Servus Frau Neuhauser, Sie spielen ja bereits seit 2011 in der Wiener Ausgabe der beliebten Krimiserie „Tatort“ an der Seite von Harald Krassnitzer. Was bedeutet das für Sie?
Adele Neuhauser: Das war für mich tatsächlich ein Glücksfall. Es ist nicht alltäglich, einen Kollegen zu finden, mit dem man so symbiotisch arbeiten kann. Da ist es vor und hinter der Kamera sehr harmonisch. Und das ohne große Mühe. Wir ergänzen uns sehr gut – und das ist wirklich ein Geschenk.
Sie und Krassnitzer gelten ja bei manchen als Traumpaar des „Tatorts“. Haben Sie irgendwann mal gedacht, wieder auszusteigen?
Neuhauser: Als ich zum „Tatort“ gestoßen bin, hatte Harry gerade ein Jubiläum gefeiert. Da hatte er in meinen Augen schon unglaublich viele Folgen gedreht. Ich dachte mir damals: „Wahnsinn, dass er das noch macht nach so langer Zeit.“ Heute bin ich an einem ähnlichen Punkt wie er damals. Jetzt habe ich auch schon so viele „Tatort“-Folgen gedreht. Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Der „Tatort“ ist so eine wunderbare Konstante in meinem Leben geworden. Ich arbeite einfach unglaublich gerne mit Harry. Dieses Jahr werden es wieder drei Folgen sein.
Man kennt Sie in Deutschland vor allem als Kommissarin Bibi Fellner. Ist es für Sie mehr Fluch oder mehr Segen, wenn man so mit einer Rolle identifiziert wird?
Neuhauser: Ich freue mich sehr, wenn man mich mit einer Figur verbindet. Denn das heißt, ich mache etwas richtig. Ich mag Bibi Fellner. Sie ist ein besonderer Charakter. Sie ist zwar inzwischen von ihrer Alkoholsucht geheilt und nicht mehr ganz so zerrissen wie früher. Aber selbst in ihrer gefestigten Form bleibt sie für mich ein sehr reicher Charakter.
Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der Wiener „Tatort“ zu den beliebtesten der Sendereihe gehört. Oder haben Sie eine andere Erklärung dafür?
Neuhauser: Ich glaube, das liegt auch wirklich daran, dass wir, also Bibi und Moritz Eisner, ein so erwachsenes Verhältnis haben. Ich schätze das, wie die beiden freundschaftlich miteinander umgehen. Und ich finde, dass wir auch einen guten Humor haben. Es ist eine schöne Mischung zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit.
Im neuesten Wiener „Tatort“ taucht ein alter Bekannter von Ihnen auf: der Inkasso-Heinzi.
Neuhauser: Ja, den liebe ich! Und zwar den Kollegen Simon Schwarz und die Figur – und was diese Figur mit Bibi macht. Der Inkasso-Heinzi bringt sie immer wieder in eine herrliche Instabilität.
Wer ist denn auf den genialen Namen Inkasso-Heinzi gekommen?
Neuhauser: Ja, der Name ist großartig! Ich glaube, das war Uli Brée (österreichischer Drehbuchautor/Anmerkung der Redaktion), der die Figur erfunden hat. Inkasso-Heinzi war ja Geldeintreiber.
Sie sagen in dem neuen „Tatort“ den interessanten Satz: „Gläubige Menschen neigen viel eher zum Betrug, weil sie die Beichte als Ventil zur Vergebung nutzen …“
Neuhauser: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das privat vollends unterschreiben kann. Aber es ist vielleicht so, wie Moritz Eisner in der Szene kontert. Er sagt, das sei eine kühne Behauptung, an der aber vielleicht ein bisschen etwas dran ist.
Es gibt ja tatsächlich hochrangige katholische Geistliche, die sagen, dass die Beichte schon ein wunderbares Vehikel ihres Glaubens sei, dass der gläubige Mensch nämlich jede irdische Untat auch wieder loswerden kann.
Neuhauser: Man muss trotzdem schon vorher überlegen, was man alles so tut. Für einen sozial handelnden Menschen muss das Gegenüber auch immer geschützt bleiben. Sich nur darauf zu berufen, so einen Ausweg parat zu haben, das halte ich ehrlich gesagt für gefährlich.
Schuld und Sühne spielte in diesem Tatort-Film eine wichtige Rolle.
Neuhauser: Ja, der Täter kommt mit der Tatsache nicht klar, dass er keine gerechte Strafe erhält. Das Ganze beruht übrigens auf einem echten Fall. Das ist selten, dass ein Täter darunter leidet, dass er nicht seiner Strafe zugeführt wird. Da kann man sich dann auch fragen: Ist unsere Rechtsprechung auch wirklich gerecht, wenn es möglich ist, dass man nach einer grausamen Tötung einen Freispruch erhält?
Kann ein Rechtssystem überhaupt gerecht sein?
Neuhauser: Wir erwarten, dass ein Rechtssystem gerecht ist, dass alle Eventualitäten ausgeschlossen werden – und erst dann ein Urteil gesprochen wird. Im Zweifelsfall für den Angeklagten. Aber in diesem „Tatort“-Fall ist es schon erstaunlich, dass der Täter freikommt.
Von der Tatort-Bibi ein Blick auf die private Adele Neuhauser. Sie haben in Ihrer Autobiografie „Ich war mein größter Feind“ vor fünf Jahren über eine Zeit geschrieben, in der Sie Depressionen plagten. Ist das alles vorbei?
Neuhauser: Ich war da noch ein kleines Mädchen mit neun Jahren, als sich meine Eltern getrennt haben. In meiner eigenen kleinen Welt habe ich mir damals die Geschichte so zusammengebaut, dass ich mir vorwarf, ich sei an dieser Trennung schuld. Das hat mich sehr belastet. Ich habe mich dafür gehasst und verflucht. Deswegen habe ich mehrere Suizidversuche verübt, die glücklicherweise nicht geklappt haben. Leider habe ich nie eine Therapie gemacht, sonst wäre ich sicher schneller aus diesem „dunklen Loch“ herausgekommen.
Ist das alles vorbei?
Neuhauser: In diese schweren Depressionen verfalle ich heute nicht mehr. Denn ich weiß inzwischen, was ich zu tun habe, wenn es wirklich eng wird.
Was tun Sie dann?
Neuhauser: Ich gehe dann an die frische Luft, hinaus in die Natur. Das ist für mich immer die beste Therapie. Dann ordnen sich die Gedanken wieder neu. Wenn ich dann schnell gehe und mich auspowere, spüre ich mich wieder auf eine andere Weise. Dann geht es auch wieder. Es ist in diesen Zeiten aber tatsächlich nicht einfach, sich an der Seele gesund zu erhalten. Wir wissen, dass viele Menschen aktuell an Depressionen leiden, vor allem junge.
Was raten Sie Menschen, die Depressionen haben?
Neuhauser: Es tut mir gut, mich zu bewegen und aufzuschreiben, was mich bedrückt. Sich zu öffnen und mit anderen über seine Ängste und Sorgen zu sprechen. Das ist oft nicht leicht, aber sicher hilfreich.
Eine Rolle für die eigene Befindlichkeit spielt auch der Wohnort. Sie lebten schon in Oberbayern, inzwischen aber längst wieder in Wien. Könnten Sie sich überhaupt vorstellen, nochmals in eine andere Stadt zu ziehen?
Neuhauser: Natürlich kann ich mir das vorstellen. Ich denke auch gerne und oft an Oberbayern zurück. Ich habe dort wunderbare Zeiten erlebt und mag die Landschaft sehr.
Was finden Sie an Wien faszinierend?
Neuhauser: Wien ist so entschleunigt und schön. In Wien kann man sehr gut zu Fuß gehen. Die Innenbezirke sind überschaubar – und die Stadt ist so schön im Wiener Becken gelegen. Da ist der Wienerwald oder das wunderbare Neusiedler-See-Gebiet. Wien bietet wirklich viele Möglichkeiten.
Der Gegenentwurf zu Wien könnte das turbulente Berlin sein. Was könnte ein Berliner von einem Wiener lernen?
Neuhauser: In Berlin lebt mein Sohn. Und der Berliner könnte vom Wiener ein bisserl mehr Sauberkeit lernen.
Zur Person: Adele Neuhauser (geboren 1959 in Athen) ist eine österreichische Schauspielerin. Ihre Karriere begann sie in Deutschland als Theaterschauspielerin. Seit 1978 steht sie vor der Kamera. Neuhauser lebt nach der Trennung von ihrem Mann Zoltan Paul in Wien.