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Kommentar: ESC oje? Nein, olé! Jetzt erst recht!

Kommentar

ESC oje? Nein, olé! Jetzt erst recht!

Daniel Wirsching
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    Leider verloren: Lord of the Lost kamen für Deutschland beim ESC nur auf den letzten Platz.
    Leider verloren: Lord of the Lost kamen für Deutschland beim ESC nur auf den letzten Platz. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Jetzt ist mal wieder die Zeit der ESC-Verschwörungstheoretiker. Nach der Platte "Der Ostblock hält zusammen" dudelt einmal mehr "Niemand hat uns lieb". Und aus dem Mimimi-Chor tönt ausgerechnet Thomas Gottschalk, der seinen Schalk in den 90ern verlor, am lautesten heraus: "Bei aller Liebe, aber wir werden vom Rest Europas doch inzwischen verarscht", schrieb der 72-Jährige, immerhin auf Instagram.

    So mögen die Deutschen vom Pech verfolgte ESC-Teilnehmer sein – unschlagbar sind sie im Lamentieren, In-Grund-und-Boden-Analysieren, Schlechtreden und Selbstzerfleischen. Die Idee, dass das alljährliche

    Also bitte mehr Sahne, ergo: Leichtigkeit, Experimentierfreude, Mut zu Unkonventionellem

    Ein Jammer, dass Guildo Horn die Zeit vergessen zu haben scheint, in der der ESC in Deutschland eine Zombie-Veranstaltung war und er mithilfe Stefan Raabs das Licht anknipste. Ab Ende der 90er, die Älteren könnten sich erinnern, nahmen die beiden den Wettbewerb nicht typisch deutsch bierernst, sondern sangen sich in wunderlichen Kostümen mit Liebe und "Wadde hadde dudde da?" auf Platz sieben und fünf. That's the spirit! Also bitte mehr Sahne, ergo: Leichtigkeit, Experimentierfreude, Mut zu Unkonventionellem (und damit ist nicht Ballermann-Barde Ikke Hüftgold gemeint, der im Unterschied zu Horn und Raab musikalisch auf der dunklen Seite steht). Nach wie vor ein Jammer auch, dass sich 2013 die fünf Chiemgauer von LaBrassBanda "nicht zum ESC nach Malmö blasen" konnten (O-Ton eurovision.de).

    Was die Deutschen als Volk der Fußballtrainer und ESC-Besserwisser einfach nicht verstehen wollen: Der ESC hat, wie "der Pokal", seine eigenen Gesetze. Das bewies zuletzt Malik Harris, der – na klar – 2022 Letzter wurde, und sich dennoch (?) eine beachtliche Karriere aufbaute, gerade in Deutschland. Oder weiß noch jemand auswendig, wer 2022 ESC-Zweiter wurde?

    Den ESC gewinnt, wer einen gesamteuropäischen "Zeitgeist" einzufangen und auf großer Bühne zu feiern weiß. Klingt pathetisch, ist aber so. Man denke bloß an Vorjahressieger Kalush Orchestra aus der Ukraine oder an "unsere" Lena. "Eine 19-jährige Abiturientin aus Hannover zaubert Millionen Deutschen ein Lächeln ins Gesicht", kommentierte der Autor dieses Kommentars damals, 2010, vor dem ESC-Finale und verlangte nach ein "bisschen mehr Lena".

    Der NDR braute an ständig neuen Rezepten, rührte aber hauptsächlich Zutaten zurückliegender Erfolge zusammen

    Nach Lena Meyer-Landruts erstem Platz kam es natürlich anders. Der NDR als sogenannte federführende Sendeanstalt braute mit fast wissenschaftlichem Ehrgeiz an ständig neuen Rezepten, rührte allerdings hauptsächlich Zutaten zurückliegender Erfolge zusammen. Heraus kamen 2015 und 2016 "James Bond Song"-Verschnitte, die an Conchita Wursts Siegertitel von 2014 erinnerten; 2019 eine Powerballade, die an den Sieger von 2015 denken ließ; und 2022 Hitparaden-Pop, der dem Gewinnerlied von 2019 nicht völlig unähnlich war. 2023 schickte man schließlich eine Rockband, die Blut und Glitzer beschrie und so happy sei, dass sie sterben könnte. War nicht 2021 eine Rockband irre erfolgreich? Und einst diese verrückten Finnen, Lordi? Genau.

    Was das für den nächsten ESC bedeutet? Jetzt erst recht! Den letzten Platz haben wir ja sicher! Oder wie es am Montag eine NDR-Sprecherin sagte: "Wir sind in jedem Jahr mit großer Freude dabei. Und das bleibt auch so."

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