nach dem Unglück diese Woche dürfte das so weitergehen. Das Land treibt auf eine noch viel größere Katastrophe zu. Die Metropole Istanbul mit 16 Millionen Menschen wartet geradezu auf ein schweres Beben. Auch hier warnen die Fachleute seit Jahren, doch getan wird nichts. Das ist die türkische Tragödie.
Unabänderlich ist das nicht. Es gibt Länder, die das Risiko von Erbebenkatastrophen auf ihren Territorien wirksam reduziert haben. Chile, dessen Wirtschaftskraft weniger als halb so groß ist wie die der Türkei, gehört dazu. Dort achten die Behörden darauf, dass die Vorschriften für erdbebensicheres Bauen eingehalten werden. Diese Wachsamkeit – und nicht die Stärke der Erdbeben – ist der entscheidende Unterschied zur Türkei.
In der Türkei fehlt der politischer Wille, Sicherheitsvorkehrungen durchzusetzen
Als Chile im Jahr 2010 von einem Erdstoß der Stärke 8,8 und einem anschließenden Tsunami mit 29 Meter hohen Wellen heimgesucht wurde, starben 521 Menschen. Das Beben in der Türkei diese Woche war schwächer als das Beben in Chile, tötete aber fast zehn Mal so viele Menschen. In einigen betroffenen Städten brachen schlecht gebaute Wohnblocks zusammen, während Gebäude direkt daneben, bei denen offenbar besseres Material und besseres Know-How eingesetzt wurden, stehen blieben.
Erdbeben lassen sich nicht verhindern, aber ihre Auswirkungen lassen sich mit modernen Bauweisen so begrenzen, dass sie viel von ihrem Schrecken verlieren. In der Türkei fehlt bisher der politische Wille, Sicherheitsvorkehrungen gegen die Interessen von Bauunternehmern und korrupten Politikern durchzusetzen. Deshalb ist die nächste Katastrophe nur eine Frage der Zeit.