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Interview: Zukunftsforscher Horx: „Wir nehmen Lösungen nicht mehr wahr, weil wir unentwegt auf die Probleme starren“

Interview

Zukunftsforscher Horx: „Wir nehmen Lösungen nicht mehr wahr, weil wir unentwegt auf die Probleme starren“

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    „Wir schießen gerne mit den alten Kanonen auf neue Phänomene“, kritisiert Zukunftsforscher und Autor Matthias Horx.
    „Wir schießen gerne mit den alten Kanonen auf neue Phänomene“, kritisiert Zukunftsforscher und Autor Matthias Horx. Foto: Gregor Fischer, dpa

    Herr Horx, Sie sind kein Wahrsager, sondern erforschen auf wissenschaftlicher Basis, welche Trends die Zukunft bringt. Ganz salopp gefragt: Was steht so an?
    MATTHIAS HORX (LACHT): Das kann man auf dieser Ebene nicht beantworten. Eine solche Frage müsste man eher einem Influencer stellen. Der könnte dann antworten: Dubai-Schokolade oder die KI stehen vor der Tür – echt geil! Solche Aussagen sind aber oberflächlich. Bei echter Zukunftsforschung geht es darum, zu verstehen, wie sich die großen Linien der Welt verändern. Wie sich Wandel im Leben der Menschen vollzieht – mittel- bis langfristig.

    Sie haben vor einem Jahr die „ineinander verzahnten Krisen der Gegenwart“ als „Omnikrise“ bezeichnet. Diese seien typisch für einen Epochenübergang, sagten sie. Wohin führt der Weg?
    HORX: Es entwickelt sich seit Jahren eine Krise, bei der dominante Megatrends an ein Ende gelangen. Das fängt beim Thema Globalisierung an, geht über die Demokratie bis hin zur Gesundheit, zur Bildung. Positive Entwicklungen, auf die wir vertraut haben, setzen sich nicht mehr weiter fort. Etwa dass es mehr Frieden auf der Welt gibt, dass die Menschen immer älter und gesünder werden, dass Bildung die Gesellschaft armutsfrei macht. Gleichzeitig betrifft die Omnikrise aber auch unser ganzes Weltbild. Es kommt zu einer Verängstigung und Hysterisierung der Gesellschaft. Der Kern der Omnikrise ist eine mentale Krise: Wir wissen nicht mehr genau, worauf wir uns verlassen können. Wir sind orientierungslos, verwirrt, was die Zukunft betrifft. Und reagieren panisch. Wir vertrauen nicht auf einen möglichen Wandel zum Besseren.

    Wie oft kommen solche Omnikrisen vor?
    HORX: Immer im Übergang von einer Epoche zur nächsten. Etwas Altes löst sich auf, etwas Neues beginnt, aber wir können das Neue noch nicht richtig wahrnehmen, es erscheint uns unwirklich. Wobei vieles auch mit „Medienkrisen“ zu tun hat. Wir befinden uns in der dritten Medienkrise der Menschheit. Die erste Medienkrise löste die Erfindung der Schrift aus, die zweite das Aufkommen des Buchdrucks im 15. Jahrhundert. Und nun folgt das Internet und all seine Folgen, die unsere Wahrnehmungsformen auseinanderreißen und viele Phänomene schaffen, mit denen wir noch nicht umgehen können. Auch der Buchdruck hatte zunächst einmal grauenhafte Nebenwirkungen – in den Religionskriegen spielte der Buchdruck eine fatale Rolle für den religiösen Fanatismus, der erste Bestseller war der „Hexenhammer“, eine Hetzschrift zur Vernichtung von Hexen. Und heute verändern das Internet und die KI die Art und Weise, wie wir mit uns und der Welt kommunizieren, in einer gefährlichen Weise. Das müssen wir erst verdauen.

    Je mehr sich die Gesellschaft an Lösungen solcher ineinander verzahnten Krisen beteilige, desto schneller gehe diese Zeit vorbei, haben Sie gesagt. Vielleicht können Sie kurz die Herausforderungen skizzieren und dann Lösungsmöglichkeiten.
    HORX: Ich könnte Ihnen für alle Teile der Omnikrise Lösungsansätze schildern, sei es in der Demokratie-Entwicklung oder in der Frage der Gesundheitssysteme oder der ökologischen Transformation. Das wirkliche Problem ist aber, dass wir Lösungen gar nicht mehr wahrnehmen können, weil wir unentwegt auf die Probleme starren. Viele Menschen wollen heute mit Macht zurück in die Vergangenheit. Man kann eine solche Krise aber nicht auf der Ebene lösen, auf der sie entstanden ist, mit den Methoden von gestern. Wir schießen gerne mit den alten Kanonen auf neue Phänomene.

