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Hochwasser in Österreich: Dramatische Lage, mehrere Todesfälle

Unwetter

Regenmassen ohne Ende: So dramatisch ist die Hochwasserlage in Österreich

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    Blick auf den Hochwasser führenden Wienfluss, ein Nebenfluss der Donau, der normalerweise ein kleines Rinnsal in der österreichischen Hauptstadt ist.
    Blick auf den Hochwasser führenden Wienfluss, ein Nebenfluss der Donau, der normalerweise ein kleines Rinnsal in der österreichischen Hauptstadt ist. Foto: Georg Hochmuth, dpa

    Es ist ein Anblick, den die Wienerinnen und Wiener noch nie zu sehen bekommen haben: Der tagelange Dauerregen hat den von Westen über einen regulierten Kanal in die Stadt fließenden Wienfluss – normalerweise ein kleines Rinnsal – in einen reißenden Strom verwandelt, der vielerorts über die Ufer tritt. Weiter im Osten im Stadtzentrum, dort, wo der Wienfluss in den Donaukanal mündet, vernichtet die Überflutung zahlreiche Lokale einer beliebten Ausgehmeile. Fassungslos stehen Schaulustige am Ufer, machen Selfies und filmen. Ein Flusskreuzfahrtschiff der Schweizer Linie „Thurgau Travel“ hängt im Überflutungsgebiet fest, ein Anlegen am Ufer ist unmöglich, 102 Passagiere und 40 Crewmitglieder können das Schiff nicht verlassen.

    Wer sich an diesem Montagmorgen nicht dringend auf den Weg machen muss, bleibt zu Hause – in die Arbeit oder in die Schule zu gelangen, gleicht am Montag ohnehin einer Mammutaufgabe, wenn nicht einer Mutprobe. Die U-Bahnen in Österreichs Hauptstadt stehen in weiten Teilen still, nur eine einzige Linie fährt durchgehend, im Umland sind zahlreiche Straßen gesperrt. Am Sonntagabend war die Stadt mehr oder weniger abgeriegelt: Weder per Zug noch mit dem Auto und weder von Osten, Westen noch von Süden war die Zufahrt ungehindert möglich. Autobahnen mussten wegen massiver Überflutungen gesperrt werden. Zugverkehr auf der Westbahn in Richtung Linz und Salzburg war auch am Montag nicht möglich, die Österreichischen Bundesbahnen haben eine vorerst bis Donnerstag geltende Reisewarnung ausgesprochen. Vielerorts, auch im nördlich von Wien gelegenen Klosterneuburg, bleiben Schulen und Kindergärten weiter geschlossen. Vor allem der Westen des Wiener Stadtgebietes ist massiv von Überflutungen betroffen: In den dortigen Bezirken mussten Häuser evakuiert werden, einige von ihnen waren am Wochenende nur mehr per Boot erreichbar. Der Regen wollte auch am Montag kein Ende nehmen.

    Zwei Senioren wurden vom Wasser eingeschlossen und kamen ums Leben

    Es war der fünfte Tag der verheerendsten Flutkatastrophe, die Österreich in vielen Jahrzehnten erlebt hat. Vielerorts führen die Flüsse und Bäche ein hundertjähriges Hochwasser, vor allem in Niederösterreich, aber auch in der Steiermark, in Oberösterreich und im nördlichen Burgenland. Feuerwehren und auch das Bundesheer sind im Dauereinsatz, führen Evakuierungen durch, kämpfen gegen die Wassermassen. Die Priorität der Einsatzkräfte: Leben retten.

    Für einen 70-jährigen Mann im Bezirk St. Pölten-Land und einen 80-Jährigen im Bezirk Korneuburg kommt aber jede Hilfe zu spät. Die Pensionisten wurden in ihren Häusern von den Wassermassen eingeschlossen. Bei Auspump-Arbeiten in einem Keller war am Wochenende ein Feuerwehrmann ums Leben gekommen. Am Montagabend wurde ein viertes Opfer bekannt: Ein Mann mittleren Alters wurde bei Klosterneuburg leblos im Wasser treibend gefunden.

    Die Lage spitze sich noch einmal drastisch zu: Die rund 600 Einwohner von Rust im Tullnerfeld, nicht weit östlich von Wien gelegen, sowie viele Bewohner von fünf weiteren Ortschaften mussten ihre Häuser verlassen, sie wurden in Notquartiere gebracht. Die Dämme hielten einfach nicht mehr stand.

    Die Fluten, denen die Menschen derzeit in Österreich zu trotzen versuchen, lösen bei den Nachbarn eine Welle an schmerzlichen Erinnerungen aus. Noch nicht einmal vier Monate ist es her, dass weite Teile Schwabens unter Wasser standen. Nach tagelangem Dauerregen waren viele Flüsse und Bäche angeschwollen, Dämme brachen, Keller liefen voll, Menschen mussten aus ihren Häusern gerettet werden. Die Schäden gingen in die Milliarden - und sind bis heute nicht gänzlich beseitigt. Genau wie das Trauma, das bei vielen Menschen, die im Hochwasser viel, teilweise ihre ganze Existenz, verloren haben, geblieben ist.

    Ursache für den Dauerregen ist eine Fünf-b-Wetterlage

    Verantwortlich für den Dauerregen damals war eine sogenannte Fünf-b-Wetterlage. Und die ist auch an der aktuellen Lage schuld. Vereinfacht ausgedrückt ist es so: Weil das Mittelmeer durch den Klimawandel so warm geworden ist, verdunstet dort sehr viel Wasser. Die Feuchtigkeit wird durch ein Tiefdruckgebiet angesaugt, die Luftmassen ziehen gegen den Uhrzeigersinn aus dem Süden über die Alpen Richtung Osten. Wenn diese feuchten Luftmassen auf kalte aus dem Norden treffen, entstehen starke Niederschläge - und die können extrem ausfallen. Hinzu kommt: Eine Fünf-b-Wetterlage bewegt sich nur langsam - der Regen verschwindet also nicht so schnell. Wie dramatisch so etwas ausgehen kann, hat man in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen. Die letzten ganz großen Hochwasser waren von einer solchen Wetterlage geprägt, etwa in Bayern das Pfingsthochwasser im Jahr 1999, das Alpenhochwasser 2005, das Donauhochwasser 2013, die Flut Anfang Juni dieses Jahres im Freistaat - und eben die aktuellen Wassermassen, die Teile Österreichs in einen Ausnahmezustand versetzen.

    Am schlimmsten betroffen ist das Bundesland Niederösterreich.
    Am schlimmsten betroffen ist das Bundesland Niederösterreich. Foto: Christoph Reichwein/dpa

    Am prekärsten ist die Situation im Waldviertel im nördlichen Niederösterreich: Aus dem Stausee in Ottenstein am Kamp – das Kamptal war bereits 2002 Opfer eines gewaltigen Hochwassers geworden – muss stetig kontrolliert Wasser abgelassen werden, um ein Überlaufen zu verhindern und um Platz für weitere Regenmengen zu schaffen. Weiter unten im Tal sorgt das für eine äußert schwierige Lage und für zahlreiche Evakuierungen in Notunterkünfte, 94 Schulen in Niederösterreich sollen bis auf Weiteres geschlossen bleiben. Auch die niederösterreichische Landeshauptstadt kämpft gegen massive Überschwemmungen – bereits am Sonntag wurde das gesamte Bundesland Niederösterreich zum Katastrophengebiet erklärt. Alle Wege, egal ob mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem eigenen Auto, sollten tunlichst unterlassen werden, warnen immer wieder Hilfskräfte und Krisenstäbe. Die Donau ist für den Schiffsverkehr ab der Grenze zwischen Ober- und Niederösterreich gesperrt, 76 Schiffe, davon 20 Güterschiffe, lagen am Montagnachmittag still.

    Auch in Polen und Tschechien kämpfen die Menschen gegen die Fluten

    Nicht nur in Österreich kämpfen die Menschen mit den Naturgewalten. Auch in Polen und Tschechien stemmen sie sich gegen das Hochwasser. Besonders dramatisch ist die Situation in der tschechischen Stadt Krnov, die am Sonntag fast komplett überflutet wurde, wie auf Videos im Internet zu sehen ist. Ähnlich katastrophal ist die Lage in der polnischen Kleinstadt Klodzko. Nach dem Bruch eines Staudamms verschärft sich die Situation dort immer weiter. Und im Dorf Krosnovice, nicht weit von Klodzko entfernt, kam nach Angaben der Polizei ein Mann ums Leben - Einsatzkräfte konnten ihn zunächst nicht bergen, da der Ort überschwemmt war.

    Die Luftaufnahme zeigt Überschwemmungen in Niederösterreich. Dort ist die Lage besonders prekär.
    Die Luftaufnahme zeigt Überschwemmungen in Niederösterreich. Dort ist die Lage besonders prekär. Foto: Trippolt Daniel/BMLV/APA/dpa

    Auch in Bayern bleibt die Hochwasserlage in einigen Regionen angespannt. Der Hochwassernachrichtendienst erwartete am Montag einen erneuten Anstieg der Wasserstände. An der Donau in Passau etwa könnte am Dienstag knapp die Meldestufe 3 erreicht werden. Im Osten Deutschlands steigt das Wasser ebenfalls. Für die Elbe in Dresden wurde die Alarmstufe 3 vorhergesagt - das bedeutet einen Wasserstand von sechs Metern. Zum Vergleich: Der Normalstand der Elbe beträgt am Dresdner Pegel rund zwei Meter. Beim Jahrhunderthochwasser 2002 waren es am Höhepunkt 9,40 Meter.

    In Österreich brechen die Regenmengen alle Rekorde

    In Österreich brechen die Regenmengen, die das Tief „Anett“ seit Donnerstag fast über dem gesamten Bundesgebiet abließ, alle Rekorde: In manchen Orten Niederösterreichs fielen seit Mittwochabend über 400 Liter pro Quadratmeter – mehr als dreimal die Menge an Regen, die dort normalerweise im ganzen Monat September im Schnitt fällt. Tagelang wütete vor allem im Osten Österreichs Sturm: Windböen mit 80 Stundenkilometern gab es südlich von Wien, auf den Wiener Hausbergen Rax, Schneeberg und am Wechsel gab es Spitzen von bis zu 150 Stundenkilometern. Massive Schneefälle im gesamten Alpengebiet, stellenweise bis auf unter 700 Meter Seehöhe, machten das Passieren von Straßen in den Alpen unmöglich. Stellenweise lag noch am Montag bis zu zwei Meter Schnee auch in niederen Lagen. Dieser, so prognostizieren die Meteorologen, wird in den kommenden Tagen abschmelzen – was stellenweise erneut zu kritischen Situationen führen könnte.

    Dabei war der Schnee ironischerweise kurzzeitig sogar ein Segen: Die Experten betonen, der Schneefall habe noch weitere Wassermassen gebunden – und so ein Jahrtausendhochwasser verhindert. Aus Sicht zahlreicher Meteorologen ist klar, dass – neben anderen Faktoren – die extrem warmen Meerestemperaturen und damit der menschengemachte Klimawandel für die extrem hohe Feuchtigkeit in der Luft und damit für die Rekordniederschläge verantwortlich sind. Klimaforscher würden „seit 30 Jahren warnen, dass die Erderwärmung mehr Extremniederschlag“ bringen würde, schreibt Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institute for Climate Impact Research PIK auf der Plattform „X“. Rahmstorf betont: Diese Zunahme von Extremniederschlägen lasse sich auch für Deutschland und Österreich wissenschaftlich nachweisen.

    Dass solche Starkregenereignisse wegen der steigenden Treibhausgase und der damit verbundenen globalen Erwärmung zunehmen, sagt auch Klimaforscher Professor Harald Kunstmann. „Die Veränderungen, die wir beim Niederschlag sehen, sind hauptsächlich dem Klimawandel zuzuschreiben“, erklärte er vor Kurzem in einem Interview mit unserer Redaktion. Damit aber aus einem Niederschlag ein Hochwasser wird, eine Überschwemmung, eine Katastrophe also, kommen weitere Faktoren hinzu. Vor allem die Oberflächeneigenschaften: Es spielt eine Rolle, wo wie viel versiegelt wurde, welche baulichen Veränderungen vorgenommen wurden. Dass die massive Flächenversiegelung ein Problem ist, darauf weisen Umweltschützer seit Jahren hin. Rund 12,2 Hektar unbebauter Fläche seien etwa in Bayern 2022 täglich verbraucht worden, vor allem für Wohnsiedlungen, Industrie- und Gewerbeflächen oder Straßen, teilt der Bund Naturschutz mit. Das entspreche einer Steigerung gegenüber 2021 von 18 Prozent und insgesamt einer Größe von etwa 17 Fußballfeldern. Eigentlich hatte es sich die bayerische Staatsregierung zum Ziel gesetzt, bis 2030 den täglichen Flächenverbrauch auf fünf Hektar zu senken - davon ist man meilenweit entfernt.

    Längst ist das Thema Hochwasser zum Politikum geworden. Die Flutkatastrophe in Österreich bringt aktuell auch den Wahlkampf für die in zwei Wochen anstehenden Nationalratswahlen zum Stopp: Alle Parteien haben angekündigt, Veranstaltungen in den kommenden Tagen abzusagen. ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte an, 300 Millionen Euro aus dem Katastrophenfonds bereitzustellen – sollte dies nicht reichen, könne aufgestockt werden, so der Kanzler.

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