Wer aufmerksam die Wirtschaftsnachrichten verfolgt, wird schnell feststellen, dass in den vergangenen Wochen und Monaten eine regelrechte Insolvenzwelle über die unterschiedlichsten Branchen hinweggefegt ist. Beispielsweise traf es jüngst eine bekannte Juwelierskette und den Traditions-Glashersteller Ritzenhoff. Bei der Insolvenz eines Süßwarenherstellers waren gar 1200 Mitarbeiter betroffen. Die Wahrnehmung der letzten Monate wird nun durch die Allianz Trade Insolvenzstudie gestärkt. Sie gibt einen Ausblick auf das Jahr 2024 und prognostiziert: Auch in den kommenden Monaten werden zahlreiche Unternehmen in Deutschland Insolvenz anmelden müssen. Zu einer Besserung soll es erst 2025 kommen.
Experten warnen: 2024 sollen Insolvenzen in Deutschland stark ansteigen
Die Allianz Trade Insolvenzstudie ist ein Bericht der international tätigen Kreditversicherungsgruppe mit Hauptsitz in Paris. Der Bericht untersuchte die globalen und regionalen Entwicklungen von Unternehmensinsolvenzen mit Fokus auf die Auswirkungen der Wirtschaftslage, politischen Unsicherheiten und Risiken auf die Insolvenzraten. Die Untersuchung basiert auf einer umfassenden Analyse von Insolvenzdaten, wirtschaftlichen Indikatoren und spezifischen Markteinflüssen.
Die Studie zielte darauf ab, die Dynamik hinter den Insolvenzraten zu verstehen und Vorhersagen für die kommenden Jahre zu treffen, wobei besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, geopolitische Spannungen, Finanzierungsbedingungen und branchenspezifische Herausforderungen gelegt wird. Doch was hat die Research-Abteilung von Allianz Trade nun im Fall von Deutschland herausgefunden?
Für Deutschland zeigt der Bericht einen starken Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2023, insbesondere im zweiten Halbjahr, mit einem Zuwachs von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Sektoren Gastgewerbe, Handel, Bauwesen und B2B-Dienstleistungen waren dabei maßgeblich beteiligt. Für das Jahr 2024 wird erwartet, dass die Insolvenzen noch weiter ansteigen und die Zahl der Insolvenzen von 2019 (15.481 Fälle) übertreffen werden, mit einer Prognose von etwa 20.260 Fällen, was einem Anstieg von etwa 13 Prozent entspricht. Für 2025 wird hingegen eine leichte Abnahme auf etwa 19.860 Fälle prognostiziert, was die Erwartung eines etwas stabileren wirtschaftlichen Umfelds widerspiegelt.
Insolvenzwelle rollt weiter - Das sind die Gründe
Diese Zahlen und Trends deuten laut dem Bericht darauf hin, dass, obwohl sich die Wirtschaft von den unmittelbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie erholt hat, Unternehmen in Deutschland weiterhin mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert sind, die zu einer höheren Insolvenzrate führen. Diese sind kurz zusammengefasst:
- Globale und regionale wirtschaftliche Verlangsamung: Die Verlangsamung der globalen und regionalen Wirtschaft, einschließlich unterdurchschnittlicher BIP-Wachstumsraten in Schlüsselmärkten wie den USA, der Eurozone und Schwellenländern, erhöht den Druck auf die Rentabilität der Unternehmen. Dies wird durch hohe Betriebskosten, wenig Entlastung bei den Energiepreisen, anhaltendes Lohnwachstum und anhaltende Lieferkettenprobleme verschärft.
- Zunehmende Unsicherheit: Geopolitische Unsicherheiten, eine Reihe von Schocks in den letzten Jahren und ein voller Wahlkalender in 2024 erhöhen die wirtschaftliche Unsicherheit. Dies erschwert es Unternehmen, genaue Prognosen und Geschäftspläne zu erstellen, und führt zu Volatilität bei den Eingangskosten sowie bei den Wechselkursen.