    Ist das Wachstum in der alten, industriellen Form gar nicht mehr das, was die Probleme löst? Matthias Horx wirft diese Frage auf.
    Ist das Wachstum in der alten, industriellen Form gar nicht mehr das, was die Probleme löst? Matthias Horx wirft diese Frage auf. Foto: Chinatopix, AP/dpa

    Wie meinen Sie das?
    HORX: Zum Beispiel die Schrumpfungs-Hysterie, die sich derzeit wieder entwickelt. Sofort beginnt ein Weltuntergangsgeschrei, weil die Konjunktur nicht mehr „brummt“: Deutschland ist am Ende, alles wird immer schlimmer, alles bricht zusammen! Dabei sind Konjunkturschwächen ganz normal, die Wirtschaft wächst in Zyklen. Konjunktureinbrüche gehen immer einer neuen Wachstumsphase voraus, in der sich neue Ideen, Produktionsweisen und Märkte durchsetzen, aber dabei müssen auch manche Unternehmen pleitegehen, das ist eine nötige Bereinigung, damit das Neue sich durchsetzen kann. Genau das aber halten wir gar nicht aus, obwohl jeder Wirtschaftsweise uns erklärt, wie es funktioniert. Dadurch entsteht eine Art Wandelstau, weil wir immer am Gewohnten klammern. Vielleicht ist das Wachstum in der alten, industriellen Form auch gar nicht mehr das, was die Probleme löst. In Amerika zum Beispiel „brummt“ die Ökonomie mit mehr als drei Prozent Wachstum. Und trotzdem fühlen sich sehr viele Menschen immer ärmer, beleidigter und gespaltener.

    Und wie wird es künftig sein?
    HORX: Wir brauchen eine grundlegend andere Idee von Wachstum. Wachstum entsteht nicht mehr, indem wir noch mehr konsumieren und noch mehr arbeiten und uns „am Riemen reißen“ – was für eine unglückliche Formulierung! Wachstum entsteht, wenn wir besser kooperieren, wenn sich Firmenkulturen verbessern, im Sinne einer humanen Arbeitswelt. Wenn Konflikte auf gesellschaftlicher Ebene gelöst werden, zwischen den Menschen, wenn wir neue „grüne“ oder „blaue“ (Wasserstoff)-Sektoren entwickeln und der Drift zur kreativen Ökonomie Raum bieten. Zurück in die Wirtschaftswunderjahre, wo „die Schlote rauchten“, wird es jedenfalls nicht gehen. Das wäre der tatsächliche Untergang.

    Sehen Sie da schon Licht am Ende des Tunnels?
    HORX: Wichtig ist, dass wir die Trend-Gegentrend-Logik verstehen. Gegen jede Trendentwicklung, auch gegen die schlechte, gibt es auch Gegentrends. So hat man zum Beispiel vor zehn bis 20 Jahren geglaubt, dass es bald keine gedruckten Bücher mehr gibt. Aber heute werden kaum weniger Bücher gedruckt, nur andere. Alles erlebt irgendwann eine Renaissance, eine Wiederkehr. Sogar das Papier als Informationsträger kehrt wieder, weil uns die ständige Bildschirmwelt irgendwann in den Wahnsinn oder die Erschöpfung treibt. Jede einseitige Entwicklung erzeugt einen Gegenimpuls, das ist die Dialektik der Welt, der wir vertrauen können. Interessant auch, dass es inzwischen zum ersten Mal ernsthafte Bestrebungen gibt, die negativen Auswirkungen des Internets einzuhegen – endlich! In Skandinavien sehen wir schon einen massiven Trend zum Verbieten von Smartphones für unter 15-Jährige. Das war bis vor Kurzem noch undenkbar, wird sich aber durchsetzen. Erstaunlicherweise sind inzwischen sogar viele Jugendliche dafür. Wir müssen und können lernen, mit diesen „giftigen“ Medien umzugehen, sonst vergiftet sich die ganze Gesellschaft.

