Ein typischer Wintertag im Regierungsviertel der britischen Hauptstadt: Menschen in Eile, auf dem Weg zum Parlament oder zur U-Bahn-Station „Westminster“. Nur schnell raus aus der klirrenden Kälte! Die Haltestelle „Westminster“ ist für diesen Zweck kein schlechter Ort, auch kein hässlicher, wie man denken könnte. Im Gegenteil. Seitdem die Station 1999 erweitert wurde, sind ihre Rolltreppen nicht etwa in mehreren Tunnelschächten untergebracht. Nein, sie liegen frei – wie ein Skelett. Vielfach fotografiert und gelobt für ihre Architektur ist die „Westminster“-Station eine Sehenswürdigkeit, eine von zahlreichen der „Tube“ genannten weltberühmten Londoner U-Bahn.
Deren Geschichte reicht inzwischen 160 Jahre zurück. In dieser Zeit vereinte sie Superlative auf sich, als die weltweit älteste und größte U-Bahn in Westeuropa. Zweifelsohne: Die Tube ist eine Ikone. Eine mit auch weniger schönen Seiten. So stehen morgens und abends Fahrgäste dicht an dicht. In manchen Linien, darunter die „Victoria Line“, ist es brütend heiß und die Luft ist schlecht. Die Wege zu den Bahnsteigen sind weit und eng. Die rund zwei Millionen Menschen, die die Tube täglich nutzen, ertragen all das gleichwohl ohne mit der Wimper zu zucken.
Eine Fahrt ab „Paddington“ mit der „Hammersmith & City Line“ Richtung Osten ist heute noch „historisch“
Die „London Underground“ – im Grunde ist sie ein begehbares Museum. Der erste Streckenabschnitt zwischen den Bahnhöfen „Paddington“ und „Farringdon“ im Zentrum der Metropole war im Januar 1863 eröffnet worden, weil London mit seinen Massen an Fuhrwerken, Pferdeomnibussen und Fußgängern ein Verkehrsinfarkt drohte. Schrittweise wurde das Netz erweitert und umfasst mittlerweile 272 Stationen. Dabei kam der Stadt ihr weicher Untergrund zugute. Da sie auf Lehm gebaut ist, konnten vergleichsweise leicht Dutzende von Schächten und Röhren gegraben werden.
Eine Fahrt ab „Paddington“ mit der „Hammersmith & City Line“ Richtung Osten ist heute noch „historisch“. Vor 160 Jahren drängten sich hier tausende Fahrgäste in die weltweit erste U-Bahn, die „Metropolitan Railway“. Künstler in den Varieté-Theatern bezeichneten sie als „Abflusskanal“; die Tageszeitung The Times dagegen feierte sie als „großen technischen Triumph“. In ihrem ersten Jahr beförderte die Bahn bereits Millionen Fahrgäste in gasbeleuchteten Waggons erster, zweiter und dritter Klasse – gezogen von Dampflokomotiven, die dichten schwarzen Rauch ausstießen.
Was Tube-Benutzer wenig freut: Von März an werden die Preise um knapp sechs Prozent erhöht
Wer an einer Führung in der östlich gelegenen „Moorgate“-Station teilnimmt, kann auf den Spuren der Menschen des viktorianischen London wandeln. In weiß gekachelten, mittlerweile stillgelegten Gängen hängen noch Werbeplakate aus den 1930er Jahren. Das Licht ist schummrig, die Luft dünn. Diese Wege hier wurden geschlossen, als die privaten Transportunternehmen Teil einer öffentlichen Dachorganisation wurden, ein Vorläufer des heutigen „Transport for London“.
Nur wenige Gehminuten entfernt haben Arbeiter um die Jahrhundertwende eine Schildvortriebsmaschine zum Erstellen von röhrenförmigen Tunneln zurücklassen müssen, weil ein geplanter Abschnitt nicht zu Ende gebaut werden konnte. Arbeiter und Maschinen waren also durch einen Schild geschützt – und „Tube“ bedeutet „Röhre“. Der Schildvortrieb, eine Mitte des 19. Jahrhunderts vom französisch-britischen Ingenieur Marc Brunel erfundene und unter anderem von James Henry Greathead weiterentwickelte Technik zum Tunnelbau, ist vom Prinzip her gleich geblieben. Die im Jahr 2022 eröffnete „Elizabeth Line“ entstand auf ähnliche Weise wie einst. Bei ihr dominieren geräumige Hallen und geschwungene Wände. Besonders bemerkenswert: Die Fahrt mit dem Zug auf dieser Linie ist regelrecht „geschmeidig“, alles ist leise, nichts quietscht. Und die Luft ist gut.
Zurück zur Fahrt von „Moorgate“ nach „Angel“ und hinaus an die Oberfläche über die längste Rolltreppe der Tube. Bezahlt wird mit der Bankkarte beim Herausgehen. Es piepst, dann öffnet sich das Gate. Reibungslos.
Was Tube-Benutzer wenig freut: Von März an werden die Preise um knapp sechs Prozent erhöht. Während der Hochphase der Corona-Pandemie waren die Bahnen monatelang häufig wie leer gefegt. Ein ungewohnter und gespenstischer Anblick. Noch haben die Fahrgastzahlen nicht gänzlich das Vor-Corona-Niveau erreicht.