Boris Becker hat im Tennis immer bis zuletzt gekämpft. Er war mit Leidenschaft bei der Sache. Authentisch. Dafür liebten ihn die Deutschen und viele interessieren sich noch immer für ihn. Dies spiegelt sich auch im großen Interesse an der Gerichtsverhandlung und überdies im Verhältnis der Medienvertreter vor Ort: Auf einen britischen kamen in den vergangenen zwei Wochen etwa zwei deutsche Journalisten, von denen einige keinen Tag des Prozesses im Southwark Crown Court im Zentrum Londons verpassten. Diese Woche wird es besonders spannend. Die Verhandlung neigt sich dem Ende zu.
Hatte Boris Becker jemals einen Überblick über seine Finanzen?
Dass Boris Becker das mediale Interesse zu schätzen weiß , ist unwahrscheinlich. Schließlich geht es anders als zu seinen Zeiten als Profi-Sportler nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um seine Freiheit. Dem 54-Jährigen wird vorgeworfen, während eines Insolvenzverfahrens gegen ihn, das 2017 begann, Vermögenswerte nicht ordnungsgemäß angegeben zu haben – darunter Davis-Cup-Medaillen, eine olympische Goldmedaille, eine Wohnung im Londoner Stadtteil Chelsea, zwei Wohnungen in Deutschland. Becker weist die Vorwürfe zurück. Wird er verurteilt, drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft. „Ich bin ein Mensch, der niemals aufgibt“, sagte er im Vorfeld des Prozesses in einem Interview. Und weckte mit diesem Satz womöglich nicht zufällig Erinnerungen an bessere Zeiten. Doch vor Gericht entstehen andere Bilder. Becker sitzt bei der Verhandlung in einem fensterlosen Gerichtssaal in einer Art Glaskasten oder bei der Befragung, auf einem Dreh-Bürostuhl. Glanzvoll ist das nicht.
Doch welche Strategie verfolgten sein Verteidiger Jonathan Laidlaw und Staatsanwältin Rebecca Chalkley, während sie Becker in den vergangenen zwei Wochen zu Themen befragten, über die eigentlich keiner reden will – erst recht nicht öffentlich? Laidlaw, der Fragen stets betont höflich stellt, versuchte, so schien es, den Eindruck erwecken, dass Becker seit seiner Jugend keinen Überblick über seine Finanzen gehabt und sich auf seine Berater verlassen, auf deren Expertise vertraut habe. „Ist das etwas, das sie bis zuletzt so gehandhabt haben?“, wollte er von Becker wissen. „Leider ja“, antwortete dieser. So sei der einstige Tennis-Star von dem Insolvenzverfahren überrascht worden.
Staatsanwältin Rebecca Chalkley nimmt Boris Becker in die Mangel
Die Staatsanwaltschaft pochte im Gegensatz dazu vehement darauf, dass Becker gewusst haben muss, dass sich Probleme anbahnten. Dabei zitierte Chalkley immer wieder Schreiben, die an Becker persönlich adressiert waren und von der Behörde stammen, die seine Bankrotterklärung verwaltete. Sie behauptete, dass er diese Briefe selbst geöffnet habe. Becker bestritt dies. „Diese Briefe wurden ans Haus geliefert, aber ich kann mich nicht erinnern, sie persönlich entgegengenommen zu haben”, sagte er ein paar Mal.
Darüber hinaus soll Becker, laut Staatsanwaltschaft, im Laufe der Jahre mehr Zeit gehabt haben, um sich um seine Finanzen zu kümmern und selbst Verträge auszuhandeln. Chalkley, die zunehmend offensiv auftrat, sagte einmal: „In diesem Formular bezeichnen Sie sich als Geschäftsmann.” Becker erwiderte: „Das habe ich nicht geschrieben, ich würde mich nie als Geschäftsmann bezeichnen.” Darauf Chalkley: „Sie waren vielleicht nicht der Mann, der den Stift gehalten hat. Aber sie hätten es korrigieren können.”
Prozess in London: Wo sind Boris Beckers Pokale hin?
Interessant wurde es gestern, als die Staatsanwältin nahelegte, dass Becker sehr wohl über die Regeln einer Privat-Insolvenz Bescheid gewusst haben soll. Sie begründetet das damit, dass er kurz nach der Bankrotterklärung von einem Amt als Direktor eines Unternehmens zurückgetreten sei, noch vor der Rücksprache mit seinen Beratern. Beckers Verteidiger legte jedoch nahe, dass nicht etwa Becker selbst, sondern einer seiner Berater diesen Schritt eingeleitet habe.
Darüber hinaus befragte ihn die Staatsanwältin zum Verbleib seiner Pokale. Hat er verschleiert, wo sie sind, indem er seine „Geschichte“ immer wieder änderte? Mal habe er nicht gewusst, wo sie sind, dann doch. Laidlaw betonte, dass Becker versucht habe, die Trophäen ausfindig zu machen. Dann erklärte er die Vernehmung für beendet und Becker durfte zurück in den Kasten, wo er sich in seinen Sitz fallen ließ.
Wie urteilt die Jury in London über Boris Beckers Insolvenz?
Becker blieb in der Befragung seiner Argumentationslinie treu: Er habe nicht gelogen, nichts verschleiert. Reicht das für eine Bewährungsstrafe? Freispruch? Heute folgen die Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwaltschaft und das Resümee des Falls durch die Richterin. Dann entscheidet die Jury, in welchen Punkten Becker schuldig gesprochen wird. Die meisten von ihnen Männer, die nicht etwa Millionen sondern nur Tausende im Jahr verdienen. Beckers Beitrag zum Prozess jedenfalls ist seit gestern erledigt. Er kann jetzt nicht mehr kämpfen, nur noch warten.