Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Interview: Aline Abboud: "Mich beunruhigt dieser Graben zwischen Arm und Reich"

Interview

Aline Abboud: "Mich beunruhigt dieser Graben zwischen Arm und Reich"

    • |
    „Ich kenne Menschen, die einfach nicht gelernt haben, sich beispielsweise zu bedanken“, sagt TV-Moderatorin Aline Abboud.
    „Ich kenne Menschen, die einfach nicht gelernt haben, sich beispielsweise zu bedanken“, sagt TV-Moderatorin Aline Abboud. Foto: Hendrik Lüders, NDR/dpa

    Frau Abboud, in der ARD-Themenwoche geht es ab Sonntag um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wann haben Sie denn sozusagen selbst zum letzten Mal gesellschaftlichen Kitt angerührt?

    Aline Abboud: Ich finde, Unterstützen kann auch bei kleinen Dingen beginnen. Wenn man etwa Menschen respektvoll behandelt, im Bus für Ältere den Platz frei macht oder einfach nur „Hallo“ und „Danke“ sagt. Viele Menschen haben das verlernt oder erst gar nicht mitbekommen. Auch ein Lächeln zwischendurch oder eine Entschuldigung kann dazu beitragen. Diese zwischenmenschliche Freundlichkeit nährt auch in mir das Vertrauen in die Menschheit.

    Woran liegt es, dass bei vielen Menschen diese einfache Handhabung des gegenseitigen Respekts nicht mehr funktioniert?

    Abboud: Ich kenne wirklich Menschen, die einfach nicht gelernt haben, sich beispielsweise zu bedanken. Da ist es schwer, sich das später anzutrainieren. Oft hat es auch mit Stress, Hektik und daraus resultierend mangelnder Aufmerksamkeit für die anderen zu tun. Ich merke das auch manchmal an mir selbst, wenn es mir nicht so gut geht. Niemand kann und muss jeden Tag gut gelaunt sein. Es geht aber mehr darum, den anderen zu beachten und wahrzunehmen, ihm oder ihr Aufmerksamkeit zu zeigen und damit die ganze Person wertzuschätzen. Ich finde, darauf sollten wir alle uns wieder mehr besinnen. Was man im Kleinen nicht beherrscht, lässt sich auch nicht im Großen beachten.

    Jetzt haben aber Sie das Problem, dass Sie für ein Medium arbeiten, dem inzwischen viele nicht mehr zuhören, weil sich die Leute irgendwo aus dem Internet ihre Nachrichten suchen. Oder anders gesagt: Viele werden von einer Dialogbotschaft gar nicht mehr erreicht, sondern zimmern sich eine eigene Wahrheit. Wie kann man sie für den Dialog erreichen?

    Abboud: Natürlich erreicht man nie alle, auch wenn wir den Anspruch haben müssen. Aber es wird auch für uns Nachrichtenprofis viel wichtiger auch vor Ort, also näher bei den Menschen zu sein. Das heißt, wir müssen als Moderatorinnen und Reporter rausgehen. Ich habe kein Problem, dorthin zu gehen, wo die Menschen uns misstrauen, oder sie zu uns ins Nachrichtenhaus einzuladen. Ich habe überhaupt keine Berührungsängste. Und wenn sie hinterher immer noch sagen, dass das alles Lügenpresse ist, dann haben wir es zumindest versucht. Aber es ist tatsächlich nicht leicht, die Menschen aus ihren Blasen zu holen. Viele sind auch gar nicht dialogbereit.

    Wo erkennen Sie aktuell die großen Gräben in der Gesellschaft?

    Abboud: Ich bin nun mal auch „ost-sozialisiert“ und muss leider oft feststellen, dass es den Graben zwischen Ost und West auch nach über 30 Jahren immer noch gibt. Vielleicht ist er sogar noch tiefer als früher. Ich halte das für sehr problematisch, wenn etwa die Menschen im Osten pauschal als rechts abgestempelt werden. Dabei ist uns doch allen klar, dass das nicht alle sind, und es mögliche Gründe für politische Irrwege gibt, weil zum Beispiel seit Jahrzehnten die Wertschätzung ihrer Lebenswelten, Biografien fehlte. Wenn wir diesen Menschen nun sagen, ihr denkt falsch, ihr wählt falsch, ihr seid falsch – dann macht man den Graben noch viel größer. Dann zieht sich jeder in sein Schneckenhaus zurück und Dialog wird immer schwieriger. Neben dem Graben zwischen Ost und West beunruhigt mich auch dieser zwischen Arm und Reich.

    Ihr Vater, ein Fotograf, kam 1982 aus dem Libanon in die damalige DDR, ihre Mutter ist Deutsche. Da ist das Thema „Wir“ in der Familie vielleicht aufgrund kultureller Unterschiede noch etwas wichtiger als anderswo, oder haben Sie das nicht so wahrgenommen?

    Abboud: Zunächst einmal musste ich persönlich gar keine Brücken schlagen. Das Miteinander war bei uns Selbstverständlichkeit. Es gab da nichts zu überlegen in meiner Kindheit und Jugend. Auch in meiner Schule in Berlin-Pankow musste ich keine Diskussionen führen. Das Wort „Migrationshintergrund“ war noch nicht bekannt. Da war man entweder Ausländer oder eben nicht. Es wurde gar nicht hinterfragt, dass ich Deutsche war und mein Vater Libanese – und ich jeden Sommer in den Libanon fuhr. Als dann das Thema Migrationshintergrund wichtiger wurde, hatte ich plötzlich einen anderen Status. Aber die ersten 20 Jahren bin ich mit den Kulturen völlig problemlos aufgewachsen. Ich war nichts Besonderes, aber auch nichts Schlechteres. Ich habe mit Rassismen sehr wenig Erfahrung machen müssen. Dafür bin ich dankbar, weil ich weiß, dass viele andere damit durchaus Probleme haben und hatten.

    Wann haben Sie Ihren Migrationshintergrund bewusst wahrgenommen?

    Abboud: So im Alter von 20 Jahren. Im Grunde war das ein Stempel, den ich plötzlich auf der Stirn hatte. Vom Menschen Aline bin ich zur Aline, der ostdeutschen Halblibanesin, gemacht worden. Ich muss aber ehrlich gestehen, dass ich diese Zuordnung für mich auch genutzt habe. Ich habe das für mich selbst auch immer positiv empfunden. Es ist aber ein Problem bei vielen Kindern und Jugendlichen, dass sie beispielsweise wegen schwächerer Sprachkenntnisse demotiviert werden, statt zu hören: Jede zusätzliche Kultur, jede Sprache ist ein Plus, kein Nachteil. Bei mir ist das mittlerweile in jedem Fall so.

    Inwiefern?

    Abboud: Ich muss das mal ganz offen sagen: Beruflich passte mein Typ durch die Diversität, die ich in mir trage, gut ins gesuchte Profil der Sender. Weil ich dieses Profil, auf das ich stolz bin, habe, versuche ich heute meine Position für Menschen aus möglicherweise immer noch marginalisierten Gruppen zu nutzen und mich öffentlich für sie stark zu machen.

    Zur Person Aline Abboud, 34, wurde in Ost-Berlin geboren. Die Journalistin arbeitete erst für den Bundestag, dann fürs ZDF und seit September 2021 für die ARD. Im Mittelpunkt der ARD-Themenwoche „Wir gesucht – Was hält uns zusammen?“ (6. bis 12. November) stehen Menschen, die sich aktiv für ein besseres Miteinander engagieren.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden