Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

"Herbstblond": Bei Gottschalks auf dem Sofa

"Herbstblond"

Bei Gottschalks auf dem Sofa

    • |
    "Herbstblond", die Autobiografie: 368 Seiten Thomas Gottschalk pur. Der Entertainer räsoniert über Lebensumstände, Wegbegleiter und "Wetten, dass ..." auf seine typische Weise.
    "Herbstblond", die Autobiografie: 368 Seiten Thomas Gottschalk pur. Der Entertainer räsoniert über Lebensumstände, Wegbegleiter und "Wetten, dass ..." auf seine typische Weise. Foto: Jörg Carstensen (dpa)

    Mit dieser Feststellung wird Thomas Gottschalk nicht gerechnet haben. Die schönste Szene in seiner nicht sehr ergiebigen Schauspielerkarriere hat nicht mit den "Supernasen" zu tun, sondern stammt aus der ersten Folge von Helmut Dietls TV-Serie "Monaco Franze – der ewige Stenz" von 1982. Da ist er der Türsteher Ricky in einem albtraumhaft leeren, den Gemälden Edward Hoppers nachempfundenen Lokal, das außen den Schriftzug "California New" trägt.

    "In" war, wo Gottschalk war

    Dem verdutzten Monaco Franze alias Helmut Fischer verklickert der Ricky mit Kaugummi im Mund, dass Disko "out" sei. Übrigens: "Schwabing ist auch out". Eine Szene mit Symbolkraft. Denn dem gelockten Türsteher-Schlaks standen zu dieser Zeit bereits alle Türen offen. Und wo war es damals "in"? Ja. Genau. Halt da, wo Gottschalk war. Wohlgemerkt: War.

    Was macht nun einer, der die einst größte Fernsehshow Europas, "Wetten, dass..?", moderiert hat und Jahre später bei "Supertalent" mit Master-Ego Dieter Bohlen an einem Tisch saß und Carmen Geiss in einer anderen Show aushalten muss? Er schreibt ein Buch: "Herbstblond" heißt die Autobiografie. Vermutlich ein Selbstläufer.

    Für den in Kulmbach aufgewachsenen Thomas Gottschalk ist es wichtig, dass Jugend nicht in Altersringen wie bei einem Baum vergeht, sondern in Erinnerungen weiterlebt. Und deshalb ist es ein schönes Buch geworden für Menschen, die zur selben Zeit geboren wurden wie der Bub aus Oberfranken.

    Der junge Thomas, der Mozarts Papageno ebenso kannte wie die Beatles, beschreibt mit Hingabe sein Elternhaus und das Kulmbacher Umfeld – genauso wie es Gleichaltrige andernorts erlebt hatten. Nazi-Vergangenheit? Kein Thema. Gottschalk hat nie – wie viele andere auch – Fragen gestellt. "Muss ich mir deshalb vorwerfen, ein unpolitischer Mensch zu sein?"

    Thomas Gottschalk hat keine Ahnung von Hochkultur

    Gottschalk hat in "Wetten, dass..?" immer damit kokettiert, dass er von Hochkultur keine Ahnung habe. Die Geschichte von dem Taugenichts, der bei dem Schriftsteller Joseph von Eichendorff groß herauskommt, hat den TV-Liebling dennoch beeindruckt. Und so sieht er offenbar auch seine Karriere.

    Da erzählt einer wie in einem mit Augenzwinkern servierten Bildungsroman die Wanderjahre eines neuzeitlichen Gauklers. Er verknüpft Aufmüpfigkeit im Radio, die Kunst des Moderators im Fernsehen und die Möglichkeiten des Geschäftsmanns zu einem Gesamtpaket. Mit großer Liebe zur Popmusik: Jedes Kapitel ist mit dem Titel eines Songs überschrieben.

    Was nicht immer logisch erscheint: Der Beitrag "Old Man" nach einem Song von Neil Young, der die Nähe zweier Generationen beschreibt, dient Gottschalk für seine Entschuldigung, in einem weißen Auto zu Roy Blacks Beerdigung gefahren zu sein.

    Viel Ehrlichkeit, viel Nostalgie, wenig Aufklärung über die inzwischen abgeschafften Werbe-Aktivitäten in der Show "Wetten, dass..?" und die verkappte Autowerbung, an der Gottschalks Bruder Christoph maßgeblich beteiligt war.

    Thomas Gottschalk: "Der Beruf des Journalisten ist ein Selbstbedienungsladen"

    In seiner Biographie "Herbstblond" erzählt Thomas Gottschalk viele Anekdoten. Auch die Folgen des Älterwerdens spart er nicht aus.
    In seiner Biographie "Herbstblond" erzählt Thomas Gottschalk viele Anekdoten. Auch die Folgen des Älterwerdens spart er nicht aus. Foto: Heyne Verlag/dpa

    Immer sei er für das Publikum da gewesen, sagt Gottschalk. Mit den Medien hat er allerdings seine Probleme. Wie schon seit Jahrzehnten: "Der Beruf des Journalisten ist ein Selbstbedienungsladen", schreibt Gottschalk. Wobei er sich vor allem auf die Boulevard-Medien bezieht.

    Aber auch auf Kritik in seriösen Zeitungen hat er oft dünnhäutig reagiert: Immer wieder Häme über seine Gehröcke, seine Frisur, seine Moderation und seinen etwas nahen Umgang mit weiblichen Gästen. Das mag er nicht.

    Sagt er. Aber dass "Wetten, dass..?" auch schon in der Spätphase unter seiner Moderation junge Leute nicht mehr anzog, ist kein Thema.

    Intensiv befasst sich Gottschalk mit den Suiziden zweier Freunde und Weggefährten: der sogenannte "Playboy" Gunter Sachs – für Gottschalk ein Gentleman – und Ex-MDR-Intendant Udo Reiter, der ihn gefördert hat.

    Udo Reiter, der zunächst BR-Hörfunkdirektor war, erkannte das Talent des jungen, forschen Kulmbachers und unterstützte ihn bei der musikalischen Auffrischung des Senders. "Pop nach acht" und die "BR-Radioshow" zusammen mit Günther Jauch sorgten für Furore.

    Eine ungewöhnliche Freundschaft

    Mit einer ungewöhnlichen Freundschaft aber hatten die Fernsehzuschauer nicht gerechnet: der mit Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki, der 2008 den Deutschen Fernsehpreis fürs Lebenswerk ablehnte und der Gala-Moderator Gottschalk gleich nach dem Eklat das Du anbot. Da passten zwei zusammen: ein eitler TV-Moderator und ein nicht weniger eitler Nestor der Literatur. In der "Late Night"-Show auf RTL feierte der "zänkische Kauz" (Gottschalk) einen großen Erfolg. Die Porno-Queen Teresa Orlowski fiel Reich-Ranicki ins Auge, was ihn zu intimen Fragen veranlasste.

    Gottschalk wuchert gern mit dem großen Pfund einer (Fast-)Lebensleistung. Populär zu sein, ohne sich ranschmeißen zu müssen. Aber ob der Leser wirklich wissen muss, dass der verstorbene Unternehmer Hans Riegel junior eine der wichtigsten Figuren in seinem Leben war, weil er 25 Jahre lang Gottschalk Gummibärchen verkaufen ließ?

    Das war die Zeit, als Promis noch nicht für gesunde Ernährung warben, als lange Zeit ein Bärchen-Schälchen vor der Couch in "Wetten, dass..?" stand, bis die Werberichtlinien strenger wurden. Reich-Ranicki, Riegel und Günther Jauch sind Eckpfeiler der Personen-Huldigung. Wobei der frühere BR-Mitstreiter Günther Jauch halt einfach nicht so kann, wie Gottschalk ihm das vorschlägt. Was er meint: Einfach lockerer rüberkommen. Nicht allzu ernsthaft sein.

    So wie Tommy eben. Oft waren seine Hände bei "Wetten, dass..?" irgendwo bei den Damen, häufig kokettierte er mit seiner Nichtbildung. Obwohl er zumindest besagten Eichendorff gelesen hat.

    Eine Ära geht vorüber

    Aber, auch das ist ihm wichtig, Gottschalk ist gläubig abseits der Institutionen: "Meinen Glauben und meinen praktizierten Katholizismus habe ich immer als hilfreiches Moment in meinem Leben empfunden." Gottschalk, auch gerne nachdenklich. Immerhin liest sich das Buch flüssig weg, es hat den Entertainer-Duktus – und überraschenderweise in der Hörbuch-Version sogar seine Version von Georg Kreislers legendärer Wiener Telefonbuchpolka (Buchstabe V).

    Allerdings: Wir Gleichaltrigen hätten ihm sagen können, dass die Bee Gees nicht immer zum Ziel führen. "Ich habe mit siebzehn bei ,Massachusetts‘ versucht, eine gewisse Dagmar zu überzeugen, dass ich die bessere Wahl war als der hübschere Gerhard Bauer." Dagmar ging danach mit Gerhard.

    Wahrscheinlich hat Gerhard den schwarzen Percy Sledge ausgepackt. Und Gottschalk hatte, wie er schreibt, das "Missions-Negerle" in der Kulmbacher Kirche beklaut. Das rächt sich.

    Und man ahnt beim Lesen, dass eine Ära vorbei ist. Das Älterwerden beschäftigt den ewig jugendlichen Sprüchemacher, dem "graue Panther" erklären, sie seien "mit mir groß geworden." Gottschalk: "Soll ich irgendwann als Karikatur des Mannes vor der Kamera stehen, den die Leute mal geliebt haben?"

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden