Sie wimmeln zu Abertausenden unter Abdeckleisten, arbeiten sich in Fensterdichtungen und Stromverteilerkästen ein, in Blumenbeete und Blumenkübel. Sie bahnen sich ihre deutlich sichtbaren Straßen kreuz und quer durch Wohngebiete, finden ihren Weg durch Kabelschächte, durchlöchern Fugen in Einfahrten, Gehwegen, unterhöhlen Straßen, graben Rasenflächen um und besiedeln großflächig den Spielplatz: Im südbadischen Kehl haben sich mindestens zwei Superkolonien einer aus dem westlichen Mittelmeerraum eingewanderten Ameisenart, der Tapinoma magnum, angesiedelt, die Anwohner in die Verzweiflung treiben und die Stadtverwaltung an ihre Grenzen bringt.
"Es gab Berichte, dass die Ameisen über eine Steckdose und aus dem Wasserhahn ins Haus gekommen sind", sagt Gregor Koschate. Der Agrarökonom ist Umweltbeauftragter der Stadt und befasst sich eigentlich mit Streuobst und Biotopen. Aber seit gut einem Jahr ist er praktisch mit nichts anderem beschäftigt als der Bekämpfung der Ameiseninvasion, den Schäden, die sie hinterlässt – und Auskünften an andere Kommunen, die ebenfalls fürchten, betroffen zu sein. Bei einem Rundgang in Marlen, dem am stärksten betroffenen Stadtteil von Kehl, ist die Präsenz der Tapinoma magnum, so der wissenschaftliche Name der Art, unübersehbar. Koschate weist auf die zahllosen kleinen Sandhaufen auf Gehwegen und entlang der Straßeneinfassung hin. Es ist Fugenmaterial, das von den Ameisen herausgedrückt wird. Straßenränder, Gehwege und gepflasterte Einfahrten wirken durchlöchert und uneben.
Das einzige Mittel, das bislang gegen die aggressiven Ameisen hilft: Heißschaum
Für den Laien sind die Invasoren nicht von einer gewöhnlichen heimischen Ameise zu unterscheiden. Das Besondere an dieser Art: Statt eines Baus mit einer Königin gehören zu einer Kolonie zahllose Nester mit Hunderten von Königinnen. Die Bauten sind unterirdisch angelegt, bis zu einen Meter tief, oben sichtbar nur durch ein kleines Sandhäufchen mit wenigen Zentimetern Höhe. Werden die Tiere in einem Nest gestört, packen sie ihre Brut und ziehen weiter. "Die sind sehr schnell und hoch mobil", sagt Koschate und stochert zum Beweis in den Boden an einem Bordstein, an dem es besonders wimmelt. Die Folge ist ein Tumult von Ameisen, die massenhaft winzige weiße Eier davonschleppen.
Seit Herbst bekämpft die Stadt die Kolonien, die sich bislang unbeeindruckt gegen Pestizide erweisen, mit dem einzigen bislang Erfolg versprechenden Mittel: Heißschaum, der mit hohem Druck auf die befallenen Flächen aufgesprüht wird und die Tiere ersticken soll. Einziger Anbieter des Verfahrens: eine Darmstädter Firma, die für teures Geld beauftragt werden muss. Über 50.000 Euro hat Kehl seit Herbst schon in die Bekämpfung gesteckt. Erfolg verspricht das Verfahren, wenn in kurzem Abstand mehrere Bedampfungszyklen aufeinander folgen, am besten wäre ein Abstand von drei bis sieben Tagen – doch das ist für die Stadt nicht leistbar.
Die Anwohner haben sich zusammengetan, versuchen, Druck auf die Stadt auszuüben. "Das geht schon fast seit zwei Jahren so, ohne dass sich etwas bessert", sagt eine Anwohnerin aus der Edelweißstraße. Die Nachbarn würden immer mal wieder zur Selbsthilfe greifen und handelsübliches Ameisengift einsetzen, "dann ist für zwei oder drei Wochen Ruhe", sagt sie. "Aber dann sind sie wieder da." So wie in dem Verteilerkasten, der kürzlich durch die Schlagzeilen ging: Ein Ameisennest darin hatte kurzzeitig in einigen Häusern die Internetverbindung lahm gelegt. Mutmaßlich ein Anwohner hatte den Kasten anschließenden mit brachialer Gewalt eingerammt und wohl Gift ausgebracht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich: ohne durchschlagenden Erfolg. Über die eingeschlagene Ecke herrscht weiter reger Ameisenverkehr.
Die Ameisen-Kolonie in Kehl ist quasi unsterblich, sagt der Wissenschaftler
Wolfram Britz hat schon viele Briefe mit der Bitte um Hilfe und Unterstützung geschrieben, seit sie in Kehl die wissenschaftliche Bestätigung haben, dass es sich um die Tapinoma magnum handelt. An das Landratsamt, an das Regierungspräsidium in Freiburg, an den Bund und Ende Mai an das baden-württembergische Umweltministerium. Vom Regierungspräsidium in Freiburg hat er zumindest die Rückmeldung erhalten, dass es noch ein wenig dauert, aber vom Stuttgarter Ministerium hat er bislang keine Antwort erhalten, sagt der Oberbürgermeister von Kehl. "Ich wünsche mir vom Land die klare Ansage, dass man hier Gewehr bei Fuß steht", sagt Britz. "Dass es wie beim Hochwasser eine vom Land koordinierte Stelle gibt, die alles Wissen sammelt und es allen zur Verfügung stellt. Das können wir nicht leisten als Kommune."
Eine übergeordnete Koordination in Sachen Ameise würde auch Manfred Verhaagh für sinnvoll halten. Der Wissenschaftler und Biologe ist Hauptkonservator und Chef-Entomologe am staatlichen Naturkundemuseum in Karlsruhe und beschäftigt sich viel mit invasiven Arten – nicht zuletzt mit der Tapinoma magnum. "Sie ist im westlichen Mittelmeerraum beheimatet, von dort sind aber keine Probleme wie bei uns bekannt." In Deutschland komme die Art seit einigen Jahren vor, "man weiß aber noch nicht allzu viel über sie". Die Ameisenart bilde Superkolonien mit vielen Nestern, deren Tiere Verbindung untereinander halten. Eine einzige Kolonie kann so mehrere Hektar besiedeln. "Die Kolonie ist durch die ständige Neuaufnahme von Jungköniginnen quasi unsterblich", sagt Verhaagh. "Eigentlich ist das ein tolles Tier, eine hochdominante Art, die eine sehr effektive Überlebensstrategie entwickelt hat. Sie ist frosthart, durch die vielen Bodennester gut geschützt, verfügt über ein hochpotentes Gift, das sie aus einer Drüse versprüht, und nutzt zahlreiche Nahrungsquellen". Schon mehrere Kommunen haben sich bei ihm gemeldet, um die Art der verbreiteten Ameisen bestimmen zu lassen. „Es wäre sicher sinnvoll, wenn die Politik einen Forschungsauftrag an ein Institut gibt, um alles zu sammeln und zu schauen, ob man sie wieder los wird oder die Ausbreitung einschränken kann", sagt Verhaagh. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.
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