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Historischer Prozess: Gisèle Pelicot setzt Zeichen gegen Missbrauch

Prozess

Urteile gefallen: Gisèle Pelicot setzt Zeichen gegen Missbrauch

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    Gisèle Pelicot mit ihrem Anwalt Stephane Babonneau (rechts) vor dem Gerichtsgebäude in Avignon.
    Gisèle Pelicot mit ihrem Anwalt Stephane Babonneau (rechts) vor dem Gerichtsgebäude in Avignon. Foto: Clement Mahoudeau, AFP/dpa

    Schuldig in allen Anklagepunkten: Als Dominique Pelicot am Donnerstagvormittag in Avignon den Richterspruch hört, zeigt er keine besondere Reaktion. Die Strafe von 20 Jahren Haft mit einer möglicherweise folgenden Sicherungsverwahrung dürfte keine Überraschung für ihn gewesen sein. Er hatte über Jahre hinweg seine mittlerweile von ihm geschiedene Frau Gisèle mit Medikamenten betäubt und fremde Männer in ihr Haus im südfranzösischen Mazan eingeladen, um sie gemeinsam zu vergewaltigen. Die Taten filmte er.

    Prozess in Avignon: Zehn Tage bleiben ihm nun Zeit, um Einspruch einzulegen

    In seinen Computern und Festplatten, auf denen er 20.000 Bilder und Videos vom schweren Missbrauch seiner Frau speicherte, fand die Polizei auch Fotos von seiner Tochter und seinen beiden Schwiegertöchtern – nackt oder in Unterwäsche. Er verbreitete sie online. Auch dafür wurde er verurteilt. Sowie für die schwere Vergewaltigung einer anderen, zuvor betäubten Frau, Cilia M., gemeinsam mit deren Ehemann. Er habe den Richterspruch „zur Kenntnis genommen“, sagte seine Anwältin Béatrice Zavarro. Zehn Tage bleiben nun Zeit, um Einspruch einzulegen. Sie schließe diesen Schritt nicht aus, sagte Zavarro.

    Auch die anderen 50 Männer im Alter von 27 bis 74 Jahren blieben überwiegend regungslos bei der Verkündung ihrer Schuldsprüche und Strafen. Nur manche ihrer Angehörigen im Saal reagierten bestürzt und begannen zu weinen. Eine Frau brach zusammen, als sie erfuhr, dass ihr Sohn Jahre ins Gefängnis muss.

    „Schande der Justiz“, skandierten derweil aufgebrachte Feministinnen vor dem Gerichtsgebäude. „20 Jahre für alle“, hatten sie vor ein paar Wochen schon gefordert und auf Transparente geschrieben. Letztlich wurden zwar alle 51 Angeklagten der schweren Vergewaltigung für schuldig befunden, doch abgesehen von Dominique Pelicot blieben die Urteile deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Diese sah, mit einer Ausnahme, zwischen zehn und 18 Jahren Haft vor und sprach von einem Prozess, der „die Beziehungen zwischen den Männern und den Frauen fundamental verändern“ solle – auch durch exemplarische Urteile. Letztlich bewegen sich die Strafen zwischen drei Jahren, davon zwei zur Bewährung, und 15 Jahren. Sechs Männer, die jeweils bereits in Untersuchungshaft waren, verließen das Gericht auf freiem Fuß.

    Zu diesen Strafen wurden weitere Männer verurteilt

    Die höchste Strafe, abgesehen von Dominique Pelicot, erhielt Romain V., der sechsmal zu diesem kam, um dessen Frau Gisèle zu vergewaltigen. Er benutzte dabei kein Kondom, obwohl er das HI-Virus in sich trägt. Allerdings konnte er eine medizinische Bestätigung vorweisen, nach der es durch seine fortschreitende Behandlung keine Ansteckungsgefahr gegeben habe. Er muss für 15 Jahre ins Gefängnis.

    Zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden drei weitere Männer, die auch je sechsmal nach Mazan gekommen waren. Die meisten Verteidiger äußerten sich zufrieden. Beobachter vermuteten, dass die Urteile vergleichsweise gering ausfielen, damit die Verurteilten nicht in Berufung gehen. Die Organisation eines weiteren Prozesses dieses Ausmaßes wäre eine große Herausforderung.

    Der Andrang vor der Urteilsverkündung war immens. Schon am frühen Morgen warteten am Donnerstag zahlreiche Besucher sowie die Vertreter von Medien aus der ganzen Welt vor den Eingängen des Gerichts. Auch am letzten Tag eines als historisch geltenden Prozesses erhielt Gisèle Pelicot Applaus, als sie das Gericht betrat und verließ. Und einmal mehr beeindruckte sie durch ihr ruhiges Auftreten.

    Gisèle Pelicot: Den Prozess öffentlich zu machen, habe sie nicht bereut

    Sie sei zutiefst berührt, sagte die 72-Jährige in einer Stellungnahme. Sie denke an ihre drei Kinder, ihre Enkelkinder, Schwiegertöchter und „an die ganzen anderen Familien, die von diesem Drama betroffen sind“, sowie an alle Opfer sexueller Gewalt, die nicht als solche anerkannt werden und deren Geschichte oft im Schatten bleibe. Sie habe „Vertrauen in eine Zukunft, in der jeder, Frau und Mann, in Harmonie leben kann“, sagte sie. Ihre Entscheidung, den Prozess öffentlich zu machen, habe sie nicht bereut. Sie habe gewollt, dass „die Gesellschaft die dort geführten Debatten übernehme“.

    Das ist ihr gelungen. Ihre Forderung „Die Schande muss die Seite wechseln“ wurde zu einer Art feministischem Schlagwort. In einer Umfrage unter 18- bis 30-Jährigen in Frankreich hinsichtlich der wichtigsten Persönlichkeiten des Jahres 2024 war Gisèle Pelicot die Frau, die am meisten genannt wurde. Die BBC wählte sie unter die 100 einflussreichsten Frauen, die „dank ihrer Resilienz einen Wandel bewirken“. „Merci Gisèle“ hatten Feministinnen auf ein riesiges Spruchband geschrieben, das sie gegenüber dem Gerichtsgebäude aufhängten – für alle sichtbar, vor allem für eine: Gisèle Pelicot.

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