    Sollte man Jugendlichen das Handy häufiger wegnehmen? Zukunftsforscher Matthias Horx findet das schon.
    Sollte man Jugendlichen das Handy häufiger wegnehmen? Zukunftsforscher Matthias Horx findet das schon. Foto: Hannes P. Albert, dpa

    Immer gelingt die Vorhersage aber auch Ihnen nicht. Eine Aussage aus dem Jahr 2010 wird beispielsweise häufig als Fehlprognose gewertet: Von Facebook, sagten Sie, wird in fünf bis sechs Jahren kein Mensch mehr reden. Andererseits haben Sie auch ein bisschen recht, denn Facebook ist heute vornehmlich Tummelplatz älterer Menschen. Die Jungen toben sich woanders aus.
    HORX (LACHT): Ja, ich war zu schnell. Und wütend, dann sollte man sich mit sowas zurückhalten. Aber ist es nicht so, dass Facebook seine Zeit längst überlebt hat? Die Prognose ist eingetreten, aber eben viel später. Klar macht man als Prognostiker auch Fehler, aber es geht in der ganzheitlichen Zukunftsforschung immer weniger um zeitliche Prognosen, sondern um das Verstehen von Möglichkeitsräumen. Wir wissen inzwischen auch besser, was man exakt voraussagen kann und was nicht. Dazu ein Beispiel: Was kann man besser prognostizieren: das exakte Wetter in einer bayerischen Stadt in vier Wochen, die Entwicklung der Bevölkerungszahl der Menschheit oder die Entwicklung einer Ehe?

    Keine Ahnung? Beim Wetter bin ich skeptisch.
    HORX: Die Antwort ist verblüffend: die Zukunft einer Ehe. Es gibt einen sehr zuverlässigen Ehe-Test, mit dem man die emotionalen Übertragungen bei Paaren messen kann. Damit kann man zu 90 Prozent voraussagen, ob diese Beziehung Bestand haben wird. Das Problem ist nur: Es gibt keine Interessenten für diesen Test, weil kaum jemand die Wahrheit wissen will. Manchmal kann man auch das Langfristige leichter voraussagen als das Kurzfristige. Das exakte Wetter an einem Ort unterliegt in einer längeren Zeitspanne als zwei Wochen der Chaostheorie. Den Klimawandel aber kann man ziemlich gut modellieren.

    Zum Ausklang eine Frage nach dem Positiven: Was deutet sich denn Hoffnungsvolles am Horizont an?
    HORX: Es deutet sich ja nur etwas an, wenn man es auch wahrnehmen kann. Und will. Viele Menschen haben die Zukunft ja schon aufgegeben – sie richten sich bequem in einem grantigen Untergangsgefühl ein. Mit mehr Gelassenheit und Dankbarkeit können wir uns auch wieder öffnen für das Positive, das auch auf der Welt passiert, auch wenn es derzeit nicht in unserem Fokus ist. „Zukunft“ ist eine Entscheidung, sich am Möglichen zu orientieren, anstatt immer nur auf das Negative zu starren. Aufzubrechen aus der Jammerzone und das zu tun, was möglich ist.

    Zur Person: Matthias Horx, 69, geboren in Düsseldorf, ist einer der bekanntesten Zukunftsforscher in Deutschland. Außerdem ist er als Publizist tätig. Horx ist mit der irischen Journalistin Oona Strathern verheiratet und Vater zweier Söhne.

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    3 Kommentare
    Peter Pfleiderer

    >> Horx hielt das Internet einfach für zu kompliziert: "Im Gegensatz zum einfachen Telefon oder einem Radio mit drei Knöpfen ist das WWW mehr denn je eine kompliziert zu bedienende Angelegenheit", heißt es in seiner damals veröffentlichten Studie "Die Zukunft des Internets". Akademiker, Selbstständige und hoch Gebildete mit gutem Einkommen würden das Internet zwar stärker nutzen, nicht aber die breite Bevölkerung. << - www.derstandard.de/story/2000124571379/heute-vor-20-jahren-zukunftsforscherprophezeien-ende-des-internet-booms

    Wolfgang Leonhard

    Sehr vernünftiger Mann. Dass den Untergangspropheten und Angstmachern nicht gefällt, was er sagt, wundert mich gar nicht.

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    Klemens Hain

    Sehe ich genauso wie Sie Herr Leonhard. Veränderungen müssen auch von den Bürgerinnen und Bürger wahr genommen werden, dass hat schon immer viel Geld gekostet, aber es lohnte sich. Stillstand und zehn Schritte zurück in die Vergangenheit helfen nicht weiter und Veränderungen gab es schon immer!!! Der Klimawandel muss von uns allen sehr ernst genommen werden und die verdammten Kriege und Gewalt endlich aufhören!! Ja Herr HORX hat vollkommen Recht

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