- Straffe Finanzierungs- und Liquiditätsbedingungen: Unternehmen stehen weiterhin vor teurer Finanzierung, was Bedenken hinsichtlich ihrer Fähigkeit aufwirft, die Kosten für Kredite zu tragen und den Druck auf die Gesamtrentabilität zu mindern. Dies betrifft insbesondere die am stärksten exponierten Sektoren und Unternehmen, während die Anzahl der gefährdeten Unternehmen bemerkenswert bleibt, insbesondere in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien und Deutschland.
- Resilienz für Neugründungen: Die postpandemische Beschleunigung der Unternehmensgründungen könnte 2024 zu einem natürlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen führen. Insbesondere in Europa wurde eine deutlich höhere Anzahl von Neugründungen verzeichnet, was diese Unternehmen vor ihre erste echte Belastungsprobe stellt.
- Höhere Risiken in bestimmten Sektoren: Einige Sektoren weisen höhere Risiken für Arbeitsplätze und die Wirtschaft auf, wobei Bauwesen und Immobilien zusammen mit Gastgewerbe, Transport und Großhandel/Einzelhandel besonders gefährdet sind. Diese Sektoren sind am stärksten den Risiken einer länger anhaltenden schwachen Nachfrage und anhaltend hohen Finanzierungskosten ausgesetzt.
Der Bericht zeigt aber auch, dass der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen ein allgemeiner Trend in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist, nicht nur in Deutschland. Im Jahr 2023 verzeichneten drei von vier Ländern einen Anstieg der Insolvenzen, meist mit einem zweistelligen Wachstum. Global gesehen beschleunigte sich der Anstieg der Geschäftsinsolvenzen von +23 Prozent im Jahr 2022 auf +29 Prozent im Jahr 2023, der schnellste Anstieg seit 2009, wie die Studienautoren hervorheben. Für 2024 wird eine weitere Beschleunigung der globalen Geschäftsinsolvenzen um 9 Prozent erwartet, bevor sich diese 2025 auf einem hohen Niveau stabilisieren.
Deutschland steht also nicht alleine da. Andere Länder, insbesondere in Westeuropa und Nordamerika, verzeichnen ähnliche Trends. Zum Beispiel wird in den USA für 2024 ein weiterer Anstieg der Insolvenzen um 28 Prozent erwartet. Der Bericht zeigt deutlich: Der Anstieg der Insolvenzen in Deutschland ist Teil eines globalen Trends und nicht ausschließlich ein nationales Phänomen.
Große Insolvenzstudie: So gingen die Analysten vor
Die Methodologie des Berichts umfasst die Anwendung von sogenannten Insolvenzregime-Änderungsmodellen, die tausende von makroökonomischen und finanziellen Datenserien über Jahrzehnte hinweg nutzen, um die Bandbreite zukünftiger Insolvenzen vorherzusagen, wobei die Leistung der Modelle durch ihre Genauigkeit bei der Vorhersage des Insolvenzwachstums sechs Monate im Voraus bewertet wird. Die Methodik berücksichtigt auch firmenspezifische Risiken und die Auswirkungen von Änderungen in der Gesetzgebung und im Marktumfeld auf die Insolvenzraten.
Übrigens: Viele weitere bekannte Unternehmen mussten in den vergangenen Monaten ebenfalls Insolvenz anmelden, dazu zählen neben KaDeWe auch der deutsche Weltmarktführer Umeta. Vornehmlich die Modebranche schien gebeutelt. So muss die Modekette Peter Hahn zahlreiche Stellen abbauen und das Modehaus Rübsamen Filialen schließen. Die große Münchner Modekette Hallhuber ist ebenfalls in Schieflage geraten. Auch Peek & Cloppenburg Düsseldorf sucht nach einem Weg, wie es jetzt weitergeht.