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Interview: Journalist: Die Klatschpresse ist die "größte Fake-News-Maschinerie des Landes"

Interview

Journalist: Die Klatschpresse ist die "größte Fake-News-Maschinerie des Landes"

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    Der Journalist Mats Schönauer hat die Klatschblätter schon länger im Blick.
    Der Journalist Mats Schönauer hat die Klatschblätter schon länger im Blick. Foto: Übermedien/AZ-Montage

    Herr Schönauer, Sie beobachten schon seit Jahren als Journalist für den Blog Topf voll Gold von Übermedien die Klatschpresse. Was ist die absurdeste Schlagzeile, die Sie kürzlich auf solch einem Blatt entdeckt haben?

    Mats Schönauer: Über Helene Fischer hieß es im Sommer: „Drama um ihre Eltern! Am See spielen sich furchtbare Szenen ab!“ Dabei ging es in Wahrheit um Mücken. Und dass ein Tennistraining abgesagt werden musste, weil es zu viele Mücken gab. Was für ein Drama! Besonders absurd fand ich auch eine Geschichte zu Prinzessin Diana, über die ein Blatt schrieb, ihr Frauenarzt hätte ihr zu Lebzeiten einen Embryo geklaut, ihn seiner eigenen Frau eingepflanzt und das Kind dann heimlich großgezogen. Natürlich alles völliger Quatsch. Und dann gibt es so schlimm-absurde Schlagzeilen wie über Michael Schumacher, zu dem auf der Titelseite der Eindruck erweckt wurde, er habe nur noch ein paar Wochen zu leben: „Es bleiben nur noch drei Monate!“. Tatsächlich ging es in der Geschichte darum, dass Sebastian Vettel nur noch drei Monate in der Formel 1 fährt.

    Besonders häufig landen die britischen Royals auf den Titelseiten der bunten Blätter, vor allem jetzt mit dem Tod der Queen. Welche Schlagzeilen sind Ihnen in diesem Zusammenhang ins Auge gestochen?

    Schönauer: Da war nach ihrem Tod gut zu erkennen, wie sich die Zeitschriften mit ihren Lügen gegenseitig widersprechen. Während zum Beispiel ein Blatt schrieb, ihr Abschied sei „still“ gewesen, behauptete ein anderes, sie habe ihren Sohn am Sterbebett „verzweifelt angefleht“. So was passiert sogar innerhalb des gleichen Verlags: So schrieb ein Blatt des Bauer-Verlags, der sehr viele dieser Klatschblätter vertreibt, der letzte Wunsch der Queen bleibe „unerfüllt“. Ein anderes Blatt des Bauer-Verlags schrieb, Charles habe ihren letzten Wunsch „erfüllt“. Charles kommt übrigens besonders häufig vor. Zum Beispiel hat allein Das goldene Blatt schon 40 Mal groß verkündet, er habe sich von Camilla scheiden lassen. Auf das Paar hat es die Klatschpresse schon seit vielen Jahren abgesehen. Mir ist bis heute nicht ganz klar, warum eigentlich.

    Wie kann es sein, dass bunte Blätter solche Lügen verbreiten? Dagegen können die Betroffenen doch klagen.

    Schönauer: Könnten sie schon. Allerdings geht der Palast nur ganz, ganz selten gegen Medienberichte vor, und wenn, dann gegen englischsprachige. Vermutlich, um den Lügenmärchen nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, und weil es einfach ein enorm riesiger Aufwand wäre. So handhaben es im Übrigen auch viele andere Royals. Die einzigen, die sich regelmäßig gegen die deutsche Klatschpresse wehren, sind das Fürstenhaus in Monaco und die schwedische Königsfamilie. Das merkt man auch in der Berichterstattung: Über Monaco und Schweden werden die Schlagzeilen viel vorsichtiger formuliert und deutlich weniger Lügen erfunden, weil die Verlage wissen, dass sie da sofort mit Klagen rechnen müssen.

    Auf den Titelbildern wird oft etwas suggeriert, was dann im Text nicht gehalten wird. Ist das eine rechtliche Absicherung? Oder könnten die Betroffenen da genauso klagen?

    Schönauer: Dagegen können Betroffene durchaus klagen. Das passiert auch häufig. Wenn zum Beispiel auf dem Cover der Eindruck erweckt wird, eine Schlagersängerin sei schwanger, sich im Innenteil aber herausstellt, dass das gar nicht stimmt, kann sie sich gegen das Cover wehren. Darum sieht man in den E-Papern der Klatschpresse oft große schwarze Balken auf den Titelseiten, weil die Schlagzeilen nach einem Gerichtsprozess geschwärzt werden mussten.

    Meist gibt die Klatschpresse bei Texten über die Königsfamilie Quellen aus deren Umfeld an, etwa ein Bediensteter oder eine Köchin – ohne jedoch Namen zu nennen. Plaudern die Leute wirklich mit der Regenbogenpresse oder ist das alles nur frei erfunden?

    Schönauer: Früher war das tatsächlich mal so. Anfang der 80er ging das Königshaus sogar juristisch gegen einen ehemaligen Palastangestellten vor, weil er in den britischen Klatschmedien allerlei private Details ausplauderte. Spätestens seitdem werden solche Bediensteten immer wieder gern als Quelle genannt. Allerdings dürfte der Palast seitdem auch noch viel vorsichtiger geworden sein, was sein Personal angeht. Und wirkliche Enthüllungen oder gar Klagen dagegen hat es seit damals auch nicht mehr gegeben. Also ich gehe davon aus, dass das heutzutage alles frei erfunden ist.

    Warum lesen Menschen Zeitschriften, die Lügen verbreiten?

    Schönauer: Tja, gute Frage. Warum gucken Menschen Reality-TV? Weil es unterhaltsam ist und vielen schlichtweg egal sein dürfte, ob das nun stimmt oder nicht. Das Problem an der Klatschpresse ist aber, dass es da um echte Menschen geht, über die völlig falsche und zum Teil sehr schlimme Dinge verbreitet werden. Und im Gegensatz zum Reality-Fernsehen wollen viele Prominente, die in der Klatschpresse stattfinden, eigentlich gar kein Teil davon sein. Hinzu kommt aber auch, dass viele Leserinnen und Leser gar nicht merken, dass sie von den Blättern belogen werden. Die Redaktionen haben ihre Tricks über die Jahrzehnte so sehr perfektioniert, dass es selbst mir manchmal schwerfällt, eine Lüge als solche zu entlarven.

    Trotzdem ist doch gemeinhin bekannt, dass die Klatschpresse keinen seriösen Journalismus liefert. Ist es verwerflich, die Blätter weiter zu kaufen?

    Schönauer: Ich finde schon. Weil man damit die größte Fake-News-Maschinerie des Landes unterstützt, die nicht nur die Glaubwürdigkeit von Medien beschmutzt, sondern auch – Stichwort Paparazzifotos – gnadenlos Jagd auf Prominente macht und alle presse-ethischen, juristischen und moralischen Grenzen entweder ausreizt oder einfach überschreitet, um sich die Taschen vollzumachen.

    Für solche Fälle gibt es doch einen Presserat. Warum geht der nicht strikter dagegen vor?

    Schönauer: Das liegt schon daran, dass er nur auf Beschwerde hin tätig wird, und es kaum jemanden gibt, der sich über die Klatschpresse beschwert. Und selbst wenn, hat der Presserat ja auch keine echten Sanktionsmöglichkeiten. Ich glaube, damit sich wirklich etwas ändert, müsste sich eher auf juristischer Ebene was tun. Höhere Geldstrafen zum Beispiel, um die Verlage dort zu treffen, wo es sie auch interessiert.

    Zur Person: Mats Schönauer (33) ist freier Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Er hat in Dortmund Journalistik studiert, war unter anderem Leiter des Bildblogs und gründete 2013 den Klatschpresse-Blog Topf voll Gold, das seit 2016 zu Übermedien gehört. 2021 erschien sein Buch „Ohne Rücksicht auf Verluste“ über die Methoden der Bild-Zeitung.

    Was können Fake News anrichten und wie sind sie zu erkennen? Darüber spricht der Gründer des Anti-Fake-News-Blogs Volksverpetzer im Podcast "Augsburg, meine Stadt":

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