Solange die katholische Kirche die Perspektive der Betroffenen sexuellen Missbrauchs nicht übernimmt, kommt sie nicht vom Fleck. Das zeigt nun auch die erneute Stellungnahme von Papst Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchs-Gutachten. Konkret lässt er seine Rechtsberater als ehemaliger Erzbischof von München und Freising jede persönliche Verantwortung für Vertuschung von sexuellem Missbrauch leugnen. Dabei ist längst klar, dass auch Joseph Ratzinger wie die meisten kirchlichen Würdenträger damals nicht hingesehen hat und für ihn das Wohl der Täter meilenweit über dem der Betroffenen stand. Es galt, den „Skandal“ zu vermeiden, das Ansehen der Kirche zu schützen.
Die Kirche will sich ihrer Verantwortung beim Thema Missbrauch noch immer nicht stellen
Von wegen Unfehlbarkeit eines späteren Papstes, von wegen Heiligkeit seines Vorgängers Johannes Paul II. Im Angesicht des Ausmaßes der Schuld, die die Kirche in vielen Teilen bis heute auf sich lädt, muten diese katholischen topoi zynisch an. Wer sich in die Betroffenen hineinversetzt, die nun ein weiteres mal lesen müssen, dass Kardinal Ratzinger als Erzbischof „nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt“ war, kann nur mit Unverständnis reagieren. Da spricht die alte Kirche, die sich weiter individuell und kollektiv vor ihrer Verantwortung verschanzt.
Es gibt allerdings auch einen Schimmer der neuen, verantwortungsbewussten Kirche, die in Benedikts Schreiben aufschimmert. Der 94-Jährige schreibt, er habe „verstehen gelernt, dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen“. Wie weit das echte Erkenntnis ist, bleibt dahin gestellt. Die katholische Kirche (in Deutschland) befindet sich in einem Lernprozess. Offenbar gilt das auch für den emeritierten Papst. Es ist deshalb noch nicht alle Hoffnung verloren.