Es ist Katastrophenübung und (fast) keiner geht hin. So geschehen am Mittwoch in Pozzuoli bei Neapel in Italien. Hier schlummert der Supervulkan der Phlegräischen Felder im Untergrund, 500.000 Menschen leben in der Gefahrenzone. Im Mai kam es hier zum stärksten Erdbeben seit 40 Jahren. Aber viele Bewohner am Golf von Neapel zogen am Tag der Simulation einer Evakuierung einen Ausflug an den Strand vor. Nur 30 Bürgerinnen und Bürger nahmen in Pozzuoli an der Übung teil. Im Stadtteil Bagnoli von Neapel (16 Teilnehmer) sowie in Bacoli (103) war die Lage nicht besser.
Maria Rosario Gargiulo nahm mit Mann und Sohn an der Evakuierung in Pozzuoli teil. „Wir sind sehr besorgt“, zitierte der Corriere della Sera die Italienerin. Allein der Gedanke an ein großes Erdbeben oder den Ausbruch des Supervulkans ließen ihre Beine zittern. Es sei wichtig, an der Übung teilzunehmen. Warum so wenig andere dabei waren? „Vielleicht hoffen sie auf die Hilfe von San Gennaro?“, mutmaßte Gargiulo. Das ist der Stadtheilige von Neapel, dem Wunderkräfte nachgesagt werden.
Phlegräische Felder: Der Untergrund bei Neapel brodelt seit Jahren
Der Untergrund in Pozzuoli ist seit längerer Zeit in Bewegung. Ob der Grund aufsteigende Magma oder nur austretende Gase sind, darüber sind sich die Wissenschaftler nicht einig. Das Phänomen des „Bradyseismos“ führt dazu, dass sich die Erdoberfläche hebt und senkt. Seit Jahresbeginn erhob sich der Boden in Pozzuoli um 7,5 Zentimeter, seit Anfang 2023 sogar um 25 Zentimeter. Die Behörden simulierten am Mittwoch die Evakuierung für den Fall starker Erdbeben. Dazu sollten sich die Teilnehmer an Treffpunkten einfinden und wurden per Bus in nahegelegene Sporthallen transportiert. Geübt wurde auch die Evakuierung von Altersheimen sowie der Aufbau eines Feldlazaretts für Verletzte.
Selbst Verantwortliche kritisierten die Übung als überflüssig. „Man verlangt von den Betroffenen, in einem Film mitzuspielen“, sagte der Bürgermeister von Bacoli, Gerardo Josy Della Ragione. „Dabei leben sie den bereits in der Realität.“ In Pozzuoli gebe es bereits Hunderte von Evakuierten. „Solche Tests sind gut für diejenigen, die die Abläufe bestimmen, aber die Bürger, die diese Situation bereits seit einem Jahr erleben, üben doch bei jedem Erdstoß.“ Zivilschutzminister Nello Musumeci hatte vor Wochen gesagt: „Die Erschütterungen können noch Monate und Jahre andauern oder einfach abklingen.“
1000 Menschen mussten in Pozzuoli ihre Häuser wegen eines Erdbebens verlassen
Viele Menschen verließen infolge der ständigen Erdbeben ihre Wohnungen, übernachteten zeitweise in Autos. Rund 1000 Menschen mussten ihr Zuhause infolge des Erdbebens am 20. Mai und entsprechender Schäden an Gebäuden in Pozzuoli dauerhaft verlassen. Viele von ihnen wurden in Hotels untergebracht. Zu Beginn der Woche beschloss die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Sondermaßnahmen. So sollen die dauerhaft Evakuierten Monatsbeiträge von 400 bis 900 Euro pro Person bekommen. 20 Millionen Euro wurden für die Behebung der Schäden an privaten Gebäuden bereit gestellt. „Das ist zu wenig“, kritisierte Della Ragione.
Öffentliche Gebäude sollen an antiseismische Standards angepasst werden. Auch eine städtebauliche Neuplanung der Zone hat sich die Regierung in Rom vorbehalten. Eines der größten Probleme im Notfall stellen die Fluchtwege dar, von denen viele zwar geplant, aber nie realisiert wurden. So wurde in Pozzuoli etwa 18 Jahre lang an einem Tunnel gebaut und dafür 154 Millionen Euro ausgegeben, die notwendige Verbindungsstraße jedoch fehlt bis heute. Nach dem Sommer soll die nächste Katastrophenübung stattfinden, das Szenario ist dann der Vulkanausbruch. „Wir hoffen, dass diejenigen, die keine Lust oder Zeit hatten, sich für diese Übung anzumelden, dies im Oktober tun“, sagte der Leiter des regionalen Zivilschutzes.