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Interview: Katrin Eigendorf: "Es gibt Situationen, die beängstigend sind"

Interview

Katrin Eigendorf: "Es gibt Situationen, die beängstigend sind"

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    Katrin Eigendorf wurde für ihre Berichte und Reportagen schon vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus und dem Grimme-Preis. Nun kommt der Augsburger Friedenspreis dazu.
    Katrin Eigendorf wurde für ihre Berichte und Reportagen schon vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus und dem Grimme-Preis. Nun kommt der Augsburger Friedenspreis dazu. Foto: Jens Kalaene, dpa (Archivbild)

    Frau Eigendorf, sind Sie gerade in Deutschland?

    Katrin Eigendorf: Ja, in meiner Wohnung in Berlin.

    Aber auf dem Sprung?

    Eigendorf: Ich werde direkt nach der Preisverleihung wieder in die Ukraine reisen, zum dritten Mal in diesem Jahr. Zwischendurch war ich unter anderem in Afghanistan.

    Sie erhalten am Montag im Augsburger Rathaus den Augsburger Friedenspreis für "mutigen Journalismus". Würden Sie sich als mutig bezeichnen?

    Eigendorf: Ich würde von mir schon sagen, dass ich mutig bin. Aber das beziehe ich weniger darauf, dass ich in ein Kriegs- oder Krisengebiet gehe. Die Wahrheit findet man nicht im Internet, sondern nur dort, wo die Dinge passieren. Nein, ich bin wirklich keine Heldin und achte genau darauf, in welche Gefahr ich mich begebe. Ich würde sagen: Es erfordert mehr Mut, dass ich zu meiner Haltung, zu unabhängigem Journalismus stehe.

    Sie bekommen Gegenwind?

    Eigendorf: Ich habe relativ früh deutlich gemacht, mit welchem Regime wir es in Russland zu tun haben. Bereits 2014 habe ich von einem Krieg Russlands gegen die Ukraine gesprochen. Damals sprachen viele in Deutschland noch von einem Separatistenaufstand gegen die Regierung in Kiew, die infolge der Demonstrationen auf dem Maidan gewählt wurde. Ich habe damals eine Menge Gegenwind gespürt, weil ich

    Von wem kam der Gegenwind?

    Eigendorf: Der kam selbst aus der Mitte der Gesellschaft. Der russische Präsident Wladimir Putin ist mit seinem Narrativ vom Kampf, den er angeblich gegen ukrainische Faschisten führe, tief in unsere Gesellschaft vorgedrungen. Leider spürte ich damals auch mangelndes Vertrauen der Verantwortlichen meines Senders in meine Arbeit. Übrigens erging es Journalisten anderer Medien ähnlich.

    Warum sind Sie in der Öffentlichkeit nicht durchgedrungen?

    Eigendorf: Es gab einen prorussischen Lobbyismus. Es gab ein Wunschdenken, es sich nicht mit Russland verderben zu wollen, in vielen politischen Parteien. Und es gab wirtschaftliche Interessen. Allen Warnungen zum Trotz hat sich Deutschland von russischem Gas und Öl abhängig gemacht. Interessant finde ich, dass Russland mit seiner Desinformationspolitik so erfolgreich werden konnte – und es im Prinzip auch geschafft hat, Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Medien zu säen. Uns wurde vorgeworfen, einseitig zu berichten und die "Faschisten" auf dem Maidan nicht zu zeigen. Es gab damals Rechtsradikale auf dem Maidan, aber in Wahrheit war es eine Demokratiebewegung für eine freie, westlich orientierte Ukraine. Insofern waren die Vorwürfe an uns schlicht Ausläufer russischer Propaganda. Dass wir nicht den Mut hatten, das früh als Lüge zu deklarieren, halte ich für ein großes Problem.

    Die Desinformation verfing nachhaltig?

    Eigendorf: Wir haben erst begonnen darüber nachzudenken, als Russland flächendeckend die Ukraine angegriffen hat. Denken Sie an die Minsker Verträge von 2014 und 2015 ...

    ... mit denen der Krieg im Osten der Ukraine beendet werden sollte.

    Eigendorf: Bei "Minsk II" haben wir einen Kriegstreiber, Putin, zum Teil der Lösung gemacht! Er hat mit den damaligen ukrainischen und französischen Präsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel über eine Befriedung der Ukraine mitentschieden – und gleichzeitig den Krieg am Laufen gehalten.

    Würden Sie darüber gerne einmal mit Merkel sprechen?

    Eigendorf: Das würden sicher viele Journalistinnen und Journalisten. Aber ich sehe Merkel nicht in der Hauptverantwortung für unsere falsche und verfahrene Russlandpolitik, dafür kann man nicht eine Person verantwortlich machen. Dafür sind sehr viele verantwortlich. Wir Deutsche, wir Europäer haben Russland und das Regime Putin nicht als das erkannt und erkennen wollen, was es ist.

    Sie waren von 1993 bis 1999 bereits als Korrespondentin in Moskau. Wie erlebten Sie Russland damals – und was ist in Ihren Augen aus dem Land geworden?

    Eigendorf: Als ich nach Russland kam, erlebte ich ein Land im Aufbruch. Auf der anderen Seite befand es sich im Zerfall. Das sowjetische System war zwar lange Zeit starr und unfrei, doch es bot eine gewisse Sicherheit. Diese ist mit seinem Zusammenbruch verloren gegangen. Eine junge, intellektuelle Elite feierte die Öffnung, und wir Journalisten haben sie häufig in den Vordergrund gerückt. Doch viele Menschen hatten Ängste und stürzten ab. Putins Versprechen, wieder für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, fand gerade bei denen großen Widerhall. Das Regime Putin kann man nicht ohne den Blick auf die 90er-Jahre verstehen. In denen entstand zugleich zum ersten Mal eine russische Zivilgesellschaft, eine freie Presse, private Unternehmen. Heute sehe ich ein Russland, in dem Putin das alles im Keim erstickt hat. Russland heute ist ein totalitärer Staat.

    Und nun machen Sie sich wieder auf in das Land, dass er mit einem Vernichtungskrieg überzieht.

    Eigendorf: Das Wichtigste bei der Vorbereitung einer Ukraine-Reise ist die Sicherheit. Gemeinsam mit meinem Team überlege ich mir also genau, wohin wir überhaupt reisen können und über was wir berichten wollen. Bei dieser Reise wird es unter anderem um ukrainische Kinder gehen, die nach Russland entführt worden sind. Wir wollen eine Organisation begleiten, die die Regierung unterstützt, sie zurückzuholen. Ein Großteil meiner Arbeit ist allerdings davon abhängig, was vor Ort möglich ist. Die Situation verändert sich sehr, sehr schnell. Oft ergibt sich eine Gelegenheit kurzfristig. Dann muss man spontan sein.

    ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf bei Recherchen in Afghanistan.
    ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf bei Recherchen in Afghanistan. Foto: Eigendorf

    Haben Sie einen gepackten Koffer zu Hause, damit Sie schnell in ein Kriegs- oder Krisengebiet aufbrechen können?

    Eigendorf: Nein, aber ich bin ziemlich schnell im Packen. Wenn es sein muss, schaffe ich das in einer halben Stunde. Es ist ja auch ein Unterschied, ob es in die Ukraine oder nach Afghanistan geht. Aber klar: Es kann passieren, dass ich einen Anruf bekomme und in den nächsten Flieger soll.

    Wir sprachen über Mut. Sprechen wir über Angst: Gab es Situationen, in denen Sie dachten: Das war’s jetzt?

    Eigendorf: Als ich 2014 aus der Ostukraine berichtet habe, wurde ich einige Male von prorussischen Separatisten aufgehalten, die mit Drogen zugedröhnt waren. Da war nicht klar, ob sie mich wieder gehen lassen. In solche Situationen gerät man als Journalist immer wieder in Krisen- und Kriegsgebieten. Einmal wurden wir von südossetischen Separatisten während des Kriegs Russlands gegen Georgien in einem Dorf festgehalten. In Ägypten bin ich in die Hände von Islamisten geraten, die mich beschimpften und bedrohten.

    Und dann?

    Eigendorf: Ich argumentiere dann, dass ich fair berichten und auch sie zu Wort kommen lassen will. Oftmals habe ich zudem bemerkt, dass europäische Journalisten einen gewissen Respekt genießen. Dennoch: Es gibt Situationen, die beängstigend sind. Dann muss man die Nerven behalten.

    Spielt der Glaube in solchen Situationen eine Rolle für Sie?

    Eigendorf: Ja, der tiefe Glaube, das Richtige zu tun. Gläubig im Sinne der Kirche bin ich nicht. Ich glaube aber schon, dass es mehr gibt, als das, was wir sehen. Ich persönlich spüre eine schützende Hand, die über mir schwebt und die mich leitet.

    Sie haben gesehen, was russische Soldaten im ukrainischen Butscha angerichtet haben, die Toten auf den Straßen, die Folteropfer. Wie nahe geht Ihnen so etwas?

    Eigendorf: Das geht nicht spurlos an mir vorbei. Und man muss dieses Grauen auch an sich heranlassen, sonst wird man irgendwann zynisch und zu einem Berichterstattungsroboter. Mich erschüttert immer wieder, wie grausam Menschen mit anderen umgehen können. Dennoch ist es wichtig, es zu zeigen. Erst nachdem Medien über die russischen Kriegsverbrechen in Butscha berichteten, hat man von einem Völkermord gesprochen.

    Wie gingen Sie damit um?

    Eigendorf: Ich glaube, man muss den Schmerz ein Stückweit zulassen. Es wäre ein Irrtum zu denken, man könne ihn abstreifen, wenn man nach Deutschland zurückkehrt. Das kann man nicht, es begleitet einen. Aber es gehört zu meinem Beruf dazu.

    Zur Person: Katrin Eigendorf erhält am Montag im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses den seit 1985 im Drei-Jahres-Rhythmus vergebenen und mit 12.500 Euro dotierten Augsburger Friedenspreis 2023. Die ZDF-Korrespondentin wird damit für ihre Berichterstattung aus Krisen- und Kriegsgebieten gewürdigt. Eigendorf, 1962 in Tönisvorst in Nordrhein-Westfalen geboren, kam 1999 zum ZDF, wo sie seit 2018 als Reporterin schwerpunktmäßig aus Afghanistan, Russland und der Ukraine berichtet.

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