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Großbritannien: Unterwegs in Windsor: Wo die Queen zu Hause ist

Antreten! Die berühmte Wachablösung der Soldaten in Windsor.
Foto: Andrew Matthews, dpa (Archiv)
Großbritannien

Unterwegs in Windsor: Wo die Queen zu Hause ist

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    Die Geschichte der britischen Monarchie ist lang und kompliziert, es tauchen, zumindest den Zahlen nach, vor allem Männer darin auf und die meisten von ihnen heißen Henry, Edward oder George, was die Sache nicht leichter macht. Brigitte Mitchell allerdings hat keine Probleme, den Überblick zu behalten, die Geschichte Englands ist ihr Metier. Gerade hat sie die Stufen zum großen Saal der Guildhall erklommen, dem Rathaus von Windsor. Auf ihren Stock gestützt läuft sie jetzt zwischen goldumrahmten Gemälden entlang, zu jedem kann sie eine Anekdote erzählen. Sie geht vorbei an Charles I., der 1649 von Oliver Cromwell abgesetzt wurde und kurz darauf seinen Kopf verlor, vorbei an Königin Victoria und ihrem Ehemann Albert, dessen frühen Tod die Monarchin nie verwand, und hin zum Porträt der aktuellen Königin, Elizabeth II., die hier, in Windsor, nicht nur Königin, sondern auch Ehrenbürgerin ist.

    Der Saal, in dem die Porträts der britischen Monarchen der vergangenen 400 Jahre hängen, ist ein wenig wie Stadt und Schloss Windsor selbst: Jahrhunderte royaler Geschichte, gebündelt auf kleinem Raum. Ein Ort, der seit fast einem Jahrtausend von Königinnen und Königen bewohnt wird, Schauplatz von Hochzeiten und Beerdigungen, Rückzugsort, edle Residenz – und neuerdings wieder Mittelpunkt der britischen Monarchie, seitdem die Queen im Frühling ihren Hauptwohnsitz nach Windsor verlegt hat. Und wer könnte hier besser navigieren als Brigitte Mitchell, Windsors oberste Chronistin.

    Historikerin Mitchell, bunt gemusterte Bluse, weißes Haar und wacher Blick, ist die Vorsitzende einer örtlichen Gruppe, die sich der Heimatforschung verschrieben hat. Und das, obwohl ihre Heimat einst woanders lag, mittlerweile verrät das nur noch ihr Vorname: Brigitte. Vor 63 Jahren ist Mitchell aus Düsseldorf nach England gekommen, gemeinsam mit ihrem Mann, den sie beim Fechten kennengelernt hat. Den rheinischen Dialekt hört man noch immer, wenn sie Deutsch spricht. Heute ist Brigitte Mitchell 81, aktuell macht ihr Long Covid zu schaffen, sie muss kürzertreten, sagt sie, und hat doch gleichzeitig viel vor: Ein Buch über Windsor im Zweiten Weltkrieg ist in Arbeit, ein weiteres über royale Hochzeiten in Planung. Mitchell sagt: „Wenn mir ein Thema begegnet, das ich spannend finde, dann will ich alles darüber wissen.“

    Heimatforscherin Brigitte Mitchell kennt sich in Windsor bestens aus.
    Heimatforscherin Brigitte Mitchell kennt sich in Windsor bestens aus. Foto: Sarah Schierack

    So ist es ihr mit Windsor ergangen, der Stadt, die seit über 50 Jahren ihre Heimat ist. Mitchell sagt: „Ich brauche einen Wohnort mit Geschichte.“ Und die gibt es in dem 30.000-Einwohner-Ort reichlich, vor allem hinter den Mauern des Schlosses, das über der Stadt thront. Fast 1000 Jahre ist Windsor Castle alt, errichtet als Festung im 11. Jahrhundert von Wilhelm dem Eroberer und damit das älteste noch bewohnte Schloss der Welt. Zehn Monarchen sind hier begraben, 39 Königinnen und Könige haben zwischenzeitlich an diesem Ort gelebt und als die Königsfamilie in den Wirren des Ersten Weltkrieges ihre deutschen Wurzeln und die Zugehörigkeit zum Haus Sachsen-Coburg und Gotha lieber vergessen machen wollte, lag der neue Titel nahe: Haus Windsor. Der Name der gesamten Dynastie – eine simple Hommage an das Lieblingsschloss von George V., dem Großvater der Queen.

    Lieblingsschloss ist Windsor auch für seine Enkelin geblieben. Elizabeth II. verbrachte ihre Kindheit während des Zweiten Weltkrieges hier, gemeinsam mit ihrer Schwester Margaret. Später wurde Windsor zu ihrer Wochenend-Residenz. Seit dem Frühjahr lebt sie nun offiziell hier und nicht mehr im Buckingham Palace. Während Tausende Menschen also jeden Tag zu dem stattlichen Palast im Zentrum von London pilgern und sich vor dem Schloss der Queen fotografieren, ist eine nicht mehr dort: die Queen. Die königliche Standarte, Zeichen für die Anwesenheit der Königin, flattert nun meist über dem Rundturm von Windsor Castle.

    Und die junge Generation folgt ihr offenbar nach: Prinz William und seine Familie sollen, so berichten es britische Medien, noch in diesem Sommer in ein Haus im Großen Park von Schloss Windsor ziehen. Die Königin lebt in Windsor, der übernächste König bald ebenfalls – ist der kleine Ort vor den Toren Londons nun also das neue Machtzentrum der Royals?

    In Windsor kann die Queen deutlich privater sein als im Buckingham-Palast.
    In Windsor kann die Queen deutlich privater sein als im Buckingham-Palast. Foto: Steve Parsons, dpa (Archiv)

    Zumindest äußerlich geht es an diesem Tag erst einmal etwas ruhiger zu als vor den Toren des  imposanten Buckingham-Palast in London. Touristen und Touristinnen ziehen die Hauptstraße entlang, vorbei an Windsor Castle und an der großen Statue von Königin Victoria, vorbei am pittoresken Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert, aus dem im Halb-Stunden-Takt neue Besucher in Richtung Schloss strömen. Müsste man eine englische Kleinstadt zeichnen, sie sähe wohl so aus wie Windsor: Viel Geschichte, viel Tradition, an jeder Ecke ein Pub, Petunien in den Blumenkübeln und bunte Ladenfronten auf der High Street.

    Das touristische Windsor erstreckt sich nur über drei bis vier Straßen, aber hier kann man keinen Meter weit gehen, ohne auf eine Plakette, eine Statue oder ein Bild mit royalem Bezug zu stoßen. Die Pubs heißen „Prince Harry“ oder „Duchess of Cambridge“, eine rote Telefonzelle ist von innen mit Fotos der Queen beklebt, in einem nahen Park findet man eine ungewöhnliche Statue der Monarchin: Königin Elizabeth mit Kopftuch und umringt von fünf Corgis, der Name: „The Windsor Lady“. In den Straßen wehen noch immer die Union-Jack-Fähnchen, die zur Feier des Thronjubiläums im Juni aufgehängt wurden. Fast jeder Laden, jeder Pub schmückt sich mit einem Bildnis der Königin, die Auslage des örtlichen Buchladens: neue Biographien, Bildbände, Analysen. Die Queen, sie ist hier allgegenwärtig, viel mehr noch als in der Großstadt London.

    "The Windsor Lady": Die Statue der Königin, die sie mit ihren geliebten Corgis zeigt, wurde zum Thronjubiläum 2012 eingeweiht.
    "The Windsor Lady": Die Statue der Königin, die sie mit ihren geliebten Corgis zeigt, wurde zum Thronjubiläum 2012 eingeweiht. Foto: Sarah Schierack

    Und das nicht nur auf Fotos und Gemälden. Die Königin spaziert nicht spontan zu Fuß durch den Ort, so wie es noch ihre Mutter, Queen Mum, oder Prinzessin Diana getan haben. Wenn die Queen einen "walkabout" unternimmt, dann säumen Touristen die Straßen und Scharfschützen überwachen das Geschehen auf den Dächern. Aber Brigitte Mitchell, die Heimatforscherin, kann von unzähligen Begegnungen mit der Königsfamilie erzählen, geplanten und ungeplanten. Da war das eine Mal, als Mitchell die Queen in der Guildhall eskortieren sollte, und die Königin, immerhin 15 Jahre älter, ihr auf der Treppe fast enteilte, so viel schneller war sie zu Fuß. Später, erzählt die Historikerin, habe sich die Queen noch mal eigens bei ihr bedankt. Oder der Tag, als Mitchell im Hofladen von Schloss Windsor auf Prinz Philip traf, der sich entspannt ein Eis kaufte. In Windsor, so scheint es zumindest, sind Monarchin und Königsfamilie weniger überlebensgroß als im Rest des Landes.

    Unter den Bewohnern von Windsor werden diese Anekdoten seit Jahren getauscht wie Fußball-Sammelkarten: Jeder hat welche und einige sind seltener als andere. Ein Bekannter, sagt Mitchell, habe bei einer Autopanne in einer verregneten Nacht ausgerechnet von Prinz Charles und Prinz Philip Hilfe bekommen. Die Zehn-Pfund-Note, die er ihnen zustecken wollte, hätten die beiden Männer mit großer Bestimmtheit abgelehnt – erst da habe er sie erkannt. Andere würden die Königin regelmäßig beim Ausreiten im Großen Park von Schloss Windsor sehen, auch jetzt noch, mit 96.

