Herr Professor Renz, kann der bestehende PCR-Test die neue Coronavirus-Variante Omikron noch zuverlässig erkennen?
Harald Renz: Zunächst einmal muss man ja sagen, dass es nicht nur einen PCR-Test gibt, sondern viele. Und nach allem, wie es jetzt aussieht, können diese Tests auch zuverlässig die neue Omikron-Variante erkennen.
Aber es gibt doch offenbar eine Subvariante, die die Eigenschaft hat, dass sie nicht so leicht als Omikron-Variante zu erkennen ist. Das wollen zumindest britische Wissenschaftler herausgefunden haben, wie der englische Guardian schreibt.
Renz: Ja, das ist richtig, aber wir müssen erst einmal schauen, inwieweit sich diese bislang noch seltene Variante überhaupt durchsetzt. Der PCR-Test reagiert auf Genabschnitte, die typisch sind für das Sars-CoV-2-Virus – selbst wenn sich in einer Probe nur Reste des Virus finden. Der Test kann die Genabschnitte trotzdem erkennen, er gilt nach wie vor als Goldstandard, um eine Sars-CoV-2-Infektion aufzuspüren. Viele Mutationen finden, das wissen wir heute, am sogenannten Spikeprotein des Virus statt. Es kann sein, dass der bestehende Test eine neue Mutation zunächst vielleicht nicht detektiert. Aber dann kann er umgestellt werden auf die neuen mutierten Genabschnitte. Und die jeweilige Mutante somit erkennen.
Aber können nun die bestehenden PCR-Tests die sich derzeit offenbar durchsetzende Omikron-Variante erkennen oder müssen sie erst umgestellt werden?
Renz: Nein, die bestehenden PCR-Tests können diese Omikron- Variante erkennen. Das wissen wir inzwischen.
Wie steht es mit Antigen-Schnelltests, die ja viel verbreiteter sind als PCR-Tests?
Renz: Hier ist die Situation etwas schwieriger. Beim Antigen-Schnelltest muss ja eine gewisse Grundlast an Viren vorhanden sein. Wenn ich nun eine unterschwellige Covid-Infektion habe, dann besteht die Gefahr, dass der Antigentest ein falsch-negatives Ergebnis anzeigt. Dieses Problem liegt allerdings nicht nur bei Omikron vor, sondern grundsätzlich bei allen Varianten.
Und wie ist es mit der Gefahr eines falsch-positiven Ergebnisses beim Antigen-Schnelltest?
Renz: Das gibt es auch, aber heute immer weniger. Am Anfang der Pandemie kam das öfters vor. Weil die Tests nicht so hochspezifisch waren. Sie haben auf alle möglichen Coronaviren angeschlagen, auch auf jene, die völlig harmlos sind und vielleicht nur einen Schnupfen auslösen. Heute ist das Hauptproblem, dass Antigen-Schnelltests falsch-negative Ergebnisse anzeigen. Denn bei Omikron reichen nach derzeitigem Kenntnisstand wenige Viren aus, um eine Covid-Infektion auszulösen. Deshalb ist die Variante eben viel ansteckender. Wenn nun viele Omikron-Träger herumlaufen und wegen eines falsch-negativen Testergebnisses meinen, sie seien gesund, dann ist das ein Problem.
Also höchste Alarmstufe?
Renz: Ja, zumindest hohe Alarmstufe. Vorsicht ist sicher geboten. Aber das alles heißt ja nicht, dass Omikron mehr schwere Verläufe auslöst. Das ist momentan in der Fachwelt die Debatte. Die Datenlage aus Südafrika, wo Omikron offenbar schon viel verbreiteter ist, zeigt eher, dass es nicht unbedingt zu mehr schweren Verläufen kommt, aber mehr Kinder betroffen sind.
Wie unterscheidet sich Omikron noch von den vorhergehenden Varianten?
Renz: Es scheint, dass der Geruchs- und Geschmackssinn offenbar bestehen bleibt. Damit fällt ein bekanntes Hauptsymptom von Corona weg. Dafür wird eine außerordentliche Müdigkeit und Appetitlosigkeit beobachtet. Das Ganze muss aber nicht unbedingt eine Überlastung des Gesundheitssystems und der Intensivstationen zur Folge haben. Das klingt mal – vorsichtig gesagt – zumindest nicht schlecht.
Sollte man sich trotzdem eine dritte Impfung geben lassen, um seine Immunantwort zu stärken? Also sich „boostern“ – obwohl die aktuell zur Verfügung stehenden Impfstoffe noch nicht spezifisch auf Omikron umgestellt wurden?
Renz: Durch das Boostern steigt in jedem Fall die Zahl der blockierenden Antikörper. Das ist ein großer Vorteil. Außerdem ist das Immunsystem viel komplexer. Es basiert ja beispielsweise auch noch auf den sogenannten T-Zellen. Die sind aber nicht so leicht zu messen. Das ist sozusagen eine unserer offenen Flanken in der Diagnostik. Die Zahl der T-Zellen zu messen ist sehr aufwendig – und alles andere als massentauglich. Wie T-Zellen mit Covid fertig werden, ist immer noch nicht genau klar. In dieser Frage liegt womöglich auch eine Antwort, warum der eine sehr schwer erkrankt, der andere aber so gut wie gar nicht.
In London wurde nun die Silvesterfeier am Trafalgar Square abgesagt. Halten Sie verschärfte Maßnahmen – wie etwa einen neuerlichen Lockdown nach Weihnachten – auch bei uns für geboten?
Renz: Wesentlich ist in jedem Fall die Minimierung von Kontakten – etwa auf Großveranstaltungen, in Diskotheken oder Bars. Ein Lockdown sollte allerdings nur das letzte Mittel sein.
Zur Person: Harald Renz, 61, ist Professor des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Universitätsklinikum in Marburg und Präsident der deutschen Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin.