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Kernenergie: Elf Jahre nach der Katastrophe herrscht wieder Leben neben Fukushima

Kernenergie

Elf Jahre nach der Katastrophe herrscht wieder Leben neben Fukushima

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    Ende 2017 begannen in Futaba die Vorbereitungen dafür, dass wieder Leben in den Ort zurückkehren kann. Jetzt ist es soweit.
    Ende 2017 begannen in Futaba die Vorbereitungen dafür, dass wieder Leben in den Ort zurückkehren kann. Jetzt ist es soweit. Foto: Kyodo, dpa

    Für Tatsuhiro Yamane dürfte es einer der schönsten Jahresanfänge sein, die er je erlebt hat. Nach Jahren des Dekontaminierens, Konferierens und Überzeugens hat der Lokalpolitiker sein Ziel vor Augen. Endlich wird der 37-jährige in seine Wahlheimat ziehen können, in der er schon so oft gewesen ist, aber nie wohnen durfte, mit deren Menschen er schon so viele Unterhaltungen geführt hat, auch wenn die meisten davon in einem anderen Ort stattfinden mussten. „Futaba wird wieder bewohnbar!“, heißt es nun offiziell.

    In Japan ist es eine Sensation mit großer Symbolkraft. Elf Jahre nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima beginnt ab diesem Donnerstag die schrittweise Rücksiedlung in jene Gemeinde, die auch der Standort des havarierten AKW Fukushima Daiichi gewesen ist. Nachdem am 11. März 2011 zuerst ein Erdbeben der Stärke 9,0 die Küstenregion erschüttert und dann ein Tsunami ganze Orte überschwemmt hatte, kam es im Atomkraftwerk zu Kernschmelzen in mehreren Reaktoren. In der schwersten Katastrophe der jüngeren Geschichte Japans starben um die 20.000 Menschen. 470.000 verloren ihr Zuhause, bis heute gelten 39.000 offiziell als heimatlos.

    Für diverse weitere Orte im 30-Kilometer-Umkreis setzte sich der Begriff "Geisterstadt" in den Köpfen der Menschen fest

    Zu den Orten, die als erste geräumt wurden, gehörten jene in unmittelbarer Nähe zur Kraftwerksruine. In Futaba wurde kurz nach dem Gau zwei Kilometer vom AKW-Gelände entfernt eine Strahlungsstärke von etwa 25 Mikrosievert pro Stunde gemessen, also in etwa das Hundertfache dessen, was laut den Regulierungen den Ort gerade noch bewohnbar gemacht hätte. Je weiter man sich vom Kraftwerk entfernte und ortseinwärts bewegte, desto geringer wurden die Werte. Eine Alternative zur vollen Evakuierung bestand hier aber von Anfang an nicht.

    Von einst rund 7000 Menschen fiel die Bevölkerung über Nacht auf null. Für diverse weitere Orte im 30-Kilometer-Umkreis setzte sich der Begriff „Geisterstadt“ in den Köpfen der Menschen fest. Da war etwa Minamisoma, 25 Kilometer nördlich des AKW, wo eine Zeit lang nur noch die Feuerwehr die Stellung hielt. Oder der Ort Iitate, der zwar 40 Kilometer entfernt landeinwärts liegt, aber von einer radioaktiven Wolke erfasst wurde. Erst Wochen nach dem Gau wurde das Dorf evakuiert, der Bürgermeister regierte fortan von der Präfekturhauptstadt Fukushima-Stadt aus. Vielen Orten ging es ähnlich.

    Vielen Orten ging es ähnlich, aber wohl keiner wurde so hart getroffen wie Futaba

    Aber wohl keiner wurde so hart getroffen wie Futaba. Tatsuhiro Yamane ist ein ungewöhnlicher Bürger dieser noch nicht wieder bewohnten Gemeinde. Nach der Katastrophe kam der Tokioter als Aufbauhelfer her, sollte die Geschichten der Menschen dokumentieren, um eine Art öffentliches Gedächtnis zu institutionalisieren. „Die Erinnerungen beeindruckten mich so sehr, dass mir der Ort ans Herz wuchs.“

    Yamane ließ sich zum Gemeinderatsmitglied wählen und lernte seine heutige Frau kennen, die aus Futaba stammt. Deren einstiges Haus ist bis heute eine Ruine. Das Paar mit zwei Kindern, das wie viele theoretische Einwohner von Futaba derzeit in der eine Autostunde südlich gelegenen Großstadt Iwaki wohnt, will schnellstmöglich hier ein neues Haus bauen.

    Wenn Futaba ab Donnerstag wieder bewohnt werden kann, gilt dies noch nicht ohne Einschränkungen. Übernachtungen werden erlaubt sein, ein Aufenthalt für 24 Stunden aber noch nicht. Trotz der wiederholten Dekontaminierungsarbeiten – maßgeblich in Form von Abtragen oberer Erdschichten – können immer wieder lokale Strahlenhotspots beobachtet werden. Ab Juni sollen die bestehenden Aufenthaltsbeschränkungen fallen.

    Nur zehn Prozent wollen zurückziehen – vor allem jüngere Familien haben schon anderswo neue Wurzeln geschlagen

    Allerdings sorgt die Kraftwerksruine, die zur Katastropheneindämmung noch immer mit Kühlwasser versorgt werden muss und vom Ortsinneren je nach Standort hinter einer Reihe von Bäumen auch sichtbar ist, weiterhin für Unbehagen. Kritiker sowohl der nationalen Regierung als auch jener von Fukushima halten die Rückkehr für verfrüht. Eine Umfrage unter denen, die ihre Heimat verlassen mussten, ergab, dass nur zehn Prozent zurückziehen wollen. Vor allem jüngere Familien haben schon anderswo neue Wurzeln geschlagen.

    Tatsuhiro Yamane allerdings begann schon kurz vor der Pandemie mit dem Plan, die eingeschlafene Wirtschaft des Orts wieder zum Leben zu erwecken. Er hat eine Firma gegründet, die Spaziergänge auf Japanisch und Englisch durch Futaba anbietet und die Zeit vor und nach der Katastrophe erzählt. „Darin steckt bestimmt Potenzial“, glaubt Yamane. Seit letztem Jahr hat auch eine Gruppe von zehn Bauern begonnen, in Futaba wieder versuchsweise Reis zu säen. Im Jahr 2025, so die Hoffnung, will die Stadt wieder essbaren Reis verkaufen.

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