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Interview mit Jugendforscher Schnetzer: Was beschäftigt die Jugend von heute?

Jugend in Deutschland

Was beschäftigt die Jugend von heute, Herr Schnetzer?

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    Viele junge Menschen wollen Verantwortung übernehmen und engagieren sich gesellschaftlich – wie hier bei einer Fridays-for-Future-Demonstration.
    Viele junge Menschen wollen Verantwortung übernehmen und engagieren sich gesellschaftlich – wie hier bei einer Fridays-for-Future-Demonstration. Foto: Ralf Lienert

    In der aktuellen Trendstudie „Jugend in Deutschland“ kommen Sie und Ihre Kollegen zu dem Schluss, dass junge Menschen sehr wohl Verantwortung übernehmen wollen, es jedoch ein „aber“ gibt. Worin besteht dieses „aber“?
    SIMON SCHNETZER: Junge Menschen sind bereit, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, aber nicht zu den Konditionen, die sie vorfinden. Zum Beispiel in der Art, wie Arbeitsverhältnisse gedacht werden. Wenn junge Menschen für 40 Stunden Arbeit unterschreiben, dann erwarten sie auch 40 Stunden, während der Arbeitgeber denkt, es könnten auch mal 50 sein, wenn es nötig ist. Dann sollten 50 Stunden aber auch im Arbeitsvertrag stehen, denken sich die Jungen. 

    Warum denken junge Menschen anders über Leistung als ältere Generationen?
    SIMON SCHNETZER: Junge Menschen haben erlebt, wie schnell Freiheiten weg sein können, wie schnell die finanzielle Lage prekär werden kann, durch Corona und andere Krisen. Sie haben gesehen, wie die älteren Generationen in ihrer Jugend schwer gebuckelt haben, in die Rente eingezahlt haben und sich dadurch einen entspannten Ruhestand erarbeitet haben, weil die

    Gleichzeitig befinden sich junge Menschen aufgrund des Arbeitskräftemangels in einer mächtigen Position gegenüber Arbeitgebern. Sind sie sich dessen bewusst?
    SIMON SCHNETZER: Das wissen sie sehr genau. Jeder vierte Beschäftigte in der Alterskategorie 14 bis 29 Jahre bekommt mittlerweile Abwerbeangebote, vor einem Jahr waren es noch 14 Prozent. Diese Macht spielen junge Menschen bei Bewerbungsgesprächen aus, indem sie beispielsweise bessere Konditionen fordern. 

    Was ist jungen Menschen beim Thema "Arbeit" besonders wichtig?
    SIMON SCHNETZER: Früher war jungen Menschen der Spaß an der Arbeit das Wichtigste. Der ist zwar immer noch wichtig, doch steht nun das Thema "Geld" dominant zuerst. Und zwar nicht, weil es so motivierend wäre, sondern weil es so demotiviert, wenn es nicht reicht. 

    Simon Schnetzer aus Kempten gehört zu den renommiertesten Jugendforschern in Deutschland.
    Simon Schnetzer aus Kempten gehört zu den renommiertesten Jugendforschern in Deutschland. Foto: Martina Diemand

    Die Coronapandemie hat die junge Generation psychisch sehr belastet. Hat sie sich davon schon erholt?
    SIMON SCHNETZER: Davon sind wir ausgegangen, dass es jungen Menschen emotional und psychisch besser geht. Und das Gegenteil ist der Fall, es wird sogar noch schlechter. Es bereitet uns Sorgen, dass sich junge Menschen von diesem Krisenmodus nicht erholen. 

    Der ständige Krisenmodus ist auch gesamtgesellschaftlich ein Thema. Erleben junge Menschen diesen anders als ältere Generationen?
    SIMON SCHNETZER: Sie erleben die Krisen vor allem sehr direkt, weil sie nicht durch den klassischen Nachrichtenfilter laufen. Statt einen Fernseh- oder Zeitungsbericht über den Ukraine-Krieg, sehen sie zum Beispiel den Post eines Soldaten, dessen Kamerad gerade neben ihm erschossen wurde. Das ist vor allem für sehr junge Menschen extrem belastend. 

    Wie kann man jungen Menschen helfen, aus diesem Krisenmodus herauszukommen?
    SIMON SCHNETZER: Wenn für junge Menschen in Krisen alles entschieden wird, ohne dass sie gefragt werden, lernen sie keine Krisenbewältigungskompetenz. Und das ist nicht nur eine politische Frage. Während Corona wurden Jugendliche nicht gefragt, wie der Unterricht aussehen soll, ob Schulen geschlossen werden oder was sie brauchen, um ihre sozialen Bedürfnisse zufriedenzustellen. Es wurde für sie entschieden. Krisen nur als Statisten zu erleben, verstärkt nur noch das Belastungsgefühl. 

    Es geht also um gesellschaftliche Teilhabe?
    SIMON SCHNETZER: Richtig, aber um eine Teilhabe, bei denen junge Menschen auch das Gefühl haben, etwas bewirken zu können. Sonst ist es nur eine Scheinbeteiligung, was sehr häufig der Fall ist. Verantwortung für die Zukunft hängt außerdem auch an der Frage, wie wir junge Menschen darauf vorbereiten. Visionäres Denken ist bei jungen Menschen kaum ausgeprägt, das müssen wir fordern und fördern. 

    Vielen gilt die junge Generation hingegen als faul und kaum noch belastbar. Woher kommt diese Wahrnehmung?
    SIMON SCHNETZER: Häufig stecken Jüngere und Ältere in ihren sozialen "Blasen" fest und bekommen gar nicht mit, was los ist. Ein junger Mensch will vielleicht nur 80 Prozent arbeiten, wenn er es sich finanziell leisten kann, das bedeutet aber nicht, dass er in den restlichen 20 Prozent nur herumhängt. Viele nutzen diese Zeit, um sich beispielsweise politisch oder gesellschaftlich zu engagieren, doch diese positiven Geschichten gehen oft unter. Das ist auch für die Medien ein Ansatzpunkt, um diese Wahrnehmung zu relativieren.

    Der jungen Generation wird also Unrecht getan?
    SIMON SCHNETZER: Ja, denn auch das Bildungssystem ist nicht so aufgestellt, dass es junge Menschen mitnehmen kann. Es wird sehr früh selektiert und aussortiert, diese Denke müssen wir aufbrechen. Wir haben nur diese eine Jugend, und jeder und jede Einzelne, die zurückgelassen wird, ist verschenktes Potenzial für unsere gesellschaftliche Zukunft. 

    Der fortschreitende Rechtsruck unter jungen Menschen ist eine weitere zentrale Erkenntnis Ihrer Studie. Woraus schließen Sie das?
    SIMON SCHNETZER: Die AfD hat in diesem Jahr doppelt so hohe Zustimmungswerte als noch im vergangenen Jahr. 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen würden die

    Warum ist die AfD bei jungen Menschen so beliebt?
    SIMON SCHNETZER: Protest gegen die Ampel ist ein großes Thema. Junge Menschen sehen, dass keine Lösungen für ihre Sorgen und Probleme angeboten werden. Es fühlen sich aber auch sehr viele von den Äußerungen und Haltungen der AfD angesprochen. Junge Menschen informieren sich hauptsächlich über die sozialen Medien, und da ist die AfD sehr präsent. Die anderen Parteien sind entweder gar nicht präsent, oder sie nutzen die sozialen Medien für klassische Wahlwerbung, ohne in den Dialog zu gehen und unterhaltsam zu sein. Damit sind sie unsichtbar. 

    Die AfD ist also schlicht medienkompetenter?
    SIMON SCHNETZER: Die AfD hat besser verstanden, junge Menschen abzuholen, vor allem über Tiktok, und ihre Position unterhaltsam aufzubereiten. Das ist auch ein erklärtes Ziel der Partei, und so haben sie im vergangenen Jahr die Kommunikation in den sozialen Medien noch einmal massiv ausgebaut.

    Auf Tiktok ist die AfD sehr erfolgreich.
    Auf Tiktok ist die AfD sehr erfolgreich. Foto: Marijan Murat, dpa

    Bei welchen konkreten politischen Themen kann die AfD punkten? 
    SIMON SCHNETZER: Vor zwei Jahren sorgten sich 21 Prozent, im vergangenen 24 Prozent, und nun 43 Prozent um eine weitere Zuwanderung nach Deutschland. Außerdem stimmen 51 Prozent der Aussage zu, dass sich die Regierung mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche kümmert und 41 Prozent sind dagegen, dass Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnimmt. Das Bild, dass Flüchtlinge eine Bereicherung für das Land darstellen, existiert definitiv nicht mehr. 

    Wie kann man dem Rechtsruck entgegenwirken?
    SIMON SCHNETZER: Die Botschaften der AfD sind einfach und verständlich, die der Regierung kompliziert und nicht visionär. Diese Vision, wofür wir leben und wonach wir streben, und welchen Beitrag wir für dieses Ziel leisten können, die fehlt. Junge Menschen wünschen sich eine lebenswerte Zukunft, genau wie frühere Generationen. Doch für junge Menschen hat diese Zukunft die Klimadimension, die Frage nach dem Wohlstand und das Gefühl, dass alles immer nur schlimmer, aber nicht mehr besser wird. Dafür braucht es eine Vision, ein auch erreichbares großes Ziel.

    Also mehr Weitblick und weniger politisches Klein-Klein?
    SIMON SCHNETZER: Es ist die große Idee auf der einen Seite und der tatsächliche Beitrag, den ich dazu leisten kann, auf der anderen. Der größte Hebel ist Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, einen Beitrag zu leisten und zu sehen, wie daraus etwas entsteht und oder sich verändert. Bei Fridays for Future gingen Schülerinnen und Schüler auf die Straße und waren plötzlich umringt von Menschen, wurden aufs Podium geholt, waren in der Zeitung, und haben gesehen, dass ihre Meinung zählt. Dass der Dampf ein bisschen raus ist, liegt auch daran, dass es dann keine klare Politik dazu gab. Das Klima schonen zu wollen und dann zu sagen, eine Geschwindigkeitsbegrenzung geht mit uns nicht, ist schlicht widersprüchlich. 

    Welche Rolle spielt das soziale Umfeld junger Menschen beim Rechtsruck?
    SIMON SCHNETZER: Wir sehen keine großen Unterschiede, was das soziale Umfeld angeht. Wir sehen, dass fast doppelt so viele junge Männer wie Frauen die AfD wählen würden, aber soziale Schichten können wir nicht unterscheiden. Nicht zwischen Stadt oder Land, nicht ob Migrationshintergrund oder nicht, oder ob wohlhabend oder weniger wohlhabend. Es ist sehr breit verteilt. 

    Würden Sie eine Prognose wagen, inwieweit sich dieser Trend verfestigt? Ist er vielleicht nur eine Momentaufnahme?
    SIMON SCHNETZER: Junge Menschen wählen sehr programmatisch. Wenn ihnen beispielsweise die Umwelt und das Klima die größten Sorgen bereiten würden, wären die Grünen ihre Antwort darauf. Derzeit stehen allerdings die finanziellen Sorgen, die Angst vor Krieg in Europa und vor mehr Flüchtlingen im Vordergrund. Ich glaube, dass vor allem die Finanzen noch länger wichtig bleiben werden, und habe daher auch die Sorge, dass uns der Rechtsruck noch länger beschäftigen wird. In jedem Fall aber wird es programmatisch bleiben, und wenn die aktuelle Regierung mitreden will, muss sie sich an den Problemen junger Leute orientieren und dafür Lösungen anbieten.

    Zur Person

    Simon Schnetzer zählt zu den renommiertesten Jugendforschern in Deutschland. Er ist Co-Autor der Trendstudie "Jugend in Deutschland" in der einmal jährlich über 2000 junge Menschen zur Lage ihrer Generation befragt werden.

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