    Der Park, die Weitläufigkeit und Abgeschiedenheit sind es auch, die für die Queen und ihre Familie den Reiz von Windsor Castle ausmachen, sagt Julia Melchior. Die Journalistin aus Köln ist Expertin für die europäischen Königshäuser, für das ZDF hat sie mehrere Dokumentationen gedreht, auch über die britischen Royals. „Der Buckingham Palace gilt zwar als die Schaltstelle der Macht, Windsor hat dagegen einen besonderen Platz im Herzen der Queen“, sagt Melchior. Hier hat die Königin nicht nur Teile ihrer Kindheit verbracht, hier sind ihre geliebten Pferde, hier finden das berühmte Pferderennen Ascot statt und die Royal Horse Show. Während der Buckingham Palace „der Inbegriff des goldenen Käfigs“ sei, eine Touristenattraktion, die vor allem Symbolcharakter habe, könne die Königsfamilie in Windsor viel privater sein. „Mich wundert es eigentlich, dass die Queen es im Buckingham Palace so lange ausgehalten hat“, sagt Melchior. Viele andere europäische Königsfamilien hätten sich schon lange aus ihren Stadtresidenzen zurückgezogen. Die Expertin vermutet, dass es „der Drang zur unbedingten Pflichterfüllung“ war, der die Queen dazu bewegt habe, in dem symbolträchtigen Palast mitten in London zu leben.

    "Windsor hat einen besonderen Platz im Herzen der Queen."Julia Melchior

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    Auch für die anderen Mitglieder der Königsfamilie biete Windsor die Möglichkeit, abseits der Öffentlichkeit und gleichzeitig nah an London zu leben, sagt Julia Melchior. Im weitläufigen Park des Schlosses stehen mehrere Villen, die von Angehörigen der Königsfamilie bewohnt werden: Prinz Andrew lebt gemeinsam mit seiner Ex-Frau Sarah Ferguson in der Royal Lodge, einem Anwesen, das zuvor Queen Mum beherbergt hat. Andrews Tochter Prinzessin Eugenie, und ihr Ehemann Jack Brooksbank haben Frogmore Cottage bezogen, jenes Haus, in dem auch Prinz Harry und seine Frau Meghan eine Zeitlang residiert haben.

    Prinz William und seine Familie, bisher Bewohner des Kensington-Palastes in London, sollen sich nach Informationen der britischen Sun in Adelaide Cottage einquartieren, ein Anwesen mit vier Schlafzimmern, nur wenige Gehminuten von Schloss Windsor entfernt. „Hier hätten sie viel mehr Möglichkeit, ein familienorientiertes Leben zu führen“, betont Expertin Melchior. Im Kensington-Palast sei das dagegen nahezu unmöglich. „Das macht keinen Spaß mit Kindern.“

    Was heißt das nun alles für Windsor, den Ort? Brigitte Mitchell, die Historikerin, muss kurz überlegen. Hat sich etwas geändert, seitdem die Queen dauerhaft auf Schloss Windsor wohnt? Ach, eigentlich nicht, sagt sie. Natürlich, die Wachablösung finde nun viel öfter statt, die berühmte Parade der Soldaten, die unter den Augen der Touristen und begleitet von fröhlicher Marschmusik aus dem Schloss die Hauptstraße von Windsor hinunterziehen. Wenn Mitchell in der Nähe ist, schaut sie selbst auch immer zu, so wie viele Menschen aus Windsor. Für die Heimatforscherin ist es nicht nur Touristenspektakel, „für mich hat es auch etwas Persönliches“, sagt sie: Ihr verstorbener Mann war Mitglied der Garde.

    Aber abgesehen davon? „Windsor war schon immer Residenzstadt“, betont Mitchell und will damit sagen: Das royale Leben hat sich schon immer zu einem großen Teil hier abgespielt, auch wenn die meisten Touristen davon nichts mitbekommen haben. Und überhaupt lebe die Queen schon seit ihrem 80. Geburtstag vier Tage die Woche in Windsor, Dienstag bis Donnerstag wechselte sie in den Buckingham-Palast, ins „Office“, wie sie die Residenz in London genannt haben soll.

    Auch Julia Melchior beobachtet eher eine Heimkehr der Königsfamilie in jenes Schloss, dessen Geschichte enger mit der Monarchie verknüpft ist als die jedes anderen Ortes im Land. Ein neues altes Machtzentrum, wenn man so will. Für den Ort Windsor ist das gut, sagt Brigitte Mitchell. Stadt und Schloss gehören untrennbar zusammen. Beide sind voneinander abhängig: Das Schloss von den Stadtbewohnern, die als Lieferanten, Handwerker und Angestellte innerhalb er Schlossmauern arbeiten. Und die Stadt vom Schloss, das Touristen in den Ort bringt und mit ihnen den Reichtum. „Ohne Windsor Castle würde es Windsor nicht geben“, resümiert Mitchell und verabschiedet sich bald darauf. Sie steckt die historischen Bilder wieder ein, die sie für die Reporterin mitgebracht hat. Bald werden sie in einem ihrer nächsten Bücher abgedruckt werden. Die Geschichte von Windsor, sie ist noch längst nicht auserzählt.  

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