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Kirche: Der geschwächte Papst: Die nächste Papst-Wahl wird schon vorbereitet

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Der geschwächte Papst: Die nächste Papst-Wahl wird schon vorbereitet

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    Papst Franziskus während einer seiner wöchentlichen Generalaudienzen: Er ist sichtbar gesundheitlich angeschlagen.
    Papst Franziskus während einer seiner wöchentlichen Generalaudienzen: Er ist sichtbar gesundheitlich angeschlagen. Foto: Andrew Medichini, dpa/AP

    Es ist eine oft gesehene Szene im Vatikan: Neben seinem Sessel steht ein Rollator, denn das Gehen macht Franziskus seit Monaten zu schaffen. Der Papst also sitzt – und empfängt freundlich Besucher. Er ist schwerer geworden, schwerfälliger. Vor einer Woche, nach der Generalaudienz, schaffte

    Ein Dienstag im März 2024. Ein Besucher, der später unter vier Augen von der Begegnung erzählen wird, ist vom Papst ins vatikanische Gästehaus Santa Marta bestellt worden. Das Thema der Besprechung ist ernst. Es geht um Missbrauch, eine katholische Sekte in Lateinamerika. Eigentlich sollten die zuständigen Vatikanbeamten sich der Sache widmen. Doch alles verlief im Sande, mal wieder. Erst, als Franziskus informiert wird, kommt Schwung in die Sache. An der Wand des Besprechungssaals im Vatikan-Gästehaus, in dem der Papst lebt, arbeitet und empfängt, hängt das berühmt gewordene Gemälde der Maria Knotenlöserin. Es ist eine Kopie des Augsburger Originals. Die Knotenlöserin ist das Sinnbild seines Pontifikats: Der Papst ist körperlich angeschlagen, versucht jedoch immer noch die unzähligen Fragen im Dickicht der katholischen Kirche zu klären.

    Papst Franziskus und das Bild von der "weißen Fahne" der Ukraine

    Manchmal sorgt er selbst für Missverständnisse. Kürzlich etwa löste Franziskus wieder einen Proteststurm aus. Eigentlich wollte er sagen – so versuchte es ein Vatikansprecher hinterher klarzustellen –, der Krieg in der Ukraine solle endlich aufhören, die Konfliktparteien sollten Verhandlungen aufnehmen. Weil der Papst mit dem lockeren Mundwerk allerdings das Bild von der "weißen Fahne" gebrauchte, hieß es, er habe die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte entrüstet, Bundeskanzler Olaf Scholz wie CDU-Chef Friedrich Merz übten Kritik. Es mag sein, dass das Pontifikat zu Ende geht. Ruhig geworden ist es nicht um diesen Papst.

    An diesem Dienstag nun erscheint eine Autobiographie, die man durchaus als eine Art Vermächtnis lesen kann. "Leben. Meine Geschichte in der Geschichte" heißt das bei HarperCollins erscheinende Buch, das Franziskus zusammen mit dem italienischen Vatikanjournalisten Fabio Marchese Ragona verfasst hat. Franziskus ist 87 Jahre alt, gerade hat das zwölfte Jahr seines Pontifikats begonnen, von dem er einmal ausging, dass es "eher kurz" sein würde. Zeit für Rückblicke, Zeit für Einordnungen. Endzeitstimmung im Vatikan?

    Das Gnadenbild Maria Knotenlöserin in der Kirche Sankt Peter am Perlach in Augsburg: Es ist das Sinnbild des Pontifikats von Franziskus.
    Das Gnadenbild Maria Knotenlöserin in der Kirche Sankt Peter am Perlach in Augsburg: Es ist das Sinnbild des Pontifikats von Franziskus. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Wer nur auf den Körper von Franziskus blickt, kann – und das ist nicht respektlos gemeint – rasch zu dem Schluss kommen, dass es bald vorbei sein könnte. Seit Jahren plagt den Papst der Ischias, 2023 zwang ihn eine Divertikulitis, eine Erkrankung im Darmbereich, ins Krankenhaus. Das Knie schmerzt, er braucht Rollstuhl und Rollator. Ständig erkältet er sich, leidet an Bronchitis. Öffentliche Ansprachen, etwa bei der Generalaudienz, halten andere für ihn. Sein Bewegungsradius hat sichtbar abgenommen, während er, ein Süßigkeitenliebhaber, am Bauch sichtbar zugenommen hat. Einen Grund, das Amt niederzulegen, sehe er nicht, schreibt der Papst in seiner Autobiographie. "Die Dinge würden sich ändern, wenn eine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung einträte." Und so schwerwiegend seien seine Beschwerden derzeit nicht. "Es kann schon noch ein paar Jahre so weitergehen", sagt ein kundiger Vatikanbeobachter.

    Für den Fall des Falles hat Franziskus bereits seine Rücktrittserklärung unterschrieben "und im Staatssekretariat hinterlegen lassen", wie er selbst schreibt. Alles ist vorbereitet: "Sollte dies jemals eintreten, würde ich mich nicht emeritierter Papst, sondern einfach emeritierter Bischof von Rom nennen lassen und nach Santa Maria Maggiore umziehen, um wieder die Beichte abzunehmen und den Kranken die Heilige Kommunion zu spenden." So kann man es nachlesen.

    Papst Franziskus kümmert sich weiter um komplexe Fragen

    Im Zwiegespräch – berichten diejenigen, die Franziskus kürzlich persönlich getroffen haben – wirke Jorge Bergoglio einnehmend und energisch wie eh und je. Er kümmert sich demnach persönlich um komplexe Fragen, macht Witze, benutzt Kraftausdrücke. "Es un desgraciado", "das ist ein Mistkerl", soll er unter vier Augen über einen spanischsprachigen Bischof gesagt haben, von dem er sich verraten fühlt. Es wäre gut vorstellbar, hätte Franziskus genug von all den Hofintrigen, Auseinandersetzungen und Demütigungen. Aber nein: So ist es offenbar nicht. Das Petrusamt sei "auf Lebenszeit", schreibt er, abgehärtet von Tausenden Disputen. "Dieser Mann hat eine Nilpferdhaut", meint ein Argentinier in Rom, der ihm nahesteht.

    Im Buch geht es ausführlich um die Familie Bergoglio und ihre piemontesischen Wurzeln. Franziskus erzählt seine eigene Geschichte und sein eigenes Denken an Weltereignissen entlang. Es geht um den Zweiten Weltkrieg, die Kuba-Krise, die Militärdiktatur in Argentinien, die Fußball-WM 1986. Damals war der 49-Jährige zu Gast bei einer Familie Schmidt in Boppard bei Bonn. Er schrieb seine Doktorarbeit, lernte Deutsch am Goethe-Institut, schaute Fußball und vertiefte seine Hingabe an das Bildnis der Maria Knotenlöserin, die ihm half, "alle meine Knoten zu lösen". Der Fall der Berliner Mauer spielt im Buch eine Rolle, die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Weltwirtschaftskrise 2008 sowie der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 – und wie Bergoglio seine eigene Wahl im folgenden Konklave lange nicht kommen sah. Als es die neuen Kleider anzulegen galt, will Franziskus in der Sixtinischen Kapelle gesagt haben: "Ich werde nur die weiße Soutane tragen und das Brustkreuz, das mich, seit ich Erzbischof bin, begleitet, und meine orthopädischen Schuhe werde ich behalten!"

    Aus dem Leben Jorge Bergoglios hat der Leser, die Leserin zuvor erfahren, wie es ist, wenn sich ein späterer Papst und damaliger Seminarist verliebt in "ein Mädchen, dessen Schönheit und Intelligenz mir den Kopf verdrehten". Eine der prägenden Figuren für den jungen Bergoglio ist außerdem die Leiterin eines biochemischen Labors, Esther Ballestrino, eine überzeugte Kommunistin. In den 1950ern liest er kommunistische Zeitschriften, die ihm Ballestrino gibt. Von Ballestrino habe er viel über Politik gelernt. "Dennoch habe ich die kommunistische Ideologie nicht übernommen", stellt er als Papst fest. Doch die Gerüchte halten sich bis heute. "Selbst ein mit mir befreundeter Kardinal erzählte mir einmal, eine sehr gläubige Katholikin habe ihm anvertraut, ich sei der Antichrist. Und warum? Weil ich keine roten Schuhe trage! Doch wer über die Armen spricht, ist nicht automatisch Kommunist", erklärt er.

    Aufschlussreich ist auch der Abschnitt über seine Zeit im argentinischen Córdoba, 1990 bis 1992. Zuvor hatte er die argentinische Provinz der Jesuiten geleitet, nun schickten ihn die Ordensoberen in die "Verbannung". "In diesen knapp zwei Jahren", schreibt Franziskus, "dachte ich viel über meine Vergangenheit nach, über meine Zeit als Provinzial, über die Entscheidungen, die ich egoistisch und aus dem Bauch heraus getroffen hatte, über die Irrtümer, die ich wegen meines autoritären Gehabes begangen hatte, sodass man mir schließlich vorgeworfen hatte, ultrakonservativ zu sein." Ultrakonservativ, Kommunist, Antichrist? Was denn nun? Wer ist Franziskus?

    Das nächste Papst-Konklave wird bereits vorbereitet

    Zumindest das lässt sich mit Sicherheit sagen: Er hat viele Kritiker, auf allen Seiten. Die Links-Katholiken in Deutschland sind verbittert, dass er die Reformen des Synodalen Wegs ausbremst. Die Traditionalisten in Rom werfen Franziskus vor, das Papsttum zu zerstören. Seine Gegner bereiten sich schon auf das nächste Konklave vor, das seinen Nachfolger zu wählen hat. Mögliche Kandidaten werden geprüft. Doch alle Kritikerinnen und Kritiker bleiben dennoch einigermaßen machtlos gegenüber diesem scheinbar schwächelnden Papst. So ist das Abwarten zur großen Devise geworden. "Die Mao-Tse-Tung-Taktik", nennt es Buchautor und Vatikan-Beobachter Marco Politi martialisch. "Sie warten am Ufer, bis der Leichnam des Feindes vorüber treibt."

    Eine Art finale Abrechnung mit Franziskus lieferte vor Wochen ein anonymer Kardinal auf der Internetseite des konservativen Mediums Nuova bussola quotidiana. Als "Demos II" schimpfte der Kritiker gegen den "autokratischen, zuweilen nachtragend wirkenden Regierungsstil; eine Nachlässigkeit in Fragen des Rechts; eine Intoleranz selbst gegenüber respektvoll geäußerten Differenzen, und – was am schwersten wiegt – ein Muster der Mehrdeutigkeit in Fragen des Glaubens und der Moral". Auch dieser Affront ließ Franziskus offenbar kalt. Er bräuchte "einmal die Woche einen Psychologen ..., wenn ich all dem nachgehen würde, was über mich gesagt und geschrieben wurde!", heißt es in seiner Autobiographie.

    Und immer noch bringt der angeschlagene Papst die Kraft auf für das eine oder andere Revolutiönchen. Die Erklärung "Fiducia supplicans" aus dem vergangenen Dezember, die die Segnung homosexueller Partner erlaubt, ist so ein Beispiel. Undenkbar unter Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. Franziskus duldet sogar, dass die afrikanischen Bischöfe die Erklärung beinahe geschlossen ablehnen: Man müsse die Kultur jener Länder verstehen.

    Franziskus hat, auch das lässt sich mit Sicherheit sagen, seiner Kirche viel zugemutet. Sie wird sich künftig wohl erst einmal erholen müssen von seinem Schwung. Wie es nach ihm weitergehen wird? Mit wem es als Kirchenoberhaupt weitergehen wird? Hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen für das nächste Konklave, doch ob sich die katholische Kirche dann nach vorne oder zurück bewegen wird, oder ob sie auf der Stelle treten wird, das ist höchst ungewiss. Einig sind sich Kenner darin, dass es die schwierigste Papstwahl seit Langem werden könnte.

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