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Ischgl fünf Jahre nach Corona: Die Après-Ski-Party geht weiter

Ischgl gilt nicht ohne Grund als berüchtigte Après-Ski-Destination. Los geht der Trubel in der Wintersaison jeden Tag ab 15 Uhr.
Foto: Volker Preußer, imago
Tirol

Fünf Jahre nach dem Corona-Ausbruch geht in Ischgl die Party weiter

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    Noch ein Bier, dann einen Jägermeister hinterher. Die Musik dröhnt aus den Boxen der zum Brechen vollen Kneipe mit dem Namen „Kuhstall“. „Mach‘ den Hub Hub Hub“, grölen die Feierwütigen. Es geht um einen Rettungshubschrauber, Liebe und Suff. Das Lied stammt von Tobee, dem selbsternannten Partystar einer Ballermann-Kneipe auf Mallorca. Nur, dass hier weder Spanien noch Sommer ist. Im Gegenteil: Winter und Tirol, genauer Ischgl im Paznaun-Tal.

    Das mit Hotels verbaute Bergdorf ist unter trinkfreudigem Publikum auch als Alpen-Ballermann bekannt. Und Ischgl gilt nicht ohne Grund als berüchtigte Après-Ski-Destination. Los geht der Trubel in der Wintersaison jeden Tag ab 15 Uhr, wenn die ersten keine Lust mehr aufs Skifahren haben. Es geht dann bis 20 Uhr. So ist es auch in einem Gemeindebeschluss geregelt.

    Mehr als 11.000 Corona-Infektionen sollen auf Ischgl zurückzuführen sein

    Im „Kuhstall“ zucken die Disco-Lichter, das Feier-Volk tanzt dicht gedrängt. Manchmal wird‘ s dann doch zu eng. Der Nachbar fährt einem mit dem Finger über die Nase. Durch Getränke mutig geworden, will man schon zuschlagen, lässt es aber bei einem Tätscheln am schweißnassen Kopf des Nachbarn bleiben. Alles nur Spaß. So will der Ischgler Après-Ski-Betrieb sein. So verkauft er sich bis weit in Länder, denen Wintersport daheim fremd ist. „Das ist mega-geil“, brüllt einem Steve aus dem südenglischen Winchester ins Ohr.

    Dass da mal irgendetwas in Ischgl gewaltig schiefgegangen ist, scheint verdrängt worden zu sein. Oder der Alkohol hat die Erinnerung weggespült. Fast schon überraschend wirkt deshalb eine Begebenheit, als man tagsüber weit oberhalb von Ischgl auf der Piste unterwegs ist, die bis ins Schweizer Saumnaun reicht. Man trifft auf eine Gruppe junger Männer aus Innsbruck, die fürs Wochenende hergefahren ist. Und einer aus der Runde, Klaus, sagt: „Wir treffen uns im ,Kitzloch‘. Da können wir das fünfjährige Jubiläum feiern.“

    Im März 2020 stand die Region Paznauntal mit dem Touristenort Ischgl wegen einer erhöhten Zahl von Coronavirus-Fällen unter Quarantäne.
    Im März 2020 stand die Region Paznauntal mit dem Touristenort Ischgl wegen einer erhöhten Zahl von Coronavirus-Fällen unter Quarantäne. Foto: Jakob Gruber, dpa

    Fünf Jahre ist es her, dass Ischgl weltweit in den Schlagzeilen war. Es ist Anfang März 2020, als sich Corona immer mehr in Europa ausbreitet. Der Wintersportort Ischgl wird zum Superspreader, zum Massenverbreiter der Krankheit. Später rechnet das Nachrichtenmagazin Spiegel nach: Mehr als 11.000 Infektionen sollen auf Ischgl zurückzuführen sein. Als Brennpunkt gilt dabei das „Kitzloch“.

    Die Kneipe liegt ganz in der Nähe, wo die Pardatschgrat-Bahn ihre Talstation hat. Sie wirkt noch nicht einmal sonderlich schrill. Es wäre auch unfair, die ganze damalige Malaise alleine dem „Kitzloch“ zuzuschreiben. Fakt ist jedoch, dass ein Barkeeper des Lokals im Winter 2020 Corona-positiv getestet wird. Schon zuvor hat es Corona-Fälle unter Touristen gegeben. Verantwortliche aus dem Tourismusbetrieb und der Gemeinde spielen dies herunter. Selbst die Tiroler Landessanitätsdirektion hält es nicht für notwendig, Alarm zu schlagen.

    Corona: 2020 stellt Österreich die Region Ischgl unter Quarantäne

    Im „Kitzloch“ wählt man damals folgende Lösung, damit das Après-Ski-Geschäft weitergeht: Man wechselt das Personal aus und setzt die Party fort. Doch dann kommt es zu weiteren positiven Corona-Tests bei Ischgl-Urlaubern. Am 9. März 2020 schließen die Behörden das „Kitzloch“ als erste Kneipe. Am Tag darauf müssen alle Après-Ski-Lokale zumachen. Nicht jeder der Wirte sieht dies ein, mancher öffnet trotzdem. Zu gut lässt sich mit der täglichen Sause verdienen. Aus ist sie erst, als die österreichische Bundesregierung die Region am 13. März 2020 unter Quarantäne stellt.

    Den Verantwortlichen in Ischgl wird unter anderem von Erkrankten vorgeworfen, aus Gier die Gesundheit von Gästen, Bediensteten und Einheimischen riskiert zu haben. Es gibt, das wird erst später klar, sogar Todesfälle. 25 Gäste haben demnach die Corona-Ansteckung in Ischgl nicht überlebt. Vor Ort beteuert indes Bürgermeister Werner Kurz, alles richtig gemacht zu haben. Der mächtige Tourismusverband Paznaun-Ischgl stößt ins selbe Horn.

    Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck stützen diese Haltung. Es gebe keine Beweise für schuldhafte Handlungen und Unterlassungen, die zu einer Erhöhung der Ansteckungsgefahr geführt hätten, heißt es. Im November 2021 werden die Ermittlungen eingestellt. Anhängig sind seinerzeit noch Opferklagen, insgesamt 130 Stück, darunter eine Sammelklage des österreichischen Verbraucherschutzvereins. Doch der oberste österreichische Gerichtshof lehnt 2023 eine staatliche Haftung ab. Die Klagen werden zurückgezogen.

    Blick auf das Skigebiet Ischgl.
    Blick auf das Skigebiet Ischgl. Foto: picture alliance/dpa/APA

    Alles wieder gut? Scheint so. Schon in der Wintersaison 2022/23 haben die Gästezahlen annähernd wieder das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht. Über 1.300.000 Übernachtungen werden gezählt. Im Schnitt kommen täglich mehr als 12.000 Gäste nach Ischgl. 2024 gibt es schließlich auch von musikalischer Seite einen Freispruch. Das Event dazu ist die Saisonabschlussparty im Herzen der Pistenlandschaft auf der Idalp. Sie trägt den Namen Top-of-the-Mountain-Spring-Konzert. Als Star kommt Andreas Gabalier, bekannt durch Lieder wie „Hulapalu“. Der geborene Kärntner verkündet seinem Publikum:  „Ischgl war nicht schuld an Corona.“ Das Dorf sei zu Unrecht angeprangert worden, das Virus hätte sich so oder so ausgebreitet. Die Ortschronisten verzeichnen darauf lautstarken Beifall.

    Kurzum, von Corona will hier keiner mehr was hören. Im „Kitzloch“ gibt es an diesem Nachmittag noch Platz an der Bar, das Sardinenbüchsen-Gefühl stellt sich nicht ein. Das ist zuvor im „Kuhstall“ anders gewesen. Eine kurze Frage an den nächsten Kellner, was es damit auf sich habe? Vielleicht Folgen des Fiaskos vor fünf Jahren? Ein ruinierter Ruf? „Nein, Zwischensaison“, sagt der in Lederhosen steckende Mann lapidar.

    Wobei einem als Gast ein solches Besucherloch kaum auffällt. Los ist immer etwas. So braucht es vom „Kitzloch“ kaum mehr als drei Minuten zu Fuß bis zur „Schatzi-Bar“. Dort stehen schon jene am frühen Nachmittag am Außentresen, die gar nicht beim Skifahren waren.

    Skiurlaub in Ischgl: Die Partybusse müssen um 19 Uhr das Dorf verlassen

    Ansonsten ist die Bar beliebter Treffpunkt jener Männer-Gruppen, die gerne leicht bekleidete junge Frauen auf der Theke tanzen sehen. Eine altbekannte Attraktion der Bar, untermalt von hämmernden Bässen. Für jeden etwas. Ischgl verfügt über mehr als ein Dutzend Après-Ski-Kneipen. Selbst für Geldprotzer gibt es Optionen: die „Champagnerhütte“, eine Dependance des örtlichen Schlosshotels. Für die 0,75-Liter-Flasche Dom Perignon zahlt man 389,90 Euro.

    Ischgl ist kein Schnäppchen. Thomas Köhle, Geschäftsführer des Tourismusverbands Paznaun-Ischgl, betont immer wieder, dass vor Ort „alles auf höchstem Niveau“ sein soll. „Pisten, Konzerte, Kulinarik, Lifestyle, Entertainment.“ Ein gehobener Anspruch, für den hart gearbeitet wird, wie sich feststellen lässt – von der Infrastruktur des Skigebiets bis hin zum Sternemenü nach dem Après-Ski, einem gediegenen Nachclubabend oder High-End-Angebote im Schmuckladen.

    Doch all das passt nicht so recht zum Après-Ski-Rummel, den man in Ischgl pflegt. Und dem Spruch, den sie im „Kuhstall“ an die Wand gepinselt haben: „Es pisst der Ochs, es pisst die Kuh, in meinem Herzen bist nur du!“

    Ischgl wird die Geister nicht los, die einst gerufen wurden. Schon vor Jahrzehnten haben die Wortführer im Dorf auf ein junges Publikum gesetzt. Heimatabende mit Zithermusik passten nicht in dieses Konzept, dafür Konzerte mit internationalen Stars. Infolgedessen bekam Ischgl zuerst ein Ibiza-Image, dann folgte die Ballermann-Abstemplung.

    Wobei den Gemeindeoberen noch vor den Corona-Ereignissen aufgegangen ist, dass grölende Après-Ski-Horden und Dorfgassen voll mit Erbrochenem den exklusiveren Teil des erwünschten Publikums abschrecken könnten. Die übelsten Exzesse sollen verhindert werden. Der Auftakt dazu war 2016. Seitdem darf von 20 Uhr bis 6 Uhr laut Gemeindeanordnung nicht mehr lärmend mit Skistiefeln übers Pflaster getrampelt werden, ebenso wenig mit Skiern oder Skistöcken.

    Eine Verschärfung folgte 2021. Seitdem müssen Partybusse von auswärts den Ort ab 19 Uhr verlassen. Er herrscht Alkoholverbot auf Gassen und Plätzen. Wer im örtlichen Billa-Markt ein Büchsenbier kauft und das noch vor der Ladentür hinunterkippt, macht sich strafbar. Aber auch die Après-Ski-Kneipen haben zurückstecken müssen – zumindest was die Musik angeht.

    Reine Sauflieder sollen in den Bars nicht mehr gespielt werden

    Wer die Bars noch von früher kennt, dem fällt dies sofort auf: keine dezidierten Trinklieder mehr wie „Sauf, sauf - als wäre dein letzter Tag“. Für Unkundige der Szene: Das gibt es wirklich. Die DJs sind jedoch angewiesen, es bei entschärftem Liedgut zu belassen. Stattdessen also „Cordula Grün“ oder „Auffe aufn Berg“.

    Mit Bier, Schnaps und Aperol lässt sich dazu auch gut feiern. „Hauptsache, es geht ab“, kreischt eine Blondine namens Babsi. Frauen wie Männer im „Kuhstall“ geben dafür mit wedelnden Armen und stampfenden Beinen alles. Wobei gerade Lieder wie „Cordula Grün“ vor einigen Jahren zumindest in dieser Kneipe noch als Musik für einen Kindergeburtstag abgetan worden wären.

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