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Interview: Annette Frier: "Da bleibt mir ja fast das Herz stehen!"

Interview

Annette Frier: "Da bleibt mir ja fast das Herz stehen!"

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    Annette Frier lebt in Köln – und ist gut im Geschäft.
    Annette Frier lebt in Köln – und ist gut im Geschäft. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Frau Frier, darf man von den
    ANNETTE FRIER: Ach du lieber Himmel, da bleibt mir ja fast das Herz stehen! Das tut mir furchtbar leid, ich bin nicht in der Programmplanung. Ich hätte das besser dosiert.

    Vor allem in der ZDF-Reihe „Ella Schön“ spielen Sie einen besonderen Charakter, nämlich eine Frau mit dem Asperger-Syndrom – nächstes Mal am 24. April. Wie ist das für Sie, so eine ungewöhnliche Rolle zu spielen?
    FRIER: Das ist tatsächlich besonders. Ich habe das jetzt fünf Jahre gemacht. Das waren sozusagen meine Sommer-Dreharbeiten. Ich habe mich in dieses Thema ordentlich reingefuchst. Insofern waren das wirklich Festspiele, weil diese Figur für mich am anderen Ende meines Universums ist. Die Rolle hat mir enorm Spaß gemacht. Dieses Analytische der Figur Ella Schön, diese Struktur, diese andere Art zu denken. Das Tolle ist, dass man durch Üben den Körper unglaublich gut konditionieren kann.

    Wie machen Sie das?
    FRIER: Ich probiere aus. Ich übe das Sitzen, das Stehen, eine andere Körperlichkeit und auch eine andere Art, Synapsen miteinander zu verknüpfen. Ella kommt ja auf ganz andere Ideen als ich. Das ist eine tolle Erfahrung. Ich kann jedem nur raten, so etwas mal auszuprobieren. Das ist das Tolle an diesem Beruf, dass man merkt, was alles so gehen kann, wenn man es nur tut. Die meisten würden sagen, das klappt sowieso nicht.

    Was hat das bei Ihnen bewirkt?
    FRIER: Es ist interessant, zu welcher Analysefähigkeit ich mich aufraffen kann. Oder manchmal, wenn ich mich abends wieder in die private Klamotte werfe, ertappe ich mich dabei, wie ich am Tisch immer noch wie Ella sitze. Außerdem ist es ein guter Zustand, Distanz zu den Dingen zu behalten, um nur einige Beispiele zu nennen.

    Wie haben Sie sich denn überhaupt dem Thema genähert?
    FRIER: Ich habe Betroffene gesprochen, mich mit Angehörigen getroffen, viel gelesen und viel recherchiert. Am Ende habe ich versucht aus all diesen Informationen die Figur zu gestalten.

    Wie darf man sich das vorstellen? Geht man da am Rhein spazieren und übt?
    FRIER: Normalerweise mache ich das bei Rollen nicht. In diesem Fall habe ich das tatsächlich oft geübt. Nichtsdestotrotz musste ich beim Drehen im ersten Film noch oft nachjustieren. Die Fehler sind aber immer weniger geworden. Seit Film zwei stand die Rolle. Seitdem bin ich in dem System geblieben, das ich mir gebaut habe.

    Die bekannteste Frau mit Asperger ist Greta Thunberg. Lassen Sie die auch in die Anlage der Rolle miteinfließen?
    FRIER: Nein, in der Recherche zur Rolle ging das mit Greta Thunbergs Protesten ja gerade erst los. Trotzdem habe ich sie unter diesem Aspekt immer wieder mal angeguckt. Greta Thunberg vermeidet ebenfalls Augenkontakt und wirkt etwas starr. Das sind gängige Motive bei Asperger-Betroffenen. Auch diese Beharrlichkeit ist wiederzuerkennen.

    Von den Zuschauern werden Sie als Ella Schön geliebt, von Betroffenen gab es zumindest anfangs auch Kritik, dass Sie manchmal zu klischeehaft spielen würden. Wie sehen Sie das?
    FRIER: Für konstruktive Kritik bin ich immer offen, habe auch teilweise Tipps von „Profis“ gerne angenommen. Aber wissen Sie was, Stichwort Beharrlichkeit, das waren im Grunde immer dieselben vier Leute, die sich bis zum Fernsehrat beschwert haben, über Details, Ungenauigkeiten, et cetera. Dass wir nicht im Doku-, sondern im fiktionalen Bereich gearbeitet haben, stieß dort auf taube Ohren. Irgendwann habe ich das abgehakt.

    Für Autisten ist in der Regel klare Ordnung wichtig. Welche Rolle spielt Ordnung bei Ihnen privat?
    FRIER: Das ist ein Streitthema mit mir selbst, mit dem ich lange gehadert habe. Ich bin im Laufe der Jahre wesentlich ordentlicher geworden. Ich habe tatsächlich eine große Sehnsucht nach innerer und äußerer Ordnung. Und ich genieße es extrem, wenn sie endlich da ist – um sie dann wieder kaputt zu schlagen.

    In Ihren Rollen pendeln Sie wie kaum eine Zweite zwischen Komödie und ernsten Themen. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?
    FRIER: Es wäre glatt gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mehr Dramen- als Komödienangebote habe. Letztendlich geht es mir aber immer nur darum, ob mir ein Drehbuch gefällt. Ob Drama oder Komödie ist dann nachrangig.

    Ihre zweite Produktion in diesen Tagen ist keine reine Komödie. „Leben über Kreuz“, das am 9. Mai im Zweiten läuft, spiegelt ein wichtiges Thema wider: Organspende. Waren Sie damit zuvor schon vertraut?
    FRIER: Ja, ich habe vor sieben oder acht Jahren schon einmal einen Film gedreht, bei dem ich eine Ärztin gespielt habe, die Organe transplantiert. Seit dieser Produktion habe ich einen Organspendeausweis.

    Etwa 9200 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 2020 gab es bundesweit nur 913 Organspenderinnen und Organspender. Glauben Sie, dass man mit so einem Film auch Vorbehalte gegen eine Spende abbauen kann?
    FRIER: Das kann ich mir schon vorstellen. Auf jeden Fall wird diese Frage dringlicher. Es geht nun mal um Leben und Tod und um die Möglichkeit, Leben zu verlängern. Man kann sich dagegen entscheiden. Das ist in Ordnung Aber ich weiß, wenn ich auf ein Organ angewiesen wäre, dann würde ich die Möglichkeit nutzen. Das bedeutet für mich persönlich im Umkehrschluss: Wenn ich darauf hoffen darf, dann muss ich auf der anderen Seite auch selbst bereit sein zu geben.

    Laut Umfragen sind 85 Prozent der Deutschen bereit, nach dem Tod Organe zu spenden, aber nur 40 Prozent haben diese Bereitschaft in einem Organspendeausweis dokumentiert. Müsste da mehr getrommelt werden?
    FRIER: Ja, damit ist auch die Frage beantwortet, dass so ein Film maximal sinnvoll ist. Es gibt einfach so viele andere dominierende Themen – da geht die Organspende oft unter.

    Zur Person

    Annette Frier, 48, heißt nach ihrer Hochzeit mit Regisseur Johannes Wünsche eigentlich Annette Wünsche. Sie stammt aus Köln und lernte dort das Schauspiel. Seit dem Jahr 2000 („Switch“) ist sie auch als Comedystar erfolgreich